Die Kino-Kritiker

Kerkelings Kindheit: «Der Junge muss an die frische Luft»

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«Der Junge muss an die frische Luft» erzählt, wie Hape Kerkeling sein Talent zum Unterhalten feingeschliffen hat, während seine Familie schwere Zeiten durchmachte.

Filmfacts: «Der Junge muss an die frische Luft»

  • Regie: Caroline Link
  • Drehbuch: Ruth Toma
  • Darsteller: Julius Weckauf, Luise Heyer, Sönke Möhring, Joachim Król, Ursula Werner, Hedi Kriegeskotte, Rudolf Kowalski, Maren Kroymann, Diana Amft, Elena Uhlig, Birge Schade
  • Produktion: Hermann Florin, Nico Hofmann, Sebastian Werninger
  • Kamera: Judith Kaufmann
  • Schnitt: Simon Gstöttmayr
  • Laufzeit: 100 Minuten
  • FSK: ab 6 Jahren
2014 war ein großes Jahr für Hape Kerkeling: Der Komiker, Schauspieler und Moderator feierte seinen 50. Geburtstag, beendete seine Fernsehkarriere mit der Mockumentary über die Entstehung einer fiktiven Geburtstagsshow zu seinen Ehren und er veröffentlichte die Autobiografie «Der Junge muss an die frische Luft». Wie zuvor schon sein Reisebericht vom Jakobsweg wurde seine literarische Verarbeitung einiger Lebens- und Karriere-Wendepunkte zu einem Verkaufsschlager. 2015 wurde dann bekannt, dass aus den Kapiteln, die von seinen Kindheitstagen handeln, ein Kinofilm werden soll – produziert von der UFA, inszeniert von Caroline Link, die bereits den Oscar-Gewinner «Nirgendwo in Afrika» verantwortete.

Ein Eitelkeitsprojekt Kerkelings ist «Der Junge muss an die frische Luft» glücklicherweise nicht geworden: Der Entertainer, der die vergangenen Jahre nur noch gelegentlich durch Synchronarbeiten Spuren in der Medienwelt hinterlassen hat, ist zwar die Hauptfigur dieses Films – immerhin wurde seine Biografie verfilmt. Aber unter der Regie Links und nach einem Drehbuch der «Mein Blind Date mit dem Leben»-Autorin Ruth Toma wird «Der Junge muss an die frische Luft» in erster Linie zu einem Film des Zeit- und Lokalkolorits: «Der Junge muss an die frische Luft» zeigt voller stimmungsvoller Feinheiten das Leben einer mittelständischen Familie im Ruhrpott der frühen 70er-Jahre und dürfte daher bei den entsprechenden Teilen des Publikums intensive Gefühle der Nostalgie auslösen.

Die Handlungstriebfeder stellt die Diskrepanz zwischen dem jungen Hape Kerkeling und seiner Mutter Margret dar: Zweifelsohne eine freundliche Frau, die sich um ihre Kinder sorgt, ist sie längst keine derartige Frohnatur wie ihr jüngster Steppkes. Dieser sieht daher seine Aufgabe darin, Frau Mama (und alle anderen Menschen, die gerade in der Nähe sind) bei Laune zu halten, was ihm zunächst auch furios gelingt. Doch ihre chronische Kieferhöhlenentzündung macht der Hausfrau und Mutter, deren Mann oft auf Montage ist, schwer zu schaffen – und als eine Behandlung fehlschlägt, wird es für den Schuljungen zunehmend schwerer, seiner Mutter ein ehrliches Lachen zu entlocken …

Zu einem sehr großen Teil funktioniert «Der Junge muss an die frische Luft» unabhängig davon, ob einen etwas mit Hape Kerkeling verbindet oder man ihn überhaupt kennt. So lange diese Dramödie einfach nur von einem Jungen mit Entertainerqualitäten erzählt und von seinen steten Bemühungen, seine Familie zu erfreuen, ist «Der Junge muss an die frische Luft» eine erfreulich feinfühlig verwirklichte Promi-Biografie. Julius Weckauf adaptiert einige von Kerkelings gestischen Ticks, ohne in Mimikry zu verfallen, und spielt mit ansteckender Freude einen stets aufgedrehten "Wonneproppen".

Zuweilen wirkt es jedoch etwas bemüht, wie viele feminine Bewegungen Link von ihm verlangt, wenn er als Hape Kerkeling singt und tanzt – in diesen Augenblicken nähert sich «Der Junge muss an die frische Luft» der Stereotypisierung, obwohl der Film sonst positiv-ungezwungen mit Kerkelings Sexualität umgeht und schon früh eine der Sympathieträgerinnen aus der Filmfamilie mit Nachdruck erklären lässt, dass keinerlei unsinnig-abwertenden Kommentare geduldet werden. Einen ähnlich großen Anteil wie Weckauf trägt Luise Heyer zum Gelingen von «Der Junge muss an die frische Luft» bei. Die «Einmal bitte alles»-Hauptdarstellerin spielt Margret Kerkeling mit atemberaubender Wirkkraft und nutzt dabei so, so kleine Mittel: Von Beginn an in ihrem ehrlichen Frohsinn leicht gedämpft, kann man förmlich mit ansehen, wie das Licht der Unbekümmertheit in ihr nach und nach erlischt. Das Lächeln wird schmaler, die Augen müder, der Kopf schwerer.

Überhaupt ist der Umgang mit dem Thema Depression in «Der Junge muss an die frische Luft» löblich: Wir sehen die Geschichte zwar aus der Perspektive eines kleinen Schuljungen, der in den frühen 1970ern, einer Zeit als Depressionen von der Gesellschaft mit noch ärgerem Unwissen und Unverständnis angepackt wurden als heute, mit dem Trübsal seiner Mutter umzugehen versucht. Und daher blicken wir aus einer sehr uninformierten Perspektive auf dieses ernste Problem. Aber Link schafft es trotzdem, gekonnt zu unterstreichen, wie ernst man Menschen mit psychischen Problemen nehmen sollte und dass es sich dabei um komplexe Konditionen handelt.

Angesichts dieses roten Fadens ist diese durch sehr filigranes Produktionsdesign und einen ruhigen Schnitt vorangetriebene Geschichte eine bittersüße – was auch die Filmmusik widerspiegelt. Niki Reiser verleiht «Der Junge muss an die frische Luft» einen der besten Instrumentalscores eines deutschen Films seit Jahren und fängt durch spielerisch-eingängige, trotzdem komplexe akustische Einfälle die emotionale Komplexität der Geschichte ein. Etwa durch muntere Melodien, die trübsinnig arrangiert werden, oder durch verspielte, allerdings gedämpft abgemischte Klangwelten.

Wann immer «Der Junge muss an die frische Luft» diesen Duktus aufgibt sowie den Fokus vom Kerkeling-Familienverbund wegnimmt, lässt diese berührende und trotzdem so gewitzte Dramödie allerdings etwas nach. An manchen Stellen können sich die Filmschaffenden deutliche Referenzen auf Kerkelings spätere Karriere nicht verkneifen, und auch wenn es Teil der Story sein mag, dass unser Protagonist im realen Leben aus seiner bewegten Kindheit viel Kreativität schöpfen konnte: Manchmal verliert «Der Junge muss an die frische Luft» die Balance und wird für drei, vier Sätze von einer gefühlvollen Geschichte über Kummer und Freude zu einer Kerkeling-Referenzen-Parade.

Hier wäre weniger zweifelsohne mehr gewesen, was auch für die Inszenierung gilt: Zumeist hält Link die Kameraführung ruhig, streut inhaltliche Vorausdeutungen und die Charaktere skizzierende Randbeobachtungen nur beiläufig ein. Und dann gibt es eben doch so urdeutsche Momente der leicht verkrampften Metaphorik, obwohl sich die Zeitlupenbilder saftig-grüner Wiesen nur schwerlich in den Ruhrpott-Retro-Realismus dieses Films fügen. Allerdings sind dies nur winzig kleine Wermutstropfen, denn was bei «Der Junge muss an die frische Luft» überwiegt (und das ist angesichts des Themas fast schon poetisch), sind überdeutlich die positiven Erinnerungen.

Fazit: Lustig und einfühlsam: «Der Junge muss an die frische Luft» ist eine toll gespielte Entertainer-Biografie und vor allem eine in Nostalgie gebadete Tragikomödie über einen Familienverbund, der mit Kummer umgehen muss.

«Der Junge muss an die frische Luft» ist ab dem 25. Dezember 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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