Die Kino-Kritiker

«Meine Cousine Rachel»: Ein melodramatischer Romantik-Krimithriller

von

Die neue Verfilmung des Romans «Meine Cousine Rachel» schmachtet so sehr, dass sie kaum noch ernst zu nehmen ist.

Filmfacts «Meine Cousine Rachel»

  • Regie: Roger Michell
  • Produktion: Kevin Loader
  • Drehbuch: Roger Michell; nach dem Roman von Daphne du Maurier
  • Darsteller: Rachel Weisz, Sam Claflin, Iain Glen, Holliday Grainger
  • Musik: Rael Jones
  • Kamera: Mike Eley
  • Schnitt: Kristina Hetherington
  • Laufzeit: 106 Minuten
  • FSK: ab 6 Jahren
"War sie es oder war sie es nicht?" Diese Frage wird in «Meine Cousine Rachel» wiederholt gestellt – mal wortwörtlich, mal sinngemäß. Sie schwebt über den 106 Minuten Laufzeit. Und … sie ist nicht weiter der Rede wert. Denn Regisseur und Drehbuchautor Roger Michell («Morning Glory») scheitert daran, die Ambivalenz, mit der er seine Adaption des Daphne-du-Maurier-Romans eröffnet, konsequent durchzuziehen. Was ein Psychospielchen hätte werden können, und offensichtlich auch werden sollen, das dem Publikum hämisch den Spiegel vorhält, zu vertrauensselig oder eben doch zu misstrauisch zu sein, wird in seiner Hand zu einem Melodrama. Genauer: Zu einem Melodrama, das erzählerische Wendepunkte so überbetont erzählt, dass es fast schon zur Farce wird.

Dargelegt wird die Geschichte eines Waisenjungen namens Philip (Sam Claflin), der von seinem älteren Cousin Ambrose in einem Junggesellenhaushalt nahezu ohne weibliche Präsenz großgezogen wird. Als Philips Ziehvater gesundheitlich schwächelt, zieht er ins angenehm klimatisierte Florenz. Dort verliebt sich Ambrose, so erklärt er in seinen Briefen, in seine verwitwete Cousine Rachel (Rachel Weisz), die er alsbald heiratet. Kurz darauf verschlechtert sich Ambroses gesundheitliche Lage. Er schreibt wirre Briefe an Philip, in denen er Rachel als Hexe beschimpft.

Als Ambrose stirbt, ist sich Philip sicher, dass Rachel seinen verehrten Ziehvater vergiftet hat. Nicht lange danach kündigt Rachel ihren Besuch bei Philip an und er schwört boshafte Rache. Doch nachdem Philip und seine gute Bekannte Louise (Holliday Grainger) fiese Pläne besprechend alles für den Besuch der ominösen Hexe vorbereitet haben und diese erfolgreich angereist ist, ist Philip vom unaffektierten, offenherzigen Charme seiner Cousine wie verzaubert. Ist sie eine Meisterin der Täuschung oder tatsächlich unschuldig?

Sämtliche moralischen Feinheiten und psychologischen Widerhaken dieser Geschichte ertränkt Michell durch eine Inszenierung, die selbst Oscar-Bait-Historienschmachtfetzen wie «Grace of Monaco» oder «Suite Française - Melodie der Liebe» subtil erscheinen lassen. Wenn Philip einen dramatischen Brief seines Cousins vorliest, lässt ein heftiger Windstoß ein Fenster aufknallen und weht den Brief durch den Saal. Wenn sich Philip und Rachel auf einer Treppe streiten, zeigt Michell in Supernahaufnahme, wie die Perlen einer bei dieser Auseinandersetzung zerstörten Kette in Zeitlupe die Stufe hinunterprasseln – während Komponist Rael Jones pathetische Musik über diesen Moment klatscht.

Neben diesen und ähnlichen Augenblicken hindert auch Claflins Spiel die Story daran, sich glaubwürdig und fesselnd zu entfalten. Der «Tribute von Panem»-Nebendarsteller, der unter anderem in «Ein ganzes halbes Jahr» hervorragend unter Beweis stellte, welches Talent er dafür hat, sympathische Starrköpfe zu spielen, stapft mit weit aufgerissenen Augen und groben Gesichtszügen durch die sprunghaft skizzierte Charakterwandlung seiner Figur: Vom neu verwaisten, jungen Mann, der sich Blutrache geschworen hat, innerhalb weniger Sekunden zum verliebten Schuljungen und dann zum panisch um sein Leben bangenden Ängstling mit Frustproblemen. Mimisch macht Claflin da keine Unterschiede, umso mehr übt er sich darin, das Wort Zurückhaltung aus seinem Repertoire zu verbannen. Allein die Menge an Schweiß oder Dreck (oder der Mangel an Beidem) signalisiert, mit welcher Seite Philips es das Publikum und Rachel gerade zu tun haben – leicht machen es Michell und Claflin also nicht, mit dieser Figur mitzurätseln und mitzufiebern.

Die titelgebende Rachel ist allerdings ebenso wenig eine Figur, deren Blickwinkel abgerundet dargestellt wird. Da der Film durchweg aus Philips Sicht erzählt wird und für grob drei Viertel Rachel als hinterlistiges Monster skizziert, wirken die kurzen Einblicke darin, was vielleicht ihre Motive waren, eher wie ein narrativer Rettungsanker als einer Gegenüberstellung beider Perspektiven zu gleichen. «The Lobster»-Hauptdarstellerin Rachel Weisz gibt ihr bestes, ihre Figur sowohl liebenswert als auch rätselhaft und schlecht verdeckt verschwörerisch darzustellen, ihr ist schauspielerisch nicht der leiseste Vorwurf zu machen. Aber für einen Film, dessen getragen vermittelten Erzählkommentare auf Ambivalenz und offene Fragen hinarbeiten, pusht «Meine Cousine Rachel» inszenatorisch (etwa durch Szenenübergänge voller dramatisch-zynischer Ironie) zu sehr implizit die Lesart, die Titelfigur sei definitiv schuldig, als dass die endgültige Lösung und die dann nachgeworfene Beteuerung der Unsicherheit fruchten würden.

Für Bruchteile von Momenten geht die Rechnung von Roger Michell mit «Meine Cousine Rachel» dennoch auf. Dann, wenn Kameramann Mike Eley die Tristesse von Philips Heimat in kühlen, detaillierten Bildern einfängt und Michell einfach diese Wirkung sprechen lässt. Oder wenn der melodramatische Tonfall des Films für Momente der unverschämten Wirklichkeit aufgebrochen wird und Rachel etwa im Bildhintergrund ganz unkommentiert nach einer Sexszene ihren Unterrock hebt, um sich zu säubern. Oder jedes Mal, wenn Holliday Grainger als Stimme der Vernunft dient, in ihren Augen aber die pure Eifersucht aufblitzt.

Dies genügt aber nicht, um diese wacklige, unrunde und überdramatisierte Erzählung vollauf aufgehen zu lassen. Übrig bleibt also die vielversprechende Grundidee. Und die Möglichkeit, statt dieser Filmversion einfach das Buch oder dessen erste Verfilmung aus dem Jahr 1952 zu konsumieren.

«Meine Cousine Rachel» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/95635
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