Die Kino-Kritiker

Die lange, harte Nacht mit der Braut, für die man mordet

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Film des Monats: Kultregisseur Robert Rodriguez versinkt wieder in Frank Millers Sündenpfuhl. «Sin City: A Dame to Kill For» bietet sinnliche Frauen, fiese Kerle und einen ungewöhnlichen Look. Doch wie schneidet der Film im Vergleich zum Original ab?

Ava ist eine bezaubernde Frau, eine Sirene, die einen Bann auf Männer legt. Sie kann die Gedanken der Männer lesen und zu alldem werden, was sie in ihr sehen wollen. [...] Ava hat zahlreiche Facetten. Sie kann die Jungfrau in Nöten sein, eine Göttin oder das sinnliche Betthäschen.
Eva Green über die titelgebende "Dame to Kill For" Ava Lord in «Sin City 2»
2005 sorgte Kultregisseur Robert Rodriguez mit seiner Comicadaption «Sin City» für großes Aufsehen: Dieser visuell so andersartige Spielfilm auf Basis von Frank Millers viel gelobter Graphic-Novel-Reihe wurde vom Feuilleton ebenso sehr gefeiert wie von Liebhabern unangepasster Kinostoffe. Der rund 40 Millionen Dollar teure, größtenteils in Schwarzweiß gehaltene Crimethriller trumpfte mit harten Kerlen und leicht bekleideten Mädchen sowie einem ironiedurchtränkten Chauvinismus auf und nahm weltweit mehr als das Dreifache seiner Kosten ein. Darüber hinaus genoss er dank guter DVD-Verkäufe und einer respektablen Merchandising-Offensive auch ein beachtliches Leben nach seiner Kinoauswertung. Die eingangs sehr lauten Schreie nach einer Fortsetzung wurden allerdings lange enttäuscht. Immer wieder bissen sich Rodriguez und Frank Miller am Drehbuch die Zähne aus – wenn ihnen nicht gerade die Finanzierung des Sequels Probleme bereitete.

Neun Jahre nachdem «Sin City» anlief, findet die Fortsetzung doch noch ihren Weg in die Lichtspielhäuser dieser Welt. Zusätzlich zu all dem, was das Original ausmacht, hat «Sin City: A Dame to Kill For» außerdem die ultimative Femme fatale zu bieten – die verführerische, geheimnisvolle und listige Ava Lord, gespielt von «Casino Royale»-Bondgirl Eva Green. Darüber hinaus gibt es den zweiten Leinwandausflug nach Basin City in der dritten Dimension zu erleben. Was dieses Sequel dagegen nicht aufweisen kann: Den wirtschaftlichen Erfolg und das positive Kritikerfeedback des Originals. In den Ländern, in denen die Produktion der Troublemaker Studios bislang anlief, legte sie eine Bruchlandung hin, darunter auch im weiterhin extrem wichtigen US-Markt.

Daher sieht es sehr unwahrscheinlich aus, dass «Sin City: A Dame to Kill For» sein Budget von geschätzt 65 Millionen Dollar im Kino wieder einspielen wird, was wiederum die Aussichten auf den von Rodriguez im Erfolgsfall versprochenen dritten Teil enorm trübt. Das Ärgerliche daran: Das mit einem stattlichen Ensemble aufwartende Gewaltstück hat diese negative Rezeption nicht verdient. Nach einer Wartezeit von neun Jahren sind vielleicht die Erwartungen zu sehr in die Höhe geschossen, und dann können die neuen Abenteuer des knallharten Haudegens Marv, der zarten Erotiktänzerin Nancy und ihren ganzen Mitbürgern nur enttäuschen. Wer aber nicht denkt „Wow, innerhalb der neun Jahre müssen sich Rodriguez und Miller ja einen wahren Geniestreich ausgedacht haben!“, sondern einfach nur Lust hat, 102 weitere vergnügt-sündige Minuten in der wohl verruchtesten Stadt der US-Kinogeschichte zu verbringen, sollte auch an «Sin City: A Dame to Kill For» seinen Spaß haben.

Wie das Original setzt sich auch das Sequel aus mehreren ineinander verschränkten Kurzgeschichten zusammen, wobei es dieses Mal neben Millers Comicstorys auch zwei neue für den Film geschriebene Handlungen zu sehen gibt. In einer dieser beiden Erzählungen begibt sich der gut gelaunte, übermütige Zocker Johnny (Joseph Gordon-Levitt) nach Basin City, um dort sein Glück zu versuchen. Rasch lernt er die junge Kellnerin Marcie (Julia Garner) kennen, die sich als Glücksbringerin herausstellt und in deren Begleitung er es sogar wagt, den selbstverliebten Senator Roark (Powers Boothe) in einem Pokerspiel herauszufordern.

In einer anderen, ebenfalls neuen Story gibt es ein Wiedersehen mit Nancy Callahan (Jessica Alba), die nach den traumatischen Ereignissen in «Sin City» zur pessimistischen Trinkerin verkommen ist und sich geschworen hat, Blutrache an Senator Roark zu nehmen. Eine auf Millers Comics fußende, sehr rasch verlaufende Episode zeigt derweil Publikumsliebling Marv (Mickey Rourke), wie er vor den Ereignissen aus «Sin City» eine Gruppe arroganter Collegekids aufmischt. Das Herzstück des Films ist aber die Verfilmung des im Untertitel referenzierten, preisgekrönten Comics „A Dame to Kill For“ (die deutsche Ausgabe hört auf den Titel „Eine Braut, für die man mordet“).

In dieser Story wird gezeigt, wie der ehemalige Kriminelle Dwight (Josh Brolin) sein früheres Ich hinter sich lassen will und als Privatdetektiv dem Abschaum von Basin City nachstellt. Eines Tages erhält er aber einen Anruf seiner früheren Geliebten Ava Lord, die ihn vor vier Jahren für den Tycoon Damian Lord (Marton Csokas) verlassen hat. Wie die sinnliche Ava Dwight unterbreitet, wird sie von Damian aber misshandelt und sehnt sich daher nach der liebevollen, dennoch feurigen Behandlung zurück, die sie durch ihren Ex erfuhr. Trotz der Einschüchterungsversuche durch Avas Chauffeur Manute (Dennis Haysbert) rafft sich Dwight auf und startet eine Rettungsaktion – nicht ahnend, in welche Gefahr er sich dadurch begibt …

Dwights ereignisreiches Aufeinandertreffen mit seiner Verflossenen ist nicht nur das längste, sondern auch mit Abstand das beste Segment in Rodriguez' zweiter Kollaboration mit Frank Miller. Dies ist insbesondere Eva Green zu verdanken. Die Französin, deren Leinwandpräsenz stets etwas Ruchloses innewohnt, gibt sich mit vollem Einsatz ihrer Rolle hin und erweckt einen unberechenbaren Männertraum zum Leben. Green hat nicht nur sichtbare Freude am ihr gebotenen Material, sondern zählt zudem zu den raren Schauspielerinnen, die das Aussehen sowie das Talent für diese Figur aufweisen. Mühelos wechselt sie innerhalb eines Wimpernschlags den Modus Operandi, mit dem sie als Ava Lord Männer um den Finger wickelt. Dank Greens Schauspiel ist Ava Lord aber mehr als bloß eine Verführerin: Als Zuschauer hat man nie auch nur den geringsten Zweifel daran, dass die bevorzugt splitterfasernackt herumlaufenden Grazie die gerissenste Person im «Sin City»-Universum ist.

Eva Green ist eine Wucht, doch nicht das einzige Argument, das für ihre Episode spricht. «No Country for Old Men»-Hauptdarsteller Josh Brolin passt ideal in die Rolle eines grimmigen Privatdetektivs, der sich unentwegt gegen seine inneren Dämonen zu wehren versucht, und auch narrativ funktioniert diese Geschichte über Lust, Rache und Vergebung in bewegten Bildern mindestens so gut wie in gedruckter Form. Ebenfalls sehr gelungen ist die in zwei Teilen erzählte Story rund um Johnny. Zwar ist die kleine Anekdote über den eitlen jungen Mann, der im übermächtigen Senator seine Nemesis findet, die bodenständigste des Films, mit kleinen Twists und einer engagierten, wandelbaren Performance Gordon-Levitts mausert sie sich dennoch zu einem kurzweiligen (und nahezu nihilistischen) Kleinod in Rodriguez' Filmografie.

Die knappe, als Prolog dienende Story über Marv wiederum ist leider sehr unpointiert und eröffnet den Film somit auf einem trivialen Tiefpunkt. Das Intro von «Sin City» funktionierte deutlich besser und etablierte sowohl das faszinierende visuelle Konzept der nachfolgenden Filmminuten als auch deren Tonfall. Der Abschluss von «Sin City: A Dame to Kill For» dagegen leidet etwas unter einer unmotivierten Darbietung des Gaststars Bruce Willis sowie vereinzelten Momenten, in denen unklar ist, ob Jessica Albas dramatische Bemühungen schockieren oder amüsieren sollen. Dessen ungeachtet liefert auch die sonst ansehnliche finale Kurzgeschichte all das, was von ihr zu erwarten steht: Coole Schwarzweiß-Bilder mit vereinzelten Farbtupfern, wilde Tanzsequenzen des Go-Go-Girls Nancys und kernige Gewaltspitzen – sowie eine abgebrühte Weltsicht.

Obwohl zumindest drei der vier Kurzgeschichten zu gefallen wissen, enttäuscht «Sin City: A Dame to Kill For» in einer nicht unbedeutenden Hinsicht: Die Anordnung der einzelnen Episoden wirkt viel liebloser als im Original. Dort war die Platzierung der Geschichten eine von Robert Rodriguez' größten Eigenleistungen, da die Aneinanderreihung der Storys dazu führte, dass sie sich gegenseitig kommentierten. Zudem entstand ein den gesamten Film umfassender, straffer Spannungsbogen. Das Sequel hingegen darf sich nicht damit rühmen, eine Storyline-Verschränkung auf «Pulp Fiction»-Niveau zu haben – die Reihenfolge erscheint viel eher beliebig, weshalb jede einzelne Episode ihre eigene Spannungskurve aufbauen muss. Der Eindruck eines großen Ganzen, der «Sin City» ausmachte, geht hier fast verloren.

Ein weiterer Unterschied zwischen «Sin City: A Dame to Kill For» und seinem Vorläufer ist die Verwendung von Humor: Setzte Rodriguez 2005 in großen Maßen auf bittere Ironie, die das stets zur Schau getragene Machogehabe und die abgehärtete Verwendung von Film-noir-Stilmitteln auflockert, sieht dies im neuen «Sin City»-Film anders aus. Der «Desperado»-Regisseur schraubt die Humorfrequenz runter und lässt über längere Strecken die markige Stimmung dieser Ganovengeschichten für sich stehen – um dann die pointierten Humorsprenkel dafür umso stärker wirken zu lassen.

Das 3D ist derweil wie dafür geschaffen, Kinobetriebe zu überprüfen. Mit seinen harschen Kontrasten und der begrenzten Farbpalette kann «Sin City: A Dame to Kill For» zu einer kleinen Katastrophe geraten, wenn der Projektor nicht richtig eingestellt ist. Dank Rodriguez' Kameraarbeit und der Verwendung eines guten 3D-Equipments hat der Film aber unter idealen Bedingungen einen überaus starken 3D-Effekt mit launigen Pop-up-Effekten und beachtlicher Tiefenwirkung. Vor allem wenn Rodriguez seine Darstellerinnen einfängt, lässt er das Publikum förmlich in die Welt der Frank-Miller-Comics abtauchen. Während die sinnlichen Momente sowie die komplette Story über Zockerkönig Johnny inszenatorisch auf Augenhöhe mit dem Erstling sind, lässt die Action allerdings im direkten Vergleich etwas nach. Vor allem Marvs Faustkämpfe sind anders als in «Sin City» recht steif geraten.

Selbst wenn «Sin City: A Dame to Kill For» die erfrischende Wirkung des überraschenden Originals fehlt und die Action stellenweise hölzern wirkt, ist diese düstere Comicverfilmung mit ihrer dichten Atmosphäre, einzigartiger Optik und einem imposanten Cast bei weitem nicht so mies wie ihr Ruf. Jeder, der sich seit «Sin City» ein Sequel wünscht, erneut in Frank Millers deprimierender Metropole zu versacken, erhält mit diesem 3D-Streifen endlich die Chance dazu – und obwohl das Wiedersehen nicht ganz so berauschend ist, macht es noch immer Laune.

Fazit: Erotisch, furios und gemein – Robert Rodriguez öffnet erneut die Pforten zu Frank Millers kerniger Comicversion von Sodom und Gomorra. Was uns dort erwartet? Atemberaubende Frauen, brutale Typen und coole Optik. Das Original war zwar straffer und pointierter, dafür hat «Sin City: A Dame to Kill For» eine famos aufspielende Eva Green zu bieten.

«Sin City: A Dame to Kill For» ist ab dem 18. September 2014 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.

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