360 Grad

Einzelhaft für Fortgeschrittene

von
Julian Miller setzt sich in der letzten Ausgabe seiner Kolumne vor der Sommerpause mit Folter und Fernsehen auseinander.

Das ProSieben-Sommerprogramm steht meist im Zeichen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Riege der Z-Prominenz. «Die Alm» brachte die Reality-TV-Dauerteilnehmerin Kader Loth für kurze Zeit zurück ins Tagesgespräch, während man einige Jahre später zwei kreischende Viva-Quasselstrippen aufs Land schickte und aus ihnen die deutschen Versionen von Paris Hilton und Nicole Richie machte. Dieses Jahr hat man es sich in München wohl zum Ziel gesetzt, alles Bisherige mit einer Mischung aus «Big Brother»esquem Voyeurismus und weißer Folter ähnlich der im Fun-Prison Guantanamo Bay praktizierten zu toppen. Das Resultat ist eine Adaption der amerikanischen Kabelshow «Solitary», moderiert von Sonya Kraus (war ja klar) und mit so bekannten Teilnehmern wie Martin Kesici, der vor einer gefühlten Ewigkeit Kai Pflaumes Grinse-«Star Search» gewonnen hat und nach seinem einzigen Hit in der Versenkung verschwunden ist, oder Funda Vanroy, die früher im «ProSieben Night-Loft» schlaflosen Rentnerinnen das Geld aus der Tasche gezogen hat.

Angepriesen wird das Konzept dann als „wissenschaftliches Experiment“. Das Wort „Folter“ macht sich auf einer Pressemappe eben nicht so gut. Zugegeben, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen «Solitary» und Otto Hahns Bunker in Seewiesen besteht durchaus. Doch die Show geht mehrere Schritte weiter, schließlich will man die Opfer, pardon, die Kandidaten ja an ihre emotionalen Grenzen führen. Verständlich. Quote und so. Dann kann die ganze Familie auf dem Sofa vor dem Fernseher Wetten abschließen, wer als erster zusammenbricht. So werden die Einzelhäftlinge etwa von David Hasselhoffs «I've Been Looking for Freedom» geweckt, was an sich schon einen Verstoß gegen die Genfer Konvention darstellen sollte. Daraufhin müssen sie einen Code eingeben, um Hasselhoffs nervtötendes Gedudel, das aus seiner Sicht maßgeblich zur Deutschen Einheit beigetragen hat, abzustellen. Gelingt ihnen das nicht, werden sie erbarmungslos dauerbeschallt und auf Schlafentzug gesetzt.

Schon vor Jahren wurde in den USA mit der Kombination aus Folter und Fernsehen experimentiert. Damals hat man die Quälereien in Quiz-Shows integriert, wie etwa in «The Chamber» bei FOX oder «The Chair» bei ABC. Beide Formate wurden allerdings rasch wieder abgesetzt. Irgendwann werden eben auch Folterkammern langweilig. Das amerikanische «Solitary»-Original konnte sich dagegen vier Jahre lang behaupten. Dann war Schluss, denn nicht nur für die Folter-Show, sondern gleich den ganzen Sender gingen dieses Jahr die Lichter aus. Die Quoten der ersten Ausgaben des deutschen Pendants sind dabei jedoch äußerst zufriedenstellend. Der Folterstoff ist im deutschen Fernsehen ja auch noch nicht so ausgereizt. Obwohl beim «Richterin Barbara Salesch»-Gucken schon so ein leichtes Streckbank-Feeling aufkommt.

360 Grad geht in die Sommerpause und erscheint wieder am 13.08.2010 mit einer neuen Ausgabe. Plus-Abonnenten können sie bereits am 12.08.2010 lesen.

Kurz-URL: qmde.de/43565
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