Die Kritiker

«Schattenmoor»: Reif für die Klapsmühle

von

ProSieben zeigte gestern Abend seinen ersten eigenproduzierten Fernsehfilm seit sieben Jahren. Am besten lässt der Sender es dabei auch für die nächsten sieben bewenden.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Caroline Hartig als Emma/Ann-Sophie
Farina Flebbe als Kiki
David Hugo Schmitz als Leon
Timur Bartels als Chris
Max von Thun als Raphael Vidal
Emke Aksizoglu als Tomek
Ulrike Hübschmann als Frau Strehlow

Hinter der Kamera:
Produktion: Talpa Germany Fiction GmbH
Drehbuch: Ben Zwanzig und Marvin Machalett
Regie: Marc Schießer
Kamera: Tobias Lohf
Ausführender Produzent: Karsten Kelber
Vorab wollte ProSieben seinen ersten eigenproduzierten Spielfilm in sieben Jahren niemandem zeigen. Das ist absolut branchenunüblich, und wurde damit begründet, dass man die Spannung nicht trüben wollte, die durch die scheibchenweise online veröffentlichten episodischen Ausschnitte geschürt werden sollte. Diesen PR-Sprech interpretiert man wohl am besten vor dem Hintergrund, dass ProSieben weitsichtig genug gewesen sein dürfte, um die Pleite kommen zu sehen – gerade vor dem Hintergrund, dass Sat.1 mit seiner kürzlich ausgestrahlten Fiction-Offensive aus albernen Mystery-Thriller-Stoffen und behäbigen Allerweltskrimis sowohl inhaltlich als auch in den Quotentabellen baden gegangen war. Denn neben «Schattenmoor» sieht selbst eine uninspirierte Voodoo-Klamotte wie «Das vergessene Dorf» nach Grimme-Preis-würdigem Fernsehen aus.

Als die siebzehnjährige Emma (Caroline Hartig) in ihrem neuen Internat ankommt, zieht sie dort sofort die Blicke der gesamten Schülerschaft auf sich. Das ist wenig verwunderlich, schließlich sieht sie haargenau wie Ann-Sophie aus, die ehemalige Schülersprecherin, die seit einigen Wochen spurlos verschwunden ist. Damit hört der Grusel für Emma freilich nicht auf: Jemand schmiert ihr Ziffern auf Spiegel, Wandschränke und Farbdosen, stellt sie unter der Gemeinschaftsdusche bloß und bringt sie in den Verdacht, das Auto des scharfen Lehrers (Max von Thun) angezündet zu haben, während draußen ständig eine unheimliche, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt durch die Gegend wabert.

Derweil schwenkt der Film immer wieder abrupt in Flashbacks um, in denen Ann-Sophies Backstory erzählt werden soll: Die hatte seit ihrer demütigenden Abwahl als Schülersprecherin das gesamte Internat tyrannisiert: die Kunstinstallationen einer Mitschülerin abgefackelt und sie mit Nacktfotos erpresst, das geliebte Schulkaninchen geschlachtet – und natürlich den heißen Lehrer geknallt.

Diese klischeehafte Aneinanderreihung von ausgedachten Internatsleben-Episoden ist aufgrund der überkandidelt „jungen“ und „obercoolen“ Dialoge zwar anstrengend anzusehen, überschreitet aufgrund von Caroline Hartigs durchaus versierter Alternation zwischen den beiden Charakteren aber selten die Grenze zur Peinlichkeit.

Völlig halsbrecherisch wird der Film jedoch, als die beiden Stränge zusammengeführt werden sollen: Emma und Ann-Sophie sind natürlich ein und dieselbe Person. In einem günstigen Moment hatten Ann-Sophies geschundene Mitschüler die Initiative ergriffen und sie zur unbedarften, verletzlichen Emma hypnotisiert, an der sie sich rächen wollten. Der scharfe Lehrer wurde von ihnen mit Beweismitteln zu seiner Affäre mit Ann-Sophie erpresst, um im Lehrerkollegium dafür zu sorgen, dass das nicht auffällt. Oder irgendwie so. Denn plausibel ist an dieser Stelle des Films schon lange nichts mehr – was ganz gut dazu passt, dass das große Finale nachts im Wald stattfindet, wo alle bisher relevanten Charaktere hilf- und sinnlos in der Gegend rumstehen, während Emma wieder von der psychopathischen Ann-Sophie übermannt wird, einmal kräftig den Revolver durchlädt und ein Feuer legt, bevor sie mit ihrem Alter Ego in einen Kampf auf Leben und Tod zieht – irgendwo zwischen Schizophrenie und multipler Persönlichkeitsstörung, mit der psychologischen Trennschärfe der «Satansweiber von Tittfield» [sic!] und dem erzählerischen Nuancenreichtum von «Das Ding aus dem Sumpf». Dorthin kann dieser Film getrost wieder verschwinden.

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