Die Kino-Kritiker

Das wirklich wahre Leben: «Der Wein und der Wind»

von

«Beziehungsweise New York»-Regisseur Cédric Klapisch erzählt mit «Der Wein und der Wind» eine ungewöhnliche Familiengeschichte, die er mit dem symbolischen Thema Weinanbau unterfüttert.

Filmfacts: «Der Wein und der Wind»

  • Kinostart: 10. August 2017
  • Genre: Komödie/Drama
  • FSK: o. Al.
  • Laufzeit: 114 Min.
  • Kamera: Alexis Kavyrchine
  • Musik: Loïc Dury, Christophe Minck
  • Buch: Cédric Klapisch, Santiago Amigorena
  • Regie: Cédric Klapisch
  • Darsteller: Pio Marmaï, Ana Girardot, François Civil, Jean-Marc Roulot, María Valverde
  • OT: Ce qui nous lie (FR 2017)
Es ist nicht das erste Mal, dass sich für eine Geschichte in alle Winde zerstreute Familienmitglieder nach langer Zeit wiedertreffen. Ein gern genommener Anlass dafür ist die Beerdigung einer nahestehenden Person. Gesehen in «Im August von Osage County», «Sieben verdammt lange Tage» oder auch «Captain Fantastic». In all diesen Filmen kommen nach und nach verdrängte Gedanken ans Licht. Dies geschieht mal mehr, mal weniger dramatisch. Doch in der Regel gibt es immer allerhand schmutzige Wäsche zu waschen – auch wenn darauf meist die immerhin halbwegs dauerhafte Versöhnung folgt. Der französische Regisseur Cédric Klapisch («Beziehungsweise New York») kreiert in seinem neuesten Projekt «Der Wein und der Wind» ein ähnliches Grundszenario. Seine drei Protagonisten Juliette, Jérémie und Jean haben ihr Leben längst für sich allein geplant und einander schon lange nicht mehr gesehen, eh sie der nahende Tod ihres Vaters wieder an einen Tisch bringt. Doch anders als in den genannten Beispielen interessiert sich Klapisch überhaupt nicht für schmutzige Geheimnisse oder brodelnde Konflikte. Seine Geschichte nähert sich stattdessen auf absolut bodenständige Weise der Frage, wie sich der Wunsch nach Individualität und Selbstständigkeit mit Familientraditionen vereinbaren lassen.

Unausgesprochene Familienfehden


Es ist Spätsommer im Burgund und die Weinernte steht bevor. Der dreißigjährige Jean (Pio Marmaï) kehrt nach vielen Jahren der Funkstille auf das idyllische Familienweingut zurück. Sein Vater liegt im Sterben und seine Geschwister Juliette (Ana Girardot) und Jérémie (François Civil), die das Gut in der Zwischenzeit aufrechterhalten haben, können jede Unterstützung gebrauchen. So wie sich jedes Erntejahr nach den Jahreszeiten richtet, erkennen die Geschwister, dass manch offene Wunden auch über die Jahre hinweg nicht heilen. Gemeinsam müssen sie entscheiden, ob die Familientradition weitergeführt werden soll oder jeder seinen eigenen Weg geht…

Im Original trägt der Film den wohlklingenden Titel «Ce qui nous lie», was auf deutsch soviel wie «Was uns verbindet» bedeutet. Das trifft den Kern dessen ganz gut, weshalb Cédric Klapisch die Handlung unbedingt auf einem Weingut stattfinden lassen wollte, denn «Der Wein und der Wind» steckt voller Symbolik. Es ist nicht bloß die einst gemeinsame Leidenschaft für das edle Gesöff, wodurch die Geschwister selbst in unangenehm stillen Momenten immer ein Gesprächsthema haben. Auch der Weinanbau selbst eignet sich in seinem Ablauf ganz hervorragend, um die Entwicklung innerhalb der Familie widerzuspiegeln. Schließlich ist Wein nur dann wirklich gut, wenn er möglichst lange reift, was sich gewissermaßen auch auf die Beziehung unter den Geschwistern übertragen lässt. Die Aussage, dass das Weingut als Familienunternehmen lediglich aufrecht erhalten werden kann, wenn die Menschen füreinander ebenso viel Liebe aufwenden, wie für den Wein selbst, ließe sich gewiss auch noch subtiler verpacken, doch im Großen und Ganzen gelingt Regisseur und Co-Autor Cédric Klapisch hier ein hübsches Sinnbild für das Innenleben von Jean, Juliette und Jérémie, die von Schicksalsschlägen und tragischen Ereignissen ebenso heimgesucht werden, wie der Wein von Unwettern, Stürmen und Hochwassern.

Und auch, wenn sich das Fachsimpeln über verschiedene Rebsorten, Schädlingsbekämpfungsmittel und Anbaumethoden irgendwann erschöpft, so spiegelt es gleichsam die Passion wieder, mit der die Geschwister auch für ihre Familie einstehen.

Von lieblich bis bittersüß - Von Familie und Wein


Zu einem weiteren wichtigen Teil von «Der Wein und der Wind» erklärt Cédric Klepisch die vier Jahreszeiten. So ist sein Film nicht bloß lose in die vier Abschnitte „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“ unterteilt, die Eigenschaften der Saisons unterstreichen außerdem den Fortschritt der Entwicklungen innerhalb des Familiendramas. Auf eine unterkühlte Stimmung im Winter folgt ein Gefühl von Motivation im Frühling, während im Sommer schon mal hitzige Diskussionen das Geschehen dominieren. Auch hier gilt: Klapischs Skript (gemeinsam mit Santiago Amigorena verfasst) wählt nicht immer den subtilsten Weg, doch seine Geschichte definiert sich so einleuchtend und konsequent über dieses symbolische Konzept, dass die Aussage vollkommen glaubwürdig bleibt, selbst wenn sich punktuell ein Gefühl der Überkonstruktion einschleicht. Unterstützt wird diese künstlerisch clevere Grundidee außerdem von der Aussagekraft des Settings: Gedreht an Originalschauplätzen, nahm Cédric Klapisch tatsächlich den Aufwand auf sich, die Kulisse zu verschiedenen Jahreszeiten aufzunehmen, was die Authentizität der Story zusätzlich unterstreicht. Das, was hier geschieht, könnte so tatsächlich passieren. Und genau dieser dadurch entstehenden, vorsichtigen Emotionalität, die ganz ohne hysterische Gefühlsausbrüche auskommt, passen sich auch die hierzulande allesamt weitgehend unbekannten Darsteller an.

Pio Marmaï («Sehnsucht nach Paris»), Ana Girardot («Saint Amour – Drei gute Jahrgänge») und François Civil («Katakomben») mimen alle drei ein glaubhaftes Geschwister-Trio, das die differenzierten emotionalen Schwankungen glaubhaft an das Publikum herantragen kann. Seinen eigenen Lebensweg zu verfolgen, wird hier nicht automatisch zu einem Akt von Egoismus und aufeinander zuzugehen, kann hier zeitgleich von Überwindung und Aufrichtigkeit zeugen. Insofern ist es wichtig, dass die Darsteller in «Der Wein und der Wind» ein hohes Maß an Charakterstärke mitbringen; ihre Performance ist keine der großen Gesten, sondern baut auf vorsichtige, teils nur unterschwellige Nuancen. Manche Szenen wollen da nicht ganz reinpassen: Wenn die vorher so um fachliche Korrektheit bemühten Jean und Jérémie den ersten Jahrgang ihrer Schwester Juliette genau so beschreiben, wie sie auch ihre Schwester selbst beschreiben würden, dann wirkt das doch überraschend aufgesetzt. Aber gerade weil es in «Der Wein und der Wind» nicht nur um den Wein, sondern vorherrschend um die Familie geht, fallen derartige Anflüge von Kitsch nicht allzu sehr ins Gewicht. Und «Der Wein und der Wind» behält bis zuletzt einen fast märchenhaften Touch bei, der die Faszination und den Zauber des Alltags dreier Weinanbauer auf die Leinwand zu bringen vermag.

Fazit


Vor der traumhaften Kulisse des französischen Burgund erzählt «Der Wein und der Wind» besonnen eine Geschichte über Familie, die Schweres nicht allzu schwer nimmt und trotzdem einen erstaunlichen Realismus an den Tag legt. Als manchmal ein wenig zu aufdringliches Sinnbild für menschliche Kommunikation findet Regisseur Cédric Klapisch den Weinanbau und trifft mit dieser Idee voll ins Schwarze!

«Der Wein und der Wind» ist ab dem 10. August in den deutschen Kinos zu sehen.

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