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Digitales Gold: Warum «Galileo» und «taff» mehr wert sind, als die Quote verrät

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ProSieben zeigt mit seinen Magazinen, wie gewinnbringend heutzutage eine gute Digitalstrategie sein kann. Was der amerikanische Sender NBC damit zu tun hat…

‚Die Quote ist König‘ - diese Sicht zur Beurteilung von Fernsehsendungen bekommen viele Branchenbeobachter und Medienschaffende häufig regelrecht eingeimpft. Vor allem im frei empfangbaren Privatfernsehen, wo Einnahmen durch Gebührengelder ausbleiben, herrscht daher häufig schnell Panik, wenn Formate ihr Quotenziel nicht erreichen. Schließlich refinanzieren sich die Privatsender im Free-TV durch Werbeeinnahmen und deren Höhe bestimmt – genau – die Einschaltquote. Sorgenvoll blickte daher auch ProSieben selbst zuletzt auf sein Vorabendprogramm. Die gesunkenen Marktanteile bei Vorabendformaten wie «Galileo» hätten nach Ansicht des Senderchefs Daniel Rosemann zuletzt "an der Relevanz und Strahlkraft von ProSieben genagt." Auch deshalb entschloss sich ProSieben dazu, seinen Vorabend etwas umzubauen, die «Simpsons»-Dosis zu verringern und dafür dem beliebteren «The Big Bang Theory» einen Platz im Vorabend einzuräumen, das seit dem 1. Mai an «Galileo» übergibt.

Vor Quoten-Flops war ProSieben in der jüngeren Vergangenheit bei Weitem nicht gefeit, besonders zum Jahresstart 2017 war der Sender unzufrieden mit einstelligen Monatsmarktanteilen beim jungen Publikum, seien dort doch 10,2 bis 10,5 Prozent das Ziel. Gerade der schwächelnde ProSieben-Vorabend steht beim Unterföhringer Privatsender jedoch seit Jahren für Kontinuität, insbesondere durch die mittlerweile lange Geschichte des 17 Uhr-Magazins «taff» (seit 1995) und «Galileo» um 19 Uhr (seit 1998), die abseits des Trubels im Restprogramm des Senders für den ProSieben-Zuschauer noch immer eine Konstante darstellen. Muss sich nun selbst ein verdientes Format wie «Galileo», das durch das gesunkene Interesse am ehemaligen Lead-In «Die Simpsons» zuletzt in die Einstelligkeit bei den Werberelevanten fiel, dem Quotendruck beugen?

Blaupause NBC: So geht eine Digitalstrategie heute


Warum es für ProSieben den richtigen Schritt darstellt, nun an einer Marke wie «Galileo» festzuhalten und warum sich ohnehin schon erfolgreiche Formate wie «taff» doppelt lohnen, ließ zuletzt NBC Entertainment-Chairman Robert Greenblatt durchblicken, dessen Network in den USA zuletzt große Erfolge feierte. Die Maßgabe, die NBC seiner Aussage nach zum Erfolgssender werden ließ, war der Wandel vom TV Network zum Digital Network, in dessen Zuge er die ‚Währung Quote‘ neu auslegte. Von der NBC-Herangehensweise kann ProSieben hierzulande im Moment nur staunen und lernen. Von Anfang an würden bei den Formaten Digital Producer integriert, die exklusiven Content für die Digital-Plattformen produzieren, um die Formate weiter zu pushen und die Zuschauer mehr miteinzubeziehen. Ob «The Voice»-App, ein eigener Snapchat-Kanal der Castingshow, «This is us»-Aftershow oder virale Sketch-Hits von «Saturday Night Live» – längst ist NBC in der digitalen Welt angekommen, die die Beliebtheit seiner Formate multipliziert.

Dass man die NBC-Sendungen nicht nur linear im Fernsehen, sondern auch via App oder auf Social Media-Plattformen in Teilen nachsehen kann, versteht sich von selbst. Trotz des Network-Status eines werbefinanzierten Senders, sei es Greenblatt sogar „völlig egal“, wo Zuschauer die NBC-Formate sichten. Greenblatt predigt die Abkehr von der Einschaltquote als alleinigem Erfolgsindikator, die keine Schlüsse dahingehend zulasse, welches Potenzial ein Programm mittelfristig entfalten kann. Längst werden in den USA ohnehin nicht mehr bloß die Quoten des Vorabends analysiert, sondern auch zeitversetzte Abrufe binnen drei und sieben Tagen nach der linearen Ausstrahlung.

Besagte Vorgehensweise spielt in Deutschland auf eigenen Wunsch der Sender keine Rolle, gleichwohl sich die Senderfunktionäre auch hierzulande der rasch steigenden Relevanz digitaler Verbreitungsmöglichkeiten bewusst sind, aber gefühlt immer mindestens einen Schritt hinterherhängen. Seit Januar wird von der agf in Deutschland nun auch die Mediathekennutzung berücksichtigt, deren Zahlen jedoch zunächst erst 40 Tage nach Ende eines Monats veröffentlicht werden können – und selbst dort sind mobile Endgeräte oder Smart-TVs noch außen vor. Eine schneller Veröffentlichung der Zahlen würde die hohe Bedeutung der Digitalplattformen für die Sender sicher greifbarer machen. In der Zwischenzeit müssen werbefinanzierte Sender in Deutschland entweder fest daran glauben oder weiter vorrangig auf die Einschaltquoten setzen.

«taff» und «Galileo»: Digital ein voller Erfolg


Und auch wenn ProSieben noch meilenweit von der Digitalstrategie NBCs entfernt ist, macht der Sender bereits vieles richtig. Das zeigen am deutlichsten «taff» und das quotentechnisch leicht kriselnde «Galileo», die bei ProSieben zur Schärfung der Sendermarke wohl eine ähnliche Bedeutung erfahren wie «The Voice» oder «Saturday Night Live» bei NBC. Während auf exklusiven Digitalcontent bislang noch verzichtet wird, lassen sich die Bewegtbildinhalte des Lifestyle-Magazins und des Wissensmagazins bereits problemlos über etliche digitale Plattformen abrufen, zum Beispiel in der Website-Mediathek, auf ProSieben.TV und bei YouTube. Trotz den steigenden Möglichkeiten, die Interessenten haben, um sich «taff» abseits des linearen Fernsehens anzuschauen, bleiben die Einschaltquoten der 17 Uhr-Sendung trotzdem seit Jahren konstant.

Die Abrufzahlen auf YouTube reichen von 25.000 bis zu 750.000 Aufrufen, «taff» zählt bereits großartige 650.000 Abonnenten sowie 900.000 Facebook-Fans, «Galileo» sogar 1,2 Millionen YouTube-Abos und eine Gefolgschaft von 2,15 Millionen Personen auf Facebook. Auch finanziell drückt sich das bereits in hübschen Summen aus: Glaubt man Einnahmenrechnern für YouTube kann «Galileo» mit Werbung auf der Videoplattform bis zu 40.000 Euro im Monat einnehmen. Ohnehin lassen sich der Erfolg von «taff» und «Galileo» im Internet sicher noch deutlicher im Digitalumsatz der ProSiebenSat.1-Gruppe ablesen. Nun sollten beide Formate dieses Potenzial voll ausschöpfen: Erste Experimente zum höheren Einbezug der Zuschauer wurden bereits durchgeführt: Erst im Februar bewarb «Galileo» im Rahmen einer interaktiven Themenwoche, in der Zuschauer im Rahmen verschiedener Szenarien abstimmen und damit Einfluss auf die Sendung nehmen konnten, beispielsweise intensiv seine App.

Um die Entwicklung eines inhaltlichen Profils bei seinen Sendern hat sich die ProSiebenSat.1-Gruppe in den vergangenen Jahren nicht gerade verdient gemacht, das zeigt am deutlichsten Sat.1, das langjährige Marken wie «taff» und «Galileo» nun schmerzlich vermisst. Dementsprechend ist es ProSieben zu wünschen, dass es die Bedeutung, die Formate wie die beiden Magazine für den Sender als Ganzes haben, erkennt und wertschätzt. Bei «taff» dürfte dies auch bei Betrachtung der guten Quoten nicht schwierig sein. Durch die stark veränderte Mediennutzung, insbesondere im Falle junger Menschen, sollte ProSieben nun verstärkt mit den Multiplikatoreffekten seiner Digitalplattformen rechnen. Setzt man diese Kanäle als Privatsender heutzutage richtig ein, raubt man König Quote damit seine Krone.

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