360 Grad

Counting Cro

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Am 5. Juni zeigen VIVA und MTV die Videopremiere von Cros "Traum" zwei Stunden lang am Stück. Julian Miller ist sich sicher: Da steckt eine ganz radikale Kunstaktion dahinter.

Früher, als ich dem TV-Business noch richtig naiv begegnet bin, habe ich ernsthaft gedacht, die Verantwortlichen eines Fernsehsenders wollen, dass man ihr Programm schaut, so häufig und so lange wie möglich.

Heute weiß ich es besser: Zumindest VIVA und MTV scheinen sich von dieser Vorstellung endgültig verabschiedet zu haben. Denn dort wird man am 5. Juni geschlagene zwei Stunden lang ein und denselben Clip zeigen: das Video zu Cros neuem Song „Traum“.

Ich hatte die Meldung erst für einen Scherz gehalten. Vielleicht verbirgt sich dahinter ja eine feingeistige Mediensatire à la Charles Schulzkowski, vielleicht habe ich eine dadaistisch angehauchte zweite Ebene übersehen, die uns mit zweistündiger Cro-Dauerbeschallung Botschaften über den gesellschaftlichen Verfall oder kulturelle Dekadenz übermitteln will, eine Performance, die im Kleinen Andy Warhols statische Filme nachzubauen versucht, um uns über die Alltäglichkeit von Kunst reflektieren zu lassen. Mit Cro als lebender Tomatensuppendose sozusagen.

Ich habe diese Gedanken sofort wieder verworfen. MTV und Pop Art. Was für 'ne bekloppte Vorstellung. Das ist doch nur eine billige PR-Aktion, diese zwei Stunden Cro am Stück, wie bei der chinesischen Wasserfolter, immer auf die selbe Stelle, wieder und wieder und wieder, bis man katatonisch in der Ecke sitzt und wimmert: „Bitte nicht mehr Cro. Macht, dass es aufhört.“

Aber Moment. Nein, so sind die bei MTV und VIVA nicht drauf. Die funktionieren ihre Sender doch nicht einfach zum animierten Testbild um, um einem gehypten Rapper ein wenig Holzhammer-PR mitzugeben. Sowas kann nur ein Zyniker wie ich denken. Das ist eine ganz avantgardistische Kunstaktion, die da gerade mit Cro läuft, ich schwör's dir, Baby. Genau nach einer Stunde, sechzehn Minuten und siebenundzwanzig Sekunden legt sicher Jonathan Meese die Panda-Maske ab, Werner Herzog stapft, als Klaus Kinski verkleidet, durchs Bild, während David Lynch „Ich brauch' Benzin, Baby!!!“ ins Mikro gröhlt.

Also ich bleibe die zwei Stunden dran. Ehrlich, Baby!

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