Die Kino-Kritiker

«The Wolf of Wall Street», oder: Wenn Partyfilm auf Finanzsatire trifft

von

Kritik des Monats Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio heulen mit den Wölfen, die sie zur Jagd freigeben: Die berauschende Finanzsatire «The Wolf of Wall Street» schockiert auf extrem unterhaltsamen Niveau.

Ein kontroverses Kunststück

Trotz hauptsächlich überaus positiver Kritikerresonanz wurde «The Wolf of Wall Street» in den USA auch Gegenstand einer mittleren Kontroverse: Der an Weihnachten gestartete Film wurde aufgrund seiner Freizügigkeit und der ausführlichen Drogenszenen von Moralhütern als für die Festtage unangebracht bezeichnet. Zudem unterstellte eine laute Minderheit unter den Kritikern Scorsese, er würde den Lebensstil Belforts zelebrieren, statt ihn zu kritisieren.
Es müsste schon unfassbar viel schief laufen, damit Meisterregisseur Martin Scorsese einen schlechten Film dreht. Der Schöpfer solcher Kino-Meilensteine wie «Taxi Driver», «Wie ein wilder Stier», «Goodfellas» oder «The Departed» zählt zu den verlässlichsten Lieferanten hoher Kinoqualität, weshalb für viele Cineasten die Frage längst nicht mehr lautet „Ist der neue Scorsese-Film gut?“, sondern „Wie gut ist der neue Scorsese-Film?“. Und im Falle der auf wahren Begebenheiten beruhenden, schwarzhumorigen und teils sehr dramatischen Komödie «The Wolf of Wall Street» lautet die Antwort auf eben jene Frage: Überwältigend!

Die umwerfende Stärke dieser bissigen und mitreißenden Finanzsatire beruht zu großen Teilen darauf, wie ekstatisch Scorsese seiner zwielichtigen, doch all zu begeisterungsfähigen Hauptfigur Jordan Belfort auf Schritt und Tritt folgt. Mit absurden Gags, frenetischer Musik und viel nackter Haut berichtet der Filmemacher von einer überaus fragwürdigen Erfolgsgeschichte:

Im Jahr 1987 nimmt der von Leonardo DiCaprio verkörperte, aus bürgerlichen Verhältnissen stammende New Yorker noch voller Bescheidenheit und ehrlicher Ambition einen Job an der Wall Street an. Dort wird der naive Börsenmarkler innerhalb kürzester Zeit vom hektischen Aktienhandel sowie den exzentrischen Egos seines Vorbilds Mark Hanna (in einer einprägenden Nebenrolle: Matthew McConaughey) mitgerissen. Als der große Crash von 1987 Jordan allerdings seine Anstellung kostet, sucht er wie im Fieber einen Weg zurück an die ihn so verlockende Börse. So heuert er bei einer kleinen Firma an, die auf dem schlecht regulierten Markt für Billig-Aktien aktiv ist, wo die Provisionen bis zu 50 Prozent betragen. Von diesem Fakt angespornt, dreht Überzeugungskünstler Belfort ahnungslosen Kleinanlegern Massen von wertlosen Firmenanteilen an – und verdient sich damit ein goldenes Näschen.

Gemeinsam mit einigen Freunden gründet Belford wenige Zeit später das Unternehmen Stratton Oakmont, das sich meisterlich darauf versteht, das Schlupfloch auf dem „Penny Stocks“-Aktienmarkt auszunutzen. Selbst negative Presse und erste Ermittlungen des FBI können Belfort sowie seine Vertrauten nicht aufhalten, so dass sie zu den reichsten Männern des Landes aufsteigen. Besonders Belfort genießt sein rechtlich fragwürdiges Luxusleben in vollen Zügen – er verfällt in einen endlos scheinenden Rausch aus Geld, Sex, Drogen und exzentrischen Verrücktheiten, der ihn immer mehr an den Rand der Legalität rücken und die Augen vor den Konsequenzen verschließen lässt …

Scorseses rasanter Ausflug in die von Partys, absurden Scherereien und Rechtsverdreherei geprägte Welt des Finanzverbrechens profitiert davon, dass es sich dabei nicht nur um die Geschichte einer energischen Persönlichkeit handelt, sondern sie auch von einer ebensolchen getragen wird: Seit 2007 zählt die Adaption von Jordan Belforts Memoiren zu den wichtigsten Wunschprojekten Leonardo DiCaprios, der erbittert um die Filmrechte kämpfte und sich bei mehreren Studios für die Produktion einsetzte. DiCaprios Passion für die Thematik ist dem Superstar auf der Leinwand durchgehend anzumerken.

Nie zuvor spielte Scorseses jüngste Muse («The Wolf of Wall Street» ist die mittlerweile fünfte Zusammenarbeit des Gespanns) so losgelöst wie in diesem hemmungslosen Biopic. Egal, ob er mit verschmitztem Funkeln in den Augen zum Zuschauer spricht, um ihn als Komplizen bei all seinen Betrügereien auf seine Seite zu ziehen, oder ob er sich all seinem Charisma entledigt, wenn er manisch keifend mit seinem Supermodel von Ehefrau streitet: Der längst von seinem Image als «Titanic»-Schönling entrückte Golden-Globe-Preisträger agiert von der ersten Filmminute an mit vollstem Temperament und schafft dank ansteckendem Eifer so etwas wie die pervertierte Neuzeit-Antwort auf seine Titelrolle in «Der große Gatsby».

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