Die Kritiker

«Der Fall Chodorkowski»

von

Der BR beschäftigt sich in einer sehenswerten Doku mit dem ehemaligen russischen Ölkonzernbesitzer Michail Chodorkowski.

Die Dokumentation «Der Fall Chodorkowski» rollt den Fall vom ehemaligen russischen Ölkonzernbesitzer Michail Chodorkowski neu auf. Dieser wurde 2003 von der russischen Justiz wegen Korruption und Steuerhinterziehung verurteilt und in ein sibirisches Gefängnis gesperrt. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob der Ölmulti zu Recht im Gefängnis sitzt, oder ob die Regierung Indizien und Beweise gefälscht hat, um den ungeliebten Putingegner aus dem Verkehr zu ziehen.

Man merkt es der Doku in den ersten 15 Minuten durchaus an, dass die Macher eigentlich mit Putin und seiner Politik abrechnen wollten. Der Unterton ist scharf und es werden einige Gespräche gezeigt, in denen sich die Regierung nicht zum Fall äußern wollte. Eigentlich sind die Weichen schon auf eine Hetze gegen die russische Regierung gestellt, da macht der Film plötzlich eine 360-Grad-Drehung und beginnt den Chodorkowskis Geschichte von Anfang an zu erzählen. Dabei ist sie sehr detailliert und vor allem bemerkenswert differenziert. Von seinen Studienanfängen bis hin zu seinem zweiten Gerichtsverfahren erlebt der Zuschauer von verschiedenen Seiten die Geschichte des JUKOS-Chefs. Geführt wird er dabei von einer Reihe interessanter und gut gewählter Interviewpartner. Für ganz persönliche Ansichten sorgen dabei die Erzählungen seiner Familie, interne Firmenabläufe werden von seinen Geschäftspartnern geschildert, die Gegenseite kommt dank eines Wirtschaftsberaters der Regierung zu Wort und sogar eine Meinung von außen ist mit Joschka Fischer vertreten.

Dem Zuschauer wird dank dieser Vielfalt an Interviewpartnern trotzt des anhaltenden „Gegen Putin“ Unterton auch die Möglichkeit gegeben eine Seite von Chodorkowski kenne zu lernen, die so in den Westlichem Medien keinen Platz fand. Das journalistische Streben nach Objektivität wird sehr gut eingehalten. Natürlich sorgt eine solche Genauigkeit und weite Betrachtung des Themas aber auch für recht schweren Stoff. Der Dokumentation zwei Stunden lang zu folgen fällt nicht immer leicht, leider auch, weil als Übersetzung nur ein Untertitel zur Verfügung steht. Zudem ist die Inszenierung sehr trocken gehalten. Einen Großteil der Zeit nehmen die Interviews ein. Untermalt werden diese dann von passenden Bildern. Szenen, wie die Festnahme von Chodorkowski werden in hübsch anzusehenden schwarz-weiß 3D Animationen dargestellt, hin und wieder kommen der Erzähler oder Ausschnitte aus dem russischen TV zu Wort. Nur an wenigen Stellen lässt der Film Gefühle zu. Zum Beispiel als der deutsche Reporter in Moskau Angst um sein Leben hat oder bei einem Interview mit Chodorkowski im Gerichtssaal. Diese trockene Inszenierung ist nicht für jeden etwas, trägt aber zur Neutralität enorm viel bei.

Vielleicht ist es aber auch gar nicht möglich ein so Komplexes und schon Jahre dauerndes Thema in einer objektiven Weise noch leichter zu präsentieren. Denn eines muss man festhalten. «Der Fall Chodorkowski» ist von journalistischer Seite aus gesehen ein sehr gutes Werk. Man merkt wie viel Recherchearbeit und Herzblut die Macher um Cyril Tuschi in die Interviews gesteckt haben. Besonders mit dem Wissen, dass es in Russland nicht immer leicht ist, journalistisch zu arbeiten kann man das Endprodukt als tolle Arbeit bezeichnen.

Der Zuschauer sollte auf jeden Fall wissen, worauf er sich einlässt, wenn er «Der Fall Chodorkowski» schaut. Mit klassischer Unterhaltung in Bild, Ton und Emotion darf er hier nicht rechnen. Viel mehr schwingt die Unterhaltung auf eine subtile und ungewohnte Weise mit. Den Aufstieg und Fall eines Ölmultis in Russland so detailliert miterleben zu können hat auf seine Art etwas was Besonderes. Wer bereit ist, sich auf die zweitweise auch anstrengende Dokumentation einzulassen ist am Ende nicht nur schlauer, sondern beginnt von selbst diese auch noch mal zu hinterfragen.

Die Dokumentation «Der Fall Chodorkowski» läuft am Dienstag dem 22. Oktober im Bayerischen Fernsehen.

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