Rob Vegas

Interview: Twitter vs. Gagschreiber

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Im Netz findet man zu jeder aktuellen Schlagzeile einen Gag. Im Fernsehen dagegen gibt es den Beruf des professionellen Gagschreibers. Belebt die neue Konkurrenz das klassische Geschäft?

Ich bin kein waschechter Journalist. Vielmehr betreue ich seit Jahren den Fake-Account von Harald Schmidt auf Twitter und veröffentliche als Rob Vegas selbst Gags und Sprüche auf meinem Profil. Sind damit User wie ich auch gleichzeitig Gagschreiber? Oder graben Tweets dem klassischen Geschäftsmodell gar das Wasser ab? Ist es vielleicht sogar dumm seinen Humor zu verschenken? Immer öfter finden sich abgewandelte Tweets später am Tag in TV-Produktionen wieder. Allein über diese ganzen Fragen könnte ich nun selbst eine Kolumne verfassen. Nur warum nur selbst seinen Senf abgeben?

Genau aus diesem Grund habe ich Christian Eisert für ein Interview kontaktiert. Deutschlands wohl bekanntester Gagschreiber. Wie denkt er über das Netz, Twitter und neue Themen aus dem Internet?

Was zahlen eigentlich Shows für einen guten Gag?

Überwiegend Geld. Faustregel sind 100 Euro +/- 20. Es gibt auch Produktionen, die eine Antrittspauschale zahlen und zusätzlich einen Bonus, wenn ein Gag genommen wird.

Noch immer ist Gagschreiber also ein Beruf. Hat sich durch das Internet der Markt für Sie verändert?

Was heißt noch immer? Schon lange! Shakespeare fing als Gagschreiber an. Ich arbeite seit 2004 als Gagautor fürs Fernsehen. Schon damals gab es Internet. Die Zeiten, in denen Gags noch per Fax verschickt wurden, habe ich nicht miterlebt. Das Produktionsprozedere hat sich also für mich in all den Jahren nicht geändert. Facebook hin, Twitter her. Einzige Änderung ist vielleicht, dass es von Produktionsseite mehr Hinweise gibt, welche Gags schon im Umlauf sind. Und, dass Internet-Videos nicht mehr ruckeln. Aber das kommt ja bald wieder.

Besonders Twitter ist heute bei jeder aktuellen Schlagzeile ein sicherer Gag-Lieferant. Kostenlos verschenken die Menschen lustige und kurze Gags an die Welt. Wie sehen Sie diese kostenlose Verteilung von Humor?

Die Gags sind ja nicht kostenlos. Nur misst sich der Lohn für Gags bei Twitter nicht in Geld, sondern in Aufmerksamkeit, Anerkennung und 23.442 Followern. Was dabei verschenkt wird, ist die Zeit, die Twitter-Nutzer brauchen, um in all den „Endlich Wochenende“- und „Samstag ist der Sonntag des kleinen Mannes“-Tweets einen wirklich guten Gag zu entdecken. Über die Jahre hat man die Menschen an einen unablässigen Content-Strom gewöhnt, der nun in Zukunft - direkt oder indirekt - immer stärker bewirtschaftet werden wird. Siehe gesponserte Posts bei Facebook oder die Einschränkung der Flatrate.


Wird durch Twitter der Beruf des Gagschreibers gar überflüssig werden?

Meine Kollegen und ich sind hochspezialisierte Fachkräfte, die in der Lage sind, zu einem gewünschten Thema, zu einem bestimmten Zeitpunkt Kunden aller Couleur zu bedienen. Und zwar unabhängig von Lust und Laune. Das unterscheidet uns von den meisten Twitterern. Anders ausgedrückt: Twitterer sind Lebensabschnittsgefährten, Gagschreiber Humorhuren.

Bekannte Gagschreiber wie Sie schreiben Gags meist basierend auf Nachrichten. Bemerken Sie auf Twitter neue Methoden einen Gag anders zu formulieren?

Nun ja, Twitter-Gags sind selten länger als 140 Zeichen… Der Zwang zur Kürze oft führt dazu, dass die Themeneinführung, der erste Teil eines Gags, oft weggelassen beziehungsweise durch ein Hashtag ersetzt wird. Eine originäre Twitter-Gagform ist der Hashtag als Pointe. Die dann ganz reduziert auflöst, was man im Satz davor an Erwartung aufgebaut hat. Inhaltlich werden neben aktuellem Geschehen eigene Alltagsprobleme und persönliche Weltsichten thematisiert. Durch Zuspitzung, Übertreibung und Auslese suggerieren Twitterer gerne ein aufregenderes, skurrileres Leben als sie in Wahrheit haben. Auch die Möglichkeit seine vermeintliche Originalität auszustellen, spielt eine wichtige Rolle. Größter Unterschied: Der Urheber des Gags tritt anders als bei TV-Shows auch als Verwerter in Erscheinung. Wobei professionell betriebene Accounts durchaus auch von Ghostwritern bestückt werden.

Ist Twitter eine Inspirationsquelle?


Für mich nicht.

Würden Sie sich kostenlos bei einer Gagidee auf Twitter bedienen und ihn dann abgewandelt an TV-Shows verkaufen?

Man könnte jetzt eine Diskussion um geistiges Eigentum anfangen. Die Gründe, dass ich mich nicht um Gags bei Twitter kümmere, sind viel pragmatischer. Es engt nur ein, zu wissen, was andere geschrieben haben. Bestenfalls kümmert sich der Entscheider in der Produktionsfirma, der später die Gags für die Sendung auswählt, darum, welche Gags die Masse gerade generiert. Und sortiert aus. Oder er gibt schon bei der Herausgabe der Themen einen Hinweis, welche Pointen bereits am Markt sind.

Gerade bei Harald Schmidt und Stefan Raab fällt einem eine neue Problematik auf. Man greift heute in den Gags immer noch gern auf Standards wie den "Jopi-Heesters-Gag" oder "Bonusmeilen der Lufthansa" zurück. Neue Themen wie Facebook und Pointen mit Bezug auf das Internet findet man kaum. Würde man es den älteren Moderatoren nicht abnehmen?

Das kann ich so nicht bestätigen. Soziale Netzwerke sind regelmäßig Gegenstand von Gags bei Schmidt, Raab & Co. Vergessen darf man nicht: Pro Sieben ist zwar der Vollprogrammsender mit dem jüngsten Durchschnittspublikum. Aber das ist eben auch schon 35. Und für die übrigen Sender geht es dann erst kurz vor oder über der 50er-Marke weiter. Das heißt, um eine breites Publikum anszusprechen kann, wird und muss von Seiten der Gagproduktion mit einem ganz anderen Zuschauer-Vorwissen gespielt werden, als bei Menschen, die bei „Kohl“ nur an Gemüse denken. Dass zum Beispiel Harald Schmidt kein Social-Media-User ist, merkt man natürlich. Das erlaubt aber auch einen distanzierten Blick auf diese Kommunikationsform und ihre gelegentlichen Auswüchse.

Meiner Erfahrung nach sind die einfachsten und blödesten Gags oft die mit dem größten Erfolg. Manchmal sitzt man aber als Gagschreiber an einem Gag, welcher ein persönliches Highlight ist und trotzdem geht er beim Publikum komplett unter. Welcher Ihrer Gags ist pures Gold, aber beim Publikum unverständlicherweise komplett durchgefallen?

Ein Gag funktioniert beim Publikum nur, wenn er gut geschrieben UND gut präsentiert wird. TV-Gagschreiber sind nur für 50 % des Lacherfolgs verantwortlich. Das wird schnell vergessen, wenn Leute mitbekommen, dass Comedians Autoren haben. Dann wird gern geschlussfolgert: „Ach, und der Harald Schmidt macht gar nichts selbst?“ Einer entscheidet und repräsentiert beim Capitain’s Dinner, der andere schuftet im Maschinenraum. Damit die Passagiere glücklich sind, braucht es beide. Und die wenigen meiner Gags, die seit 2004 bei den Zuschauern durchfielen, waren – selbstverständlich – gut geschrieben.

Herr Eisert, herzlichen Dank für das Gespräch!

Mehr Informationen zu Christian Eisert finden Sie auf seiner Webseite.

Kurz-URL: qmde.de/63472
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