360 Grad

Die neue Anspruchslosigkeit

von
Das ZDF geht einen weiteren Schritt weg vom intellektuellen Anspruch hin zur Massentauglichkeit. Ein Kommentar von Julian Miller.

Anspruch und Fernsehen zu kombinieren, ist zumindest dem Ruf des Mediums nach schwierig geworden.

Mittlerweile tut auch das ZDF sein Möglichstes, um genau diesem Ruf gerecht zu werden. Ein Paradebeispiel für diese Entwicklung ist sicherlich die erfolgreich laufende Talk-Show mit Markus Lanz, die Medienbeobachter Stefan Niggemeier in seinem Blog so treffend zusammengefasst hat, wie dies kaum jemand anderem hätte gelingen können, und dabei in dem Moderator „eine Fassade moderner Munterkeit“ ausmachte, hinter der das Spießbürgertum par excellence verborgen liegt.

Lanz ist niemand, für den man gezielt einschaltet, sondern vielmehr jemand, den man nicht ablehnt – weil er trotz seiner penetranten Nachhakerei bei völlig sinnlosen aber boulevardesk gut verwertbaren Punkten, was ihm von manchen als interessiert ausgelegt wird, dem ewigen Grinsen und dem wahrnehmbaren Anspruch, in seiner Sendung auch ein Stück weit die Stimme seiner Zuschauerklientel zu verkörpern, niemandem einen Grund liefern würde, ihn abzulehnen. Er ist der Fleisch gewordene kleinste gemeinsame Nenner. Nicht zu jung, nicht zu extrovertiert, nicht zu intellektuell, nicht zu anspruchsvoll, weder zu konservativ noch zu liberal, erst recht nicht revolutionär, sondern bejahend, wo es nur geht. Seine einzige Stärke ist die, dass sich viele Zuschauer auf ihn als Nullpunkt einigen können. „Das Fernsehen ist ein Massenmedium. Wenn du dort zu sehr polarisierst, ist es schön fürs Feuilleton, aber die Leute lassen dich dann vielleicht nicht mehr so gern ins Wohnzimmer“, hat er vor einigen Jahren zum „Stern“ gesagt. Und an diese Sätze hält er sich in seiner Sendung auch. Koste es, was es wolle.

Wie das Resultat dann aussieht, ist bekannt. «Markus Lanz» ist der Versuch, Intellektuelle, Schauspieler, Fachleute, gediegene Staatsmänner sowie Ex-9Live- und Dschungelcamppersonal auf einer Bühne zu versammeln. Man guckt's, weil einen zumindest einer der Gäste (je nach Belieben der Philosoph mit den viel zitierten Klavierspielerhänden oder die Dschungeltante, die in neun von zehn Fällen finanziell am Boden ist) interessiert, und erträgt dafür auch den Versuch von Lanz, investigativ zu wirken. Natürlich tut er das nie, wenn es thematisch interessant wäre, sondern eher, wenn sich daraus eine Geschichte zum Menscheln stricken lässt. Ex-9Live-Moderatorin Alida Kurras hat er deutlich ausufernder nach ihren Erfahrungen beim Männer-Schön-Saufen als nach den dubiosen Praktiken ihres ehemaligen Arbeitgebers befragt; als Pirat Christopher Lauer zu Gast war, hat er sich für einen Moment lang dem unteren intellektuellen Drittel seiner Zuschauerschaft angepasst, und das mit dem gläsernen Politiker (vielleicht auch nur für die Dramaturgie der Sendung) nicht so richtig verstanden, woraufhin Lauer ihm erklären musste, dass wohl ein Unterschied zwischen der Transparenz politischer Prozesse und dem boulevardesken Ausschlachten des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens besteht. Mitdenken ist zweitrangig, Mitfühlen und Suggestion scheinen dagegen oberste Priorität zu haben.

Aber «Markus Lanz» ist nur die Spitze des Eisbergs von dem, was beim ZDF mittlerweile als politische und gesellschaftliche Relevanz durchgeht. Denn im Frühjahr hat man mit «Das Philosophische Quartett», in dem sich Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk, zwei der präsentesten und sicherlich auch relevantesten Vordenker des Landes, mit ihren Gästen über hoch intellektuelle Themen unterhielten, recht abrupt eines der wenigen Formate des Senders beendet, das einen derart hohen Anspruch hatte, dass es offenkundig war, dass die Sendung nur für eine Randzielgruppe interessant sein konnte.

Doch das ZDF hat die Philosophie als Thema nicht abgeschrieben. Es will sie nur anders umsetzen. Volkstauglicher, wie es angesichts der Meldung scheint, dass man sich mit Richard David Precht jemanden geholt hat, der es sich zur (durchaus löblichen) Aufgabe gemacht hat, philosophische Grundsatzprobleme einer breiten Masse zu vermitteln. Derart anspruchsvolle und detaillierte Diskussionen wie zu Zeiten des «Philosophischen Quartetts» scheinen angesichts der geplanten Ausrichtung der neuen Precht-Sendung allerdings unwahrscheinlich.

Daran lässt sich vielleicht ein Trend ablesen: Weg vom Anspruch, hin zur Massentauglichkeit. Weg vom differenzierten Austausch über vertrackte und schwer verständliche Sachverhalte hin zum Verdaulichmachen komplexer Inhalte für eine möglichst große Zuschauerschaft, die die Bildungselite nun nahezu völlig ausklammert. Oder soll diese nur zu ZDFneo und ZDFkultur ausgelagert werden?

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

Kurz-URL: qmde.de/58120
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelRTL besorgt sich Nachschub für den Donnerstagnächster Artikel«Popstars» gibt weiter ab

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung