Popcorn & Rollenwechsel

Der Anti-Oscar

von
Die Goldene Himbeere verliehen, und unser Kolumnist verrät, wieso es so viele Journalisten interessiert.

Die vergangenen Jahre über haben mich die Academy Awards immer mehr in ihren Bann gezogen, vollkommen unabhängig davon, welche Filme überhaupt nominiert sind und wie sehr ich dem entsprechend überhaupt in den wichtigsten Kategorien mitfiebern konnte. 2009 waren die meiner Meinung nach besten Filme des Vorjahres, «The Dark Knight» und «WALL•E» nichtmal als bester Film nominiert, dennoch fand ich es eine spannende und unterhaltsame Nacht. Obwohl ich die meisten anderen Preisverleihungen staubtrocken oder peinlich finde. Dieses Jahr habe ich mich, auch aufgrund meiner Tätigkeit hier bei Quotenmeter, mehr denn je in die Oscar-Historie gestürzt, Statistiken gewälzt und über die nominierten Filme sinniert. Auch wenn mir der letztjährige Thrill fehlt, weil ich unbedingt «Inglourious Basterds» als großen Gewinner des Abends sehen wollte.

Aufgrund meiner diesjährigen Überdosis an Oscar-Berichterstattung sowie -Recherche realisierte ich Samstagnacht plötzlich, dass ich die Goldene Himbeere aus einem vollkommen neuen Winkel betrachtete. Der prominente Scherzpreis, der seit mittlerweile 31 Jahren an die schlechtesten (oder ungeachtetsten) Leistungen Hollywoods geht, ist mittlerweile eine Karikatur seiner selbst. Früher wurden wirklich peinliche Produktionen wie das fiktionale Kriegsdrama «Inchon» oder der Trash-Erotikkult «Showgirls», in späteren Jahren bestrafte man vorsätzlich anspruchslose Filme, um die ein großer Hype entstand. Irgendwann schien der Witz aus der Himbeere zu weichen, zu häufig schlug man schlicht auf altbekannte Opfer dieses Filmpreises ein. Paris Hilton etwa spielte in «Repo! The Genetic Opera» hauptsächlich sich selbst (bloß mit schwarzen Haaren), allerdings wurde sie darin so gut eingesetzt, dass eine Nominierung für die Himbeere bloß noch ein Running Gag war.

Und trotzdem habe ich mich dieses Jahr so sehr über die Verleihung der Hombeere gefreut, wie nie zuvor. Endlich habe ich verstanden, wieso sich dieser Anti-Oscar durch Medienjournalisten zu einer festen Institution in der Kinowelt hocharbeiten konnte. Nach wochenlangen Medienberichten über «The Social Network», «Inception» und «The King‘s Speech», Artikeln über Gewinnchancen gelungener Filme und Oscar hier sowie Oscar da… ist es eine Wohltat, endlich mal über andere Filme zu berichten. Lästern zu dürfen. Die Goldene Himbeere ist vor allem filmjournalistische Selbsttherapie. Kein Wunder, dass vor 31 Jahren, als der Publizist John J. B. Wilson Pressemitteilungen über seine Anti-Preisverleihung veröffentlichte, sich einige Zeitungen darauf stürzten. Jährlich wurde die Zeremonie immer größer, immer mehr Journalisten berichteten darüber, bis sie schließlich im vierten Jahr selbst von CNN berücksichtigt wurde.

Die Liste der Gewinner (?) der diesjährigen Goldenen Himbeere, liest sich für mich unter dem Eindruck meiner neu gewonnenen Perspektive trotzdem wie eine wilde Mischung aus verdienter Bestrafung und langsam an Witzigkeit verlierender Dauerhäme. Dass M. Night Shyamalans «Die Legende von Aang» nach all den bösen Verrissen als schlechtester Film ausgezeichnet wurde und obendrein Trophäen für die schlechteste Regie, das schlechteste Drehbuch und das am meisten die Augen verletzende 3D erhielt, war vorherzusehen. Möglicherweise war es auch verdient. Jedoch ist klar, dass der Film auch deswegen abgestraft wurde, weil Shyamalan ein leichtes Ziel geworden ist. Ich hätte ja «Kindsköpfe» mit der Himbeere prämiert, aber weil Adam Sandler und Co. derzeit nicht im Fokus medienjournalistischer Abneigungen stehen, wurde die Komödie gerade Mal für eine Himbeere nominiert.

Die Darstellerpreise sprechen noch eindeutiger dafür, dass einfach ungeliebte Personen prämiert werden. Ashton Kutcher wurde als schlechtester Hauptdarsteller gewählt, und auch wenn er in «Valentinstag» nicht sonderlich gut war, so gab es deutlich schlechtere. Ähnliches gilt für Jessica Alba, die schlechteste Nebendarstellerin (u.a. in «Valentinstag» und «Machete»). Jackson Rathbone wurde als Nebendarsteller abgestraft, weil er in «New Moon» und «Die Legende von Aang» mitspielte. Und das weibliche Ensemble von «Sex and the City 2» erhielt die Himbeere als schlechteste Hauptdarstellerinnen, sowie (zusammen mit der restlichen Besetzung) als schlechtester Cast. «Sex and the City 2» wurde dann auch prompt als schlechteste Fortsetzung prämiert. Strafe für einen erfolgreichen, doch schlechten Film? Oder stimmten genervte Ehemänner ab?

Die Goldene Himbeere könnte ihren alten Witz gebrauchen, müsste wieder unvorhersehbarer werden, um wirklich interessant und spannend zu sein. Aber so lange es sie gibt, werden sich mitten in der Oscar-Saison weiter Filmjournalisten auf sie stürzen. Jetzt kann ich sogar nachvollziehen, weshalb. Sie ist ein willkommener Nutznießer der Academy Awards. Wie gesagt, nur witzig dürfte sie gerne wieder werden…

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