Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: Wohnzimmerpolitik

von

Quotenmeter.de erinnert heute an die chaotische Politikshow mit Steffen Hallaschka.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir der Talkshow, die direkt aus dem Wohnzimmer der Macht kam.

«Kanzlerbungalow» wurde am 08. Mai 2003 im WDR geboren und sollte eine Politikshow für die junge Zielgruppe werden, der eine immer stärker werdende Politikverdrossenheit zugesprochen wurde. Daher versuchte die verantwortliche Redaktion alles, um eben nicht wie die altbackenen Talkshows auszusehen. Am auffälligsten war dabei die Wahl des Produktionsortes. Das neue Format wurde nämlich nicht aus einem Studio, sondern dem ehemaligen Wohnhaus des jeweils amtierenden Bundeskanzlers gesendet. In dem Flachdach-Gebäude in der Bonner Adenauerallee wohnten zwischen 1964 und 1999 mit Ludwig Erhardt, Kurt Georg Kiesinger, Helmut Schmidt und Helmut Kohl insgesamt vier Kanzler. Lediglich Willy Brandt verweigerte den Einzug in das umstrittene Bauwerk. Seit dem Regierungsumzug und der Machtübernahme durch Gerhard Schröder wurde das 615 Quadratmeter große Haus nicht mehr als Wohnsitz für den Regierungschef genutzt.

Anders war auch der Inhalt der Sendung. Die Gäste wurden vor laufenden Kameras zum Alkohol verführt, durch die geschichtsträchtige Kulisse gescheucht oder mit albernen Fragen gelöchert. Es ging insgesamt recht chaotisch zu, denn das Team jagte zuweilen scheinbar ziellos durch das große Gebäude, platzierte Interviewpartner an weit entfernten Orten zueinander und spickte das Treiben mit wilden Einspielern. Dennoch hatte die Sendung viele informative Momente und trotz aller Albernheiten einen gewissen Tiefgang, der nie komplett aus den Augen verloren wurde. Dies lag vor allem am Moderator Steffen Hallaschka. Dank seiner umfangreichen Live-Erfahrung im Fernsehen und Radio war er stets der ruhende Pol der Sendung und schaffte es die verwirrenden Stränge halbwegs zusammenzuhalten. Ganz nebenbei entlockte er seinen Gästen in der entspannten Atmosphäre immer wieder interessante Aussagen. Für seine Moderation erhielt er später eine Nominierung für den Grimme-Preis. Ihm zur Seite stand die Radiomoderatorin Patricia Pantel sowie der ehemalige VIVA-Chaot Michael Wigge, der vor allem für die Zuspieler zuständig war.

Eingeladen waren meist junge und unbekanntere Politiker, die eher die Zielgruppe der Sendung repräsentierten. Doch auch namenhafte Größen wie Oskar Lafontaine, Guido Westerwelle oder Filmemacher Michael Moore hatten einen Auftritt – wenn zum Teil auch nur in einem Einspielfilm.

Die 45-minütige Live-Sendung lief am Donnerstagabend um 23.00 Uhr im Regionalfernsehen des WDR und war selbst dort kein übermäßiger Erfolg. Zu ungünstig waren wohl der Sender als auch die Ausstrahlungszeit und zu konfus die Zusammenstellung. Nach der Sommerpause kehrte das Format daher mit verkürzter Sendezeit und leicht verändertem Konzept zurück. Ziel war es fortan, den historischen Schauplatz mehr ins Zentrum zu rücken und den Generationenkonflikt stärker aufzugreifen. Kurz, die Sendung öffnete sich nun auch älteren Zuschauern. Doch auch diese Maßnahme brachte nicht den erhofften Umschwung, sodass der WDR den einjährigen Mietvertrag für den Bungalow nicht verlängerte.

«Kanzlerbungalow» wurde Ende 2003 beerdigt und erreichte ein Alter von 24 Folgen. Die Show hinterließ den Moderator Steffen Hallaschka, der nach zahlreichen NDR-Magazinen ab Januar 2011 Günther Jauch bei «Stern TV» ablösen wird. Patricia Pantel moderiert hingegen weiter beim RBB-Sender Radio eins. Michael Wigge lief im Jahr 2009 ohne Geld innerhalb von 150 Tagen von Berlin zur Antarktis und produzierte darüber eine Reportagereihe, für die er mit dem «ZDF Videojournalistenpreis» ausgezeichnet wurde.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann der außeririschen Sitcom von Jochen Busse.

Kurz-URL: qmde.de/45470
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