Hingeschaut

Prostituierte, Transvestiten und die Erderwärmung

von
«Boston Legal» ist zurück. Christian Richter sah den Auftakt zur neuen Staffel.

«Boston Legal» ist zurück. Und damit auch Alan Shore (James Spader), Shirley Schmidt (Candice Bergen) und natürlich Danny Crane (William Shatner). Über eineinhalb Jahre mussten die Fans auf neue Geschichten aus der Bostoner Anwaltskanzlei Crane, Poole und Schmidt warten, dafür wurden sie jedoch mit einer extra-langen Episode entschädigt, die über eine Stunde Nettolaufzeit hatte. Viel Sendezeit für zahlreiche Verwicklungen. Besser als mit den Worten der Figur von Danny Crane lässt sich der Auftakt nicht beschreiben: „Es fängt schon wieder an.“

Einiges ist in der nunmehr vierten Staffel neu, vieles ist gleich. Geblieben sind die üblichen Eskapaden um Geld, Nutten und die Unterdrückung vermeintlich schwacher Menschen. Auch der anklagende Ton gegenüber der Ignoranz und Unrechtmäßigkeit der amerikanischen Regierung ist noch vorhanden und macht die Serie auch weiterhin zu einem aktuell-politischem Plädoyer für eine bessere Zukunft. Zwar nur minimal, aber immerhin. Diesmal erhebt sich Anwalt Alan Shore leidenschaftlich gegen die Ölkonzerne, die versuchen Umweltstudien zu unterlaufen.

Mit Autor David E. Kelley und Regisseur Bill D’Elia arbeitete das bewährte Team einmal mehr zusammen. Kelley’s Serien neigen dazu, nach einer gewissen Laufzeit abzudrehen. Sobald ein Ende in Sicht ist, werden die Geschichten oft abstruser und die Figuren liebloser. Dies ist bisher bei «Boston Legal» glücklicherweise noch nicht zu erkennen. Charakteristisch für seine Formate ist zudem ein abruptes Kommen-und-Gehen von Hauptfiguren. Mit dem Weggang von Paul Lewiston (Rene Auberjonois), Denise Bauer (Julie Bowen) und Claire Simms (Constance Zimmer) wurde Kelley auch im Wechsel zwischen Staffel drei und vier diesem Ruf gereicht. Dafür sprangen gleich drei neue Figuren in die Hauptbesetzung.



Mit John Larroquette als Carl Sack wurde das Team um ein prominentes Gesicht erweitert. Der fünffache Emmy-Gewinner wurde durch die langlebige Sitcom «Harrys wundersames Strafgericht» bekannt und tauchte zudem in mehren Kinofilmen auf. Witzigerweise war er auch in der Anwaltsserie «Practice – Die Anwälte» zu sehen, aus der «Boston Legal» ursprünglich hervorging, jedoch dort als ein anderer Charakter. Sack kommt aus dem New Yorker Büro in die Bostoner Zweigstelle und soll dort für Ordnung sorgen. Dass er dabei auf wenig Gegenliebe stößt, ist von vornherein klar. Die Figur bietet sicherlich das meiste Potential für interessante und witzige Verwicklungen unter den drei neuen Gesichtern. Vor allem weil der wahre Grund für seinen Wechsel nach Boston erst zum Schluss der Episode offenbart wird.

Zudem wird die Figur des am Asperger Syndrom leidenden Jerry Espenson (Christian Clemenson) ins Hauptcast befördert und darf nun auch ohne Alan Shore Fälle vertreten. Es ist zu hoffen, dass der Charakter dadurch nicht zu überreizt wird. Die Serie lebt vor allem von den kleinen skurrilen Figuren, die sich trotz ihrer Mängel immer wieder durchsetzen können und dabei sympathisch bleiben. Dieses Erfolgsrezept machte schon die früheren Kelley-Serien wie «Ally McBeal» oder «Picket Fences» zum Erfolg. Herzstück der Serie bleibt aber auch bei den neuen Folgen die Männerfreundschaft zwischen Alan Shore und Danny Crane, die immer sonderbarer und intimer wird und für die witzigsten Momente sorgt.

Geteilter Meinung kann man nach wie vor über die nervöse Kameraführung der Produktion sein, die sich im Laufe der Jahre zu einem eigenen Markenzeichen der Serie entwickelt hat. Allerdings war hier im Vergleich zu den vorherigen Staffeln keine große Änderung zu erkennen. Wie schon in den 68 Folgen davor wird diese bei den Gerichtsverhandlungen und hektischen Ereignissen angewandt, während in ruhigen Dialogen und emotionalen Moment weitesgehend auf sie verzichtet wird.

Bedauerlich bleibt nach wie vor, dass VOX der Serie einen derart unprominenten Sendeplatz verpasst hat, auch wenn die Quoten den Programmplanern bisher recht geben. Dass der Sender die hochwertige Serie am späten Montagabend bis nach Mitternacht zeigt, gleicht trotzdem einer Verschwendung. Wenigstens wurden die tapfer wachgebliebenen Fans mit nur einer Werbeunterbrechung während der XXL-Folge belohnt.

Die vierte Staffel von «Boston Legal» beginnt leider mit einer relativ schwachen Folge. Nicht schlecht, aber auch nicht grandios. Die Geschichten um unwissendliche Prostitution, Durchsetzung des eigenen Willens, begehrenswerten Anwälte und die Anprangerung der Großkonzerne waren allesamt schon vorher zu sehen und zumeist besser. Vergleicht man diese Episode mit dem starken Auftakt zur dritten Staffel, bleibt zu hoffen, dass die Macher in den noch verbliebenen 32 Episoden bis zum endgültigen Ende eine Schippe drauflegen, sonst ist zu befürchten, dass die Serie im Meer der allgegenwärtigen Seichtigkeiten untergeht. Erst recht um kurz vor Mitternacht.

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