Die Kritiker

«Ein Sommer mit Paul»

von

Story


Seit Raimund Balsams Frau als Fotografin im Kosovo erschossen wurde, muss er sich alleine um seinen zwölfjährigen Sohn Paul kümmern. Die beiden schlagen sich mit gelegentlichen Zauberauftritten durchs Leben und Balsam versucht, seinem Sohn ein guter Vater zu sein. Dabei steht er sich vor allem selber im Weg, denn aus Stolz lehnt Balsam jede Hilfe aus der Familie ab und ertränkt sein Selbstmitleid und seinen Kummer im Alkohol. Als Paul bei einem Unfall verletzt wird, muss sich Raimund der Realität stellen: Wenn er nicht anfängt, sein Leben grundlegend zu verändern, wird ihm vom Jugendamt das Sorgerecht aberkannt. Doch soweit kommt es nicht, denn Paul entschließt sich von selbst, auszuziehen.

Darsteller


Matthias Brandt («Contergan») ist Raimund Balsam
Max Schmuckert («Mickey & Maria») ist Paul Balsam
Samuel Finzi («Ein ganz gewöhnlicher Jude», «Das Wunder von Bern») ist Dr. Ludwig Horn
Anna Thalbach («Der Baader Meinhof Komplex») ist Antonia Sprenger
Tamara Simunovic («Kommissarin Lucas») ist Frau Troger
Livia Greif ist Emma

Kritik


Ein Film voller Emotionen, ein Film voller Probleme, und doch ein Film voller Humor und Leichtgängigkeit: «Ein Sommer mit Paul» ist eine Tragikomödie, deren gesamte Handlung den Verlauf einer Vater-Sohn-Beziehung thematisiert, ohne in der Ernsthaftigkeit des Themas zu versinken.

Rund um das Thema Tod und Umgang mit der Trauer wird eine lebendig erzählte Geschichte gestrickt: Schulden, das Jugendamt und der Tod seiner Frau zermürben den ehemaligen Zauberstar Balsamo, der statt in großen Varietés nur noch in Altersheimen und auf Kleinstkunstbühnen auftritt. Schwägerin Antonia versucht, Raimund aus seiner Lethargie zu befreien, doch der lehnt jede Hilfe ab – zu Stolz ist er, als dass er sich helfen lassen würde. Auch einen großen und finanziell lohnenden Auftritt, den Anwalt und Freund Dr. Ludwig Horn organisiert, lehnt Raimund ab. Entsprechende Ebbe herrscht in der Kasse und der geplante Urlaub mit Sohn Paul scheitert: Statt mit Flugtickets kommt Papa Raimund nach einem Angriff auf den Verkäufer im Reisebüro mit einer Anzeige nach Hause, der seine Kreditkarte nicht akzeptiert. Paul ist enttäuscht von seinem Vater, macht aber glücklicherweise die Bekanntschaft von Emma, mit der er den Sommer verbringen und die eine oder andere Dummheit begehen wird.

Der Film baut sehr stark auf die Charakterentwicklung der Protagonisten auf, deren inneren Konflikte und Probleme meist erst durch Interaktion mit dem familiären Umfeld und deren Reaktionen deutlich werden, anstatt oberflächlich vorgegeben zu sein. Redundante Charaktere sind Tamara Simunovic als naive und gutmütige Frau Troger vom Jugendamt, die in ihrer Funktion gegen den dominanten Raimund Balsam unterlegen ist, und Samuel Finzi als Dr. Ludwig Horn, der Balsam über seine Tätigkeit als sein Anwalt hinaus ins Gewissen redet und der Balsams Lebenswandel als berechnender Pragmatiker immer wieder in Frage stellt. Ferner bildet die reiche, aber emotionslose und gesittete Schwiegerfamilie – in prominenter Besetzung mit Ingo Naujoks als Schwager und Judy Winter als Schwiegermutter – einen genauen Kontrast zu Balsams Situation, die mit kühlem Unverständnis analysiert wird. Konzeptionell sehr gelungen sind auch die Widergabe von Gedanken Pauls über Briefe an seine verstorbene Mutter oder die trügerische Idylle im chaotisch-gemütlichen Haus der Balsams, das die Unbeschwertheit der Vergangenheit konserviert und zum Symbol einer ehemals glücklichen Familie avanciert.

In der Hauptrolle konnte mit Matthias Brandt ein hochkarätiger Schauspieler gewonnen werden, der im letzten Jahr regelrecht mit Preisen überhäuft wurde: Er erhielt den Deutschen Kritikerpreis, die Goldene Kamera als bester Schauspieler und war für den Deutschen Filmpreis 2008 als bester Hauptdarsteller nominiert. Im Drama «Ein Sommer mit Paul» beweist er als eine der Hauptpersonen, dass er diese Auszeichnungen sehr wohl verdient hat: Als Witwer Raimund Balsam, der seinen Kummer mit unausstehlichem Zynismus überspielt und jeder menschlichen Annäherung spöttisch begegnet, läuft Brandt zu Hochform auf. Ob im narzisstischen Selbstmitleid versinkend, als schmieriger Magier, randalierender Betrunkener oder besorgter Vater, Brandts Schauspielleistungen in den verschiedenen Stadien seiner Launenhaftigkeit sind durchweg überzeugend und sorgen sowohl für witzige Konfrontationen als auch für nachdenkliche und berührende Szenen.

An seiner Seite spielen mit Max Schmuckert und Livia Greif zwei junge Schauspieler mit Theatererfahrung. Die Rolle Emmas als altkluges und kosmopolitisches Mädchen wirkt zum Teil arg überzogen, ist aber durchaus unterhaltsam. Schmuckert ist die Idealbesetzung für den zurückhaltenden, kritischen Paul, der seinen Vater nach dem Tod der Mutter nicht mehr wieder erkennt und statt Zuneigung immer öfter frustrierte Gleichgültigkeit zu spüren bekommt.

Die Tragikomödie «Ein Sommer mit Paul» ist ein gefühlvoll inszeniertes Drama, das mit charismatischen Schauspielern und einer tiefgehenden Handlung zu überzeugen weiß. Ohne plattes Happy End hebt sich der Film zudem von so manchem Genrekollegen ab und bereitet der ganzen Familie einen mitreißenden Fernsehabend zwischen ernsthafter Problematik und wunderbar komischer Leichtgängigkeit mit Liebe zum Detail.

Das Erste zeigt «Ein Sommer mit Paul» am Mittwoch, den 14. Januar 2009, um 20:15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/32517
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