Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Sido und der Grimme-Preis

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Eine Sendung von Rapper Sido wird für den Adolf Grimme Preis nominiert. Verdient oder ein Skandal?

Am Mittwoch gab das Adolf Grimme Institut die Nominierungen für den Adolf Grimme Preis bekannt und überraschte abermals mit einigen interessanten möglichen Preisträgern. Schon in den vergangenen Jahren machte der Preis mit unkonventionellen Entscheidungen von sich reden, als beispielsweise die Persiflage «Fröhliche Weihnachten!» mit Anke Engelke und Bastian Pastewka für die beste Unterhaltung ausgezeichnet wurde, als die mittlerweile verschollene ProSieben-Promispielshow «Extreme Activity» mit Moderator Jürgen von der Lippe einen Preis bekam oder als Stefan Raab 2005 „für die Entdeckung und Förderung von Musiktalenten durch «SSDSGPS – Ein Lied für Istanbul»“ als Grimme-Sieger verkündet wurde.

Neben den Preisen für hervorragende fiktionale Unterhaltung überrascht der Grimme Preis also immer wieder mit Nominierungen und Auszeichnungen für populäre Formate von Privatsendern, die auf den ersten Blick wenig anspruchsvoll und für einen Preis vom höchsten Renommee ungewöhnlich und mutig sind. Mit der Bekanntgabe der Nominierungen für 2010 schockte die Ankündigung, dass Skandal-Rapper Sido mit dem Format «Sido geht wählen» unter den Nominierten für die Kategorie „Unterhaltung“ zu finden ist. Auf den zweiten Blick jedoch erkennt man, dass die Grimme-Jury bei solchen ungewöhnlichen Nominierungen nicht – wie andere Fernsehpreise – auf die üblichen Verdächtigen setzt und schon anerkannte oder anspruchsvolle Unterhaltungsformate auszeichnet, sondern ihren eigenen Weg geht und jene Programme nominiert, die einerseits fast immer innovativ sind und sich anderseits qualitativ von ähnlichen Formaten absetzen.

Stefan Raab erhielt als Veranstalter von «SSDSGPS» den Preis, weil seine Show innovativ das Genre der Castingshow mit der Tradition der Grand-Prix-Veranstaltung verband und einen Gesangswettbewerb organisierte, der nicht wie andere Castingshows auf Popularität, Denunzierung der Kandidaten oder Massenkompatibilität setzte, sondern einzig und allein unter der Prämisse, einen wirklich hervorragenden Sänger zu finden, diese Sendung veranstaltete und das Publikum damit wirklich ernstnahm – denn er glaubte als einziger daran, dass eine Castingshow ohne Witz, ohne große Effekte und ohne PR auch funktionieren kann, wenn die Talente gut sind. Die Zuschauer honorierten dies mit guten Quoten und der Wahl Max Mutzkes zum Eurovision Song Contest 2005.

Ähnliches gilt für «Fröhliche Weihnachten» – eine Sendung in Sat.1, die erstmals in einer ganzen zweistündigen Show ein einziges Genre (das der Volksmusik) persiflierte. Zwar gab es schon vorher solche Formate mit «Switch» oder «Kalkofes Mattscheibe», aber noch nie wagte sich ein Team an die gezielte Persiflage eines ganzen Genres in einer langen Show. Die großartigen Comedians Anke Engelke und Bastian Pastewka hatten sich ihre Preise redlich verdient.

Und so wundert es nun auch nicht, wenn ein Format wie «Sido geht wählen» ausgezeichnet wird. In der Reportage besuchte Skandal-Rapper Sido vor der Bundestagswahl 2009 Vertreter unterschiedlicher Parteien und stellte jene politischen Fragen, die ihn und seine Zielgruppe wirklich interessieren. Er duldete keine auswendig gelernten Floskeln und Worthülsen – was es einigen der Interviewten sehr schwierig machte, auf die konkreten Fragen zu antworten. Hier vertrat Sido die Jugendlichen, die Hip-Hop-Generation von der Straße, teilweise ohne Zukunftsperspektive und stellte ihre Fragen. Doch die realitätsfernen Politiker, die nicht wissen, wie es sich mit Arbeitslosengeld oder ohne Ausbildungsjob lebt, waren von der Interview-Situation mit Sido teilweise völlig überfordert und wirkten peinlich. Symbolisch zeigte dies dem Zuschauer, dass einige Parteien keine Antworten auf die Probleme der Jugend haben und nicht wissen, wie die reale Welt abseits des Lebens in der politischen Blase aussieht.

Das Format war höchst interessant und wichtig, um junge Menschen zumindest ansatzweise für die Bundestagswahl für Politik zu interessieren und Aufklärung darüber zu leisten, wo man denn nun sein Kreuz machen sollte – und ob es sich überhaupt lohnt. Und war damit für viele Zuschauer wertvoller und wichtiger als jede Polit-Talkshow. Auch wenn es verrückt klingt: Sido hat es verdient, mit dem Adolf Grimme Preis ausgezeichnet zu werden.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.

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