First Look

«Home before Dark»: Zeigen, was ist

von

Die neue Serie von AppleTV+ könnte als herzerwärmende Ode an den amerikanischen Journalismus funktionieren, entscheidet sich aber stattdessen für eine krude Mystery-Abzweigung.

Cast & Crew

Produktion: Electric Somewhere Co., Foxy, Inc., Little Bear Ink, Anonymous Content und Paramount Television
Schöpfer: Dana Fox und Dara Resnik
Darsteller: Brooklynn Prince, Jim Sturgess, Abby Miller, Louis Herthum, Kiefer O'Reilly, Michael Weston, Kylie Rogers u.v.m.
Executive Producer: Dana Fox, Dara Resnik, Joy Gorman Wettels, Sharlene Martin und Jon M. Chu
Aus der Perspektive des allwissenden Erwachsenen ist es leicht, die neunjährige Heldin dieser Geschichte zu belächeln. Denn schon im Grundschulalter ist Hilde Lisko (Brooklynn Prince) von ihrer Berufung besessen: Journalismus. Das hat sie von ihrem Vater, der sich als Kriminalreporter für ein New Yorker Lokalmedium verdingt und seine Tochter schon seit Jahren mit zu den Tatorten schleppt, über die er berichtet. Hilde bringt mittlerweile ihre eigene Zeitung heraus, die sie selbst verlegt und zwischen den Häuserzeilen von Manhatten deponiert. Klassiker wie «All the President’s Men» kann sie schon im einstelligen Lebensalter mitsprechen.

Als ihr Vater seinen Job verliert und die ganze Familie ins entlegene Erie Harbor in den pazifischen Nordwesten zieht, versetzt das Hildes präpubertärer Karriere nur einen kurzen Knick. Denn rasch stolpert sie in die Berichterstattung ihres ersten Kapitalverbrechens, als nachts die Polizei vor dem Haus der Nachbarin steht – einer Bekannten ihres Vaters aus Kindertagen. Ihre Meldungen veröffentlicht sie auf der Website ihrer Schule, was natürlich erste Konflikte mit der Direktorin zur Folge hat. Aber Hilde lässt nicht locker.

Ein Dreikäsehoch macht Journalismus? Gerade für deutsche Ohren hat das etwas furchtbar Lächerliches. Schließlich gilt hierzulande schon die unbedeutendste Kleinstadtschreiberei über Karneval und Kaninchenzüchter als systemrelevante Funktion, für die sprachliches Talent und ein klarer Verstand weniger zählen als eine jahrelange, quasi systemtheoretische Ausbildung in verkopften Sachzusammenhängen. Angelsachsen – und insbesondere Amerikaner – sind da offener: Dort ist Berichterstattung weder edelfedergerechte Stilonanie noch Volksaufklärung durch die schreibende Elite, sondern „sagen, was ist“. Und das kann, zumindest in der bürgernahen Spielart, ein dreißigjähriger promovierter Anglist im Zweifel auch nicht wesentlich besser als eine talentierte Neunjährige.

Doch dabei tappt «Home before Dark» direkt in eine große Falle: Denn anstatt nun dicht an seiner Hauptfigur zu bleiben und zu erzählen, wie sie an immer größeren Herausforderungen persönlich und professionell wächst, wird sie schon in der ersten Folge als predigendes Sprachrohr zweckentfremdet, das seine Fake-News-Aufklärung durch die Schulkantine posaunt: If the truth doesn’t matter, nothing else will!, kürt die Serie zu ihrem Motto. Ein ehrenwerter Gedanke – doch der bekäme eine wesentlich größere Sprengkraft, wenn er dynamisch erzählt anstatt als laue Ansprache aufgesagt würde.

Ebenso wenig scheint die Serie ihrer Hauptfigur einen tragfähigen Haupthandlungsstrang zutrauen zu wollen. Deshalb wird schon in der ersten halben Stunde ein leidiges Mysterium um die Jugendzeit von Hildes Vater eingeführt, das zu generisch und zu wenig durchdacht ausfällt, um fesseln zu können. Dabei böte die Geschichte des realen Vorbilds von Hilde Lisko – die heute dreizehnjährige Hilde Lysiak – ein viel größeres Potential: Die hält sich nämlich nicht mehr mit Morden in der Nachbarschaft auf, sondern berichtet von der mexikanischen Grenze in Arizona, wo das Heimatschutzministerium demnächst eine Mauer errichten will. Da bekäme die amerikanische Aversion gegen Gatekeeper eine ganz neue Bedeutung.

«Home before Dark» ist bei AppleTV+ zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/117461
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