Die Kino-Kritiker

«Unantastbar - Der Fall Harvey Weinstein» - Die Schattenseiten Hollywoods

von

Wenige Wochen nach dem rechtskräftigen Urteil gegen das Medienmogul erscheint mit «Unantastbar - Der Fall Harvey Weinstein» eine Dokumentation, die einen erschütternden Einblick hinter die Kulissen Hollywoods bietet

Filmfacts: «Unantastbar - Der Fall Harvey Weinstein»

  • VÖ: DVD, Stream
  • FSK: 12
  • Genre: Dokumentation
  • Laufzeit: 98 Min.
  • Kamera: Neil Harvey, Amza Moglan, Patrick Smith
  • Musik: Anne Nikitin
  • Regie: Ursula Macfarlane
  • Mit: Erika Rosenbaum, Nannette Klatt, Ken Auletta, Ronan Farrow, Jack Lechner, Caitlin Dulany
  • OT: Untouchable (UK 2019)
Am 24. Februar 2020 wurde Medienmogul und Filmproduzent Harvey Weinstein infolge eines mehrere Monate andauernden Prozesses wegen sexueller Verbrechen in Teilen schuldig gesprochen. Am 11. März wurde das Strafmaß festgelegt: 23 Jahre Haft. Der zum Zeitpunkt der Verurteilung 67 Jahre alte Ex-Boss der erfolgsverwöhnten Weinstein Company käme damit frühestens mit 90 Jahren aus dem Gefängnis frei. Doch auch das ist unwahrscheinlich. Schon bald wird sich Weinstein in Los Angeles erneut wegen Sexualdelikten vor einem Gericht verantworten müssen. Eine gerechte Strafe im Anbetracht der abscheulichen Verbrechen, die im Oktober 2017 erstmals in der New York Times sowie im New Yorker an die Öffentlichkeit gelangten. Jahrzehntelang beging Weinstein Taten der sexuellen Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung an unzähligen Frauen; darunter Angelina Jolie, Cara Delevingne, Gwyneth Paltrow und Rosanna Arquette.

Letztere taucht nun auch in Ursula Macfarlanes Dokumentation «Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein» auf, in der sie mit unzähligen Opfern und Zeugen sprach und die Ereignisse dadurch sowohl chronologisch sowie gleichermaßen emotional wie sachlich einordnet. Oscar-Gewinner Simon Chin («Searching for Sugar Man») stand Macfarlane als Produzent zur Seite.

Was wirklich geschah


Jahrzehntelang war der Oscar-prämierte Produzent Harvey Weinstein einer der mächtigsten Männer in Hollywood. Er konnte Stars erschaffen, aber auch Karrieren zerstören. Dass er Rollen gegen sexuelle Gefälligkeiten vergab, war stets ein offenes Geheimnis. Erst 2017 wurde öffentlich, mit welcher Brutalität er angehende Schauspielerinnen, große Stars und Angestellte gezwungen hatte, ihn zu befriedigen. Der Mann, der lange Zeit als unantastbar gegolten hatte, sah sich nun zahllosen Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung, Missbrauch und Vergewaltigung ausgesetzt. Immer mehr Frauen wagten es, ihre erschütternden Geschichten zu erzählen – und lösten damit die weltweite Me-Too-Bewegung aus, die alle Branchen erfasste.

Wenngleich in «Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein» von Anfang an die Opfer im Mittelpunkt stehen, fällt auch auf, wie vergleichsweise fair die Dokumentation mit Weinstein selbst ins Gericht geht. Das klingt zwar im ersten Moment bigott, macht aber im Nachhinein Sinn: Macfarlane will schließlich nicht bloß den zahlreichen Opfern und Zeugen eine Stimme geben, sondern auch ein Stückweit ergründen, wie es überhaupt zu einem solchen Skandal, der immerhin mehrere Jahrzehnte angedauert hat, kommen konnte. Um das zu verstehen, muss man sich zwangsläufig auch mit dem kreativen Schaffen Weinsteins auseinandersetzen und damit, welchen Einfluss Weinsteins Filme auf die Hollywoodlandschaft genommen haben. Dadurch ist «Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein» zugleich auch ein Anschauungsbeispiel dafür, wie man die Kunst vom Künstler trennt. Selbst einige der Opfer erkennen innerhalb der Dokumentation Weinsteins Genialität und kreatives Fingerspitzengefühl an, die ihn erst zu solch einer Hollywoodgröße gemacht haben.

Doch mit dem Erfolg kam die Macht und mit der Macht schließlich die Unantastbarkeit. Der entsprechend «Unantastbar» betitelte Film veranschaulicht diese Over-the-Top-Position Weinsteins sogar mit einigen Originalaufnahmen; mal mit, mal ohne Bild. Und jedes Mal, wenn man sich als Zuschauer fragt, weshalb diese Aufzeichnungen eines Journalisten bedrohenden oder anpöbelnden Harvey Weinstein bis jetzt nicht an die Öffentlichkeit gelangten, liefert die Doku auf dem Fuß die Antwort: Weil die Medien selbst viel zu sehr Angst vor den Konsequenzen hatten, die wohl folgen würden, sobald man sich mit Weinstein anlegt.

Aus großer Macht erwuchs großer Missbrauch


Herzstück des Films sind jedoch weniger die Hintergrundberichte von Partys oder Preisverleihungen, als vielmehr die Einzelschicksale der Opfer. Neben Rosanna Arquette als vermutlich bekannteste Interviewpartnerin in «Unantastbar» stehen unter anderem die Schauspielerinnen Paz de la Huerta («Enter the Void»), Caitlin Dulany («Winter’s Tale») sowie diverse berufliche Weggefährten, insbesondere aus den Miramax-Zeiten Weinsteins, Rede und Antwort. Ihre Schilderungen liefern nicht bloß einen Einblick darin, wie Weinstein seine Macht den vielen Frauen gegenüber ausgenutzt hat respektive wie er körperlich gegen die Opfer vorgegangen ist. Mindestens genauso interessant sind die Ausführungen all jener, die von den frühen Anschuldigungen gegenüber Weinstein gewusst haben, daraufhin jedoch weiter mit ihm zusammenarbeiteten.



Ein ehemaliger Miramax-Mitarbeiter fasst diese Misere wie folgt zusammen: „Ich werde mir mein Leben lang die Vorwürfe machen, meine Freundin Harvey Weinstein vorgestellt zu haben.“ – es zeigt das „System Harvey Weinstein“ in all seiner Ausprägung, die aufzeigt, bei den reinen körperlichen Misshandlungen längst noch nicht beendet ist.

Auf einen einordnenden Voice-Over verzichtet die Regisseurin Ursula Macfarlane («One Deadly Weekend in America») wohlweislich. Sie braucht ihn nicht. Stattdessen lässt sie ihre Interviewpartnerinnen und -partner, Aufnahmen von Journalistinnen und Journalisten sowie alte Gesprächsschnipsel von Hollywoodstars (etwa von Gwyneth Paltrow, die einst auf dem roten Teppich einer Filmpremiere vor laufender Kamera davon abriet, als junge Schauspielerin jemals einer Partyeinladung von Harvey Weinstein zu folgen) das Geschehen kommentieren. Dass dies mit einer betonten Sachlichkeit erfolgt, obwohl das Thema sexueller Missbrauch ja eigentlich ein hochemotionales ist, macht «Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein» zu gleichen Anteilen umso informativer aber eben auch nochmal umso beklemmender. In den von vielen Frauen betont nüchtern nacherzählten Begegnungen mit Harvey Weinstein spiegelt sich auch ebenjene Routine wider, mit der der Produzent seinen Missbrauch vollzogen hat.

Nur vereinzelt lassen sich die Frauen auch hinter ihre Schutzfassade blicken. Dann wird es richtig unangenehm. Dann nämlich lassen die Opfer ihr Opferdasein zu und geben Einblicke in die Spätfolgen solcher Taten. Ein nicht ganz unwichtiger Aspekt, der aufzeigt, was für ein erschütterndes Vermächtnis ein Mann hinterlassen hat, der mit den Träumen junger Frauen gespielt hat und sie mit einem Fingerschnipp zerstören konnte, sofern diese nicht nach seiner Pfeife tanzen wollten. Am Ende von «Unantastbar» wird niemand mehr die Frage stellen, weshalb die Frauen nicht schon früher etwas gesagt haben.

Fazit


«Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein» gibt den vielen Opfern des einstigen Medienmoguls eine Stimme und schildert zu gleichen Anteilen das Was, das Wie und das Warum – in diesem Fall: Warum konnte es so weit kommen? Eine unaufgeregte, jedoch nicht weniger wichtige Doku über die Schattenseiten Hollywoods.

«Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein» ist ab sofort als DVD und Stream erhältlich.

Kurz-URL: qmde.de/117859
Finde ich...
super
schade
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelProSieben räumt weiter mit seinem Corona-Update abnächster Artikel«Tyler Rake: Extraction»: Hemsworth kämpft schmutzig
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung