Popcorn & Rollenwechsel

Die Kunst des guten, dummen Satzes

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In dieser Kolumne lobt unser Kolumnist zwei von drei «Fifty Shades of Grey»-Filmen. Unironisch. Ja. Weil ... Er da Bock drauf hat.

Ob Literatur, Theater oder Film und Serie: In der Fiktion reden Leute oftmals wie gedruckt. Sofern eine Figur nicht explizit als zerstreut, hektisch oder dumm markiert werden soll, verspricht sich niemand. Im Sprechen nachdenken? Eine Rarität. Grammatik-, Ausdruck- und Sinnfehler? Nur, wenn da wem beim Schreiben des Dialoges Fehler untergekommen sind – Figuren absichtlich Unfug reden zu lassen, gibt es zumeist nur in Komödien, die daraus dann auch Gags ziehen. Dieser Verzicht auf Authentizität ist eine Eigenheit der Fiktion, die wir hinnehmen. Um das Wesentliche einer Geschichte zu transportieren, wird das Verzichtbare weggekürzt. Keine Toilettenpausen beim romantischen Abendessen, keine Verhaspler beim erzürnten Kündigungsgespräch, kein beiläufiges Kratzen, weil der Pullover juckt. Es sei denn, der juckende Pullover ist ein tragendes Handlungselement.

Wenn Filme gelegentlich aus dem Leben gegriffene Verbalunfälle übernehmen, kommt es durchaus vor, dass sie dafür gescholten werden. So erging es beispielsweise «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe»: Zu Beginn des Films kommt der von Jamie Dornan gespielte Millionär Christian Grey zu seiner Ex Anastasia Steele (Dakota Johnson) gekrochen und bettelt sie an, ihm noch eine Chance zu geben. Oder wenigstens einen Moment, um sich auszusprechen. Oder man könnte doch noch einmal zusammen essen gehen. Vom für seine Verhältnisse ungewöhnlich kleinlauten Christian, der fragt und bittet, statt zu befehlen, überrumpelt, stammelt Anastasia: "Okay, wir gehen essen." Mit einer fragend intonierten Denkpause führt sie fort: "Weil … ich hab' Hunger."

Diese Dialogpassage wurde von vielen, auch von mir sehr geschätzten, Kollegen in der Luft zerrissen, als Paradebeispiel dafür genommen, wie tumb und sinnlos die Gespräche in «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe» doch wären. Komisch. Für mich war beim Kinobesuch dieser Austausch zwischen Christian und Ana ein früher Hinweis, dass sich «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe» gegenüber seinem verkrampften, sterbenslangweiligen Vorläufer deutlich verbessert. Denn während der erste «Fifty Shades of Grey»-Film leblos ist, schlummert allein schon in diesem Dialog ein simpler, aber herzlicher Charme.

Dakota Johnson spricht ihre stammelnde Ausflucht, dass sie mit Christian Grey nur essen geht, weil sie Hunger hat (statt sich explizit mit ihm zu treffen) mit einer unbeholfenen Alltäglichkeit. So signalisiert sie, dass Ana weiterhin was für Christian empfindet, es aber weder sich noch ihm gegenüber eingestehen will, und daher eilig eine Lüge erfindet, weshalb sie seinen Bitten nachgibt. Aber vor lauter Aufregung kommt ihr keine brauchbare Lüge in den Sinn. Es gelingt ihr nicht einmal, einen geraden Satz zu formen.

Selbst wenn «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe» eine Handvoll an "Oh, wow, Film! Wieso tust du das jetzt?!"-Momenten hat (alles, was mit einem Hubschrauberunglück zu tun hat, ist in «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe» für die Tonne), so weist diese Erotikromanze auch mehrere solcher Dialogmomente auf. Solche, in denen Leben steckt, Szenen, in denen Johnson sowie Dornan durch "Hab ich das gerade wirklich gesagt?"-Intonationen eine Chemie entwickeln, wie sie dem Erstling fehlt.

Aber es ist eine große Kunst, diese "Verliebte sagen halt dumme Dinge zueinander"-Dummbatzigkeit erfolgreich umzusetzen. Ein Film, der in vielerlei Aspekten an die «Fifty Shades of Grey»-Trilogie erinnert, und der ebenfalls vereinzelte dümmliche Dialoge aufweist, ist «After Passion». Wo «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe» und «Fifty Shades of Grey – Befreite Lust» solche Dialoge aber liebenswert-charismatisch hinter sich bringt, hat «After Passion» aufgrund dieser Passagen einige schmerzhafte Momente.

Das Geheimnis liegt daran, wie sie von sich gegeben werden: Im realen Leben merken Freunde und Paare zumeist, wenn sie gerade Murks erzählt haben. Reflektiert ein Film dieses Gefühl, kann es funktionieren, auf "Dialoge wie gedruckt" zu verzichten. In «After Passion» raunzt der von Hero Fiennes-Tiffin gespielte "Bad Boy" Hardin Scott dagegen vollauf überzeugt Sätze in die Welt hinaus, bei denen man sich am liebsten die Stirn auf die Tischkante schlagen würde – und niemand im Film reagiert darauf. Ein verdecktes Schmunzeln, ein irritierter Blick, ein Wackeln in der Stimme, all dies könnte Sprüche wie "Ich kann mich nicht vergnügen – du hast mir doch gesagt, ich soll mich benehmen!" von Contra- zu Pro-Argumenten für den Film machen. Doch «After Passion» stapft ohne mit der Wimper zu zucken durch seine Dialogwechsel.

Denkt darüber das nächste Mal nach, wenn ihr einen Dialog in einem Film doof findet. Weiter erläutere ich euch das nicht. Denn diese Kolumne ist nun zu Ende, weil … ich muss auch mal Feierabend tun.

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