Die Kino-Kritiker

Vom Mann, der sich das Ohr abschnitt: «Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit»

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Willem Dafoe wurde für seine Darstellung des weltberühmten Malers Vincent Van Gogh für den Oscar nominiert. Nun kommt «Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit» mit reichlich Verspätung auch in die deutschen Kinos.

Filmfacts: «Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit»

  • Start: 18. April 2019
  • Genre: Biopic/Drama
  • Laufzeit: 111 Min.
  • FSK: o.Al.
  • Kamera: Benoît Delhomme
  • Musik: Tatiana Lisovskaya
  • Buch: Jean-Claude Carrière, Julian Schnabel, Louise Kugelberg
  • Regie: Julian Schnabel
  • Darsteller: Willem Dafoe, Rupert Friend, Oscar Isaac, Mads Mikkelsen, Emmanuelle Seigner
  • OT: At Eternity's Gate (IE/CH/UK/FR/USA 2018)
Es ist noch gar nicht lange her, da eroberte «Loving Vincent» die Herzen vieler Cineasten und Kunstliebhaber. Der Grund: Das Regie- und Autorenduo aus Dorota Kobiela und Hugh Welchman griff für sein Porträt des post-impressionistischen Malers Vincent van Gogh nicht bloß das normalerweise vorwiegend dem Kinder- und Familienfilmsegment zugeordnete Stilmittel der Zeichentricktechnik zurück. Es wählte für sein Projekt außerdem ein zuvor nie dagewesenes Design, indem «Loving Vincent» visuell den Werken van Goghs nachempfunden wurde. Über 100 Künstler designten insgesamt rund 65.000 verschiedenen Einzelbilder, die für den 94 Minuten langen Spielfilm nacheinander „abgespielt“ wurden, sodass der Eindruck einer flüssigen Bewegung entsteht. Das Ergebnis ist vor allem technisch bemerkenswert, konnte aber wenig Neues zu den Legenden und Mythen rund um den niederländischen Künstler beitragen. «Loving Vincent» ist letztlich ein klassisches Krimidrama, dem es erzählerisch an Schmackes fehlt.

Der selbst in Kunstkreisen verkehrende Regisseur Julian Schnabel («Schmetterling und Taucherglocke») macht es für seinen «Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» nun im Grunde ähnlich. Er setzt ebenfalls auf einen ganz besonderen Inszenierungsstil, um eine altbekannte Geschichte auf die Leinwand zu bringen, konzentriert sich dabei aber zugleich voll und ganz auf die künstlerische Komponente, wenn er versucht, die Welt um seine Hauptfigur herum so greif- und erlebbar zu machen, wie sie Vincent van Gogh einst selbst wahrgenommen haben muss.

Der Mann, der malen musste


In der Gegend von Arles und Auvers-sur-Oise, wohin sich Vincent van Gogh (Willem Dafoe) zurückgezogen hat, um dem Druck des Lebens in Paris zu entkommen, wird er von den einen freundlich und von den anderen brutal behandelt. Die Inhaberin des örtlichen Restaurants hat Mitleid mit ihm und schenkt ihm ein Notizbuch für seine Zeichnungen. Andere haben Angst vor seinen dunklen und unberechenbaren Stimmungsschwankungen. Auch sein enger Freund und Künstler Paul Gaugin (Oscar Isaac) findet ihn zu erdrückend und verlässt ihn. Allein sein Bruder und Kunsthändler Theo (Rupert Friend) unterstützt ihn unerschütterlich, auch wenn es ihm nicht gelingt, auch nur eines von Vincents Werken zu verkaufen.

In einer zentralen Szene von «Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» betritt Vincent van Gogh nach einem Ausflug in die Stadt seine Wohnung und entledigt sich seiner braunen Lederstiefel auf dem dunkelbraunen Holzfußboden. Die Kamera von Benoît Delhomme («Die Entdeckung der Unendlichkeit») bleibt zwar immer nah am in jeder einzelnen Sekunde im Mittelpunkt stehenden Protagonisten, lässt die Schuhe aber nach und nach einen immer größeren Raum im Sichtfeld des Zuschauers einnehmen. Irgendwann sehen wir sie nur noch aus der Sicht van Goghs, der im nächsten Moment eine Staffelei zur Hand nimmt und beginnt, die Stiefel zu malen. Wie in Trance bringt er mit feinem Pinselstrich nach und nach ein lebendiges Kunstwerk zu Papier, dessen Entstehung durch den permanenten Schwenk von der Leinwand, auf der dieses Bild gerade entsteht, zu den Schuhen und zurück, auch für den Zuschauer nachvollziehbar wird. Irgendwann verschwimmt die echte Vorlage (also die Stiefel) sogar vollständig mit dem gemalten Abbild, sodass man immerhin für ein paar Sekunden meint, mit den Augen Vincent van Goghs sehen zu können, der die Welt um sich herum so ganz anders wahrgenommen muss, als unsereins.

Diese Szene steht stellvertretend für jede, in der Julian Schnabel völlig in die Psyche seiner Hauptfigur abtaucht. Aber es ist zugleich auch die interessanteste, denn so rigoros und mit ansteckender Begeisterung der auch für das Drehbuch verantwortliche Schnabel seine ganz eigene Vision eines „Kunstfilms“ auch durchzieht, so sehr droht er bisweilen, sich in seinem Überschwang zu verlieren.

Style Over Substance auf hohem Niveau


Allzu oft besteht «Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» nämlich einfach aus Szenen, in denen die Hauptfigur durch die Welt geht und wir die Natur um ihn herum mal aus der First-Person-Perspektive (also quasi durch seine Augen) erleben und sich Vincent van Gogh ein anderes Mal in ihr aufzulösen scheint. Benoît Delhomme wählt aufregende Kameraperspektiven vom Super-Close-Up über weitläufige Panoramen; vor allem das Spiel mit unterschiedlicher Farbsättigung sorgt für ganz neu erlebbare Momente in eigentlich unspektakulärem Setting. Die Visualität von «Van Gogh» ist zweifelsfrei beeindruckend und spannend. Ein Muster lässt sich in ihr allerdings nicht erkennen und so wirken die künstlerischen Entscheidungen innerhalb des Films bisweilen willkürlich. Wenn sich etwa das Blickfeld van Goghs plötzlich gelb einzufärben beginnt oder immer mal wieder Unschärfen das Bild dominieren, erschließt sich der Zweck des Ganzen nicht.

Nun lässt sich Julian Schnabel gewiss zugutehalten, dass er damit das bis heute kaum greifbare Wesen des porträtierten Künstlers sicher nicht ungenauer einfängt als andere Filme bisher. Selbst ein «Loving Vincent» kam um die Leerstellen in van Goghs Vita nicht herum, erzählte alles andere dafür deutlich straighter. Aber durch seine unkonventionelle Machart ist «Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» erst recht ein Film, der um die Interpretation und Auslegung des Zuschauers ringt. Als einfacher Betrachter kommt man hier nicht weit.

Nicht annähernd so unkonventionell wie die Inszenierung präsentiert sich die Besetzung. Julian Schnabel setzt als alleiniges Zugpferd seines Projekts auf Hollywoodstar Willem Dafoe («Das Schicksal ist ein mieser Verräter»), der in so ziemlich jeder einzelnen Szene von «Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» zu sehen ist. Er bringt das gleichermaßen verschlossene wie manische Wesen des uneinschätzbaren Künstlers perfekt zum Ausdruck und wird trotz mangelnder Greifbarkeit zu einer Figur, deren Faszination man sich schlicht nicht entziehen kann. Und zwar noch lange bevor sich der Maler im Wahn sein Ohr abschneidet. Um ihn herum agieren mit Oscar Isaac («Ex_Machina») als van Gogh in seinen Bann ziehender Malerkollege Paul Gaugin, Rupert Friend («Nur ein kleiner Gefallen») als sich um seinen Bruder sorgender Theo van Gogh sowie Mads Mikkelsen («Rogue One: A Star Wars Story») in einer kleinen Priesterrolle ebenfalls ausschließlich Hollywood-Hochkaräter.

Sie alle fügen sich nicht nur aufopferungsvoll in ihre Rollen. Sie stecken auch mit sichtlicher Ehrfurcht hinter Willem Dafoe zurück. Dieser reißt nicht nur mit seinem starken Schauspiel jede noch so kleine Szene an sich. Manchmal reicht schon ein Blick auf Dafoes zerfurchtes Gesicht, das Julian Schnabel in langen Einstellungen stilllebengleich einfängt – ganz so, als würde er versuchen, die Person Vincent van Gogh im wahrsten Sinne des Wortes zu durchleuchten. Das, soviel lässt sich sagen, ist ihm nicht gelungen. Aber immerhin einen Teil der von ihm ausgehenden Faszination hat er hiermit auf Film gebannt.

Fazit


Das Biopic «Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» ist mehr bewegtes Kunstwerk als klassische Nacherzählung eines bewegten Lebens, dem es zugutekommt, dass Regisseur Julian Schnabel in der Welt der Maler selbst zuhause ist. Seine Ansichten sind bisweilen träge, aber immer wunderschön.

«Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» ist ab dem 18. April in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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