Sonntagsfragen

'Als wir mit der Produktion von «Coco» angefangen haben, lebten wir noch in einer ganz anderen Welt'

von

Regisseur Lee Unkrich und Produzentin Darla K. Anderson verraten Quotenmeter.de, wie die Arbeit am neuen Pixar-Film «Coco» sie verändert hat und welche Skriptänderungen sie auf Anraten lateinamerikanischer Kollegen vorgenommen haben.

Über die Personen

  • Darla K. Anderson ist seit «Toy Story» bei Pixar an Bord und produzierte «Das große Krabbeln», «Die Monster AG», den ersten «Cars»-Film sowie «Toy Story 3» und nun «Coco».
  • Lee Unkrich stieg 1994 bei Pixar ein und arbeitete am Schnitt von «Toy Story» sowie «Das große Krabbeln». Nach wechselnden Aufgaben bei diversen Pixar-Filmen übernahm er die Regie bei «Toy Story 3» und nun «Coco». Bei beiden Filmen wirkte er an der Stoy mit, bei «Coco» zudem am Schnitt.
Um einen groben Einstieg für unser Gespräch zu haben: Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, einen Animationsfilm für die ganze Familie zu machen, der ausgerechnet vom Tod handelt?
Lee Unkrich: So gesehen – gar nicht. (schmunzelt) Ich bin zu keinem Zeitpunkt an dieses Projekt mit dem Gedanken herangetreten, dass er vom Tod handelt. Ich war schon immer von der mexikanischen Tradition des Día de Muertos fasziniert, und kam eines Tages an dem Punkt an, an dem ich beschloss, mehr darüber wissen zu wollen. Also habe ich mich in die Recherche gestürzt, und je mehr ich über den Día de Muertos erfahren habe, desto mehr habe ich begriffen: Dieses Fest handelt nicht vom Tod, sondern von Familie. Es ist eine Feier zu Ehren unserer Vorfahren, damit wir sie besser kennenlernen, sie verstehen und ihr Leben zelebrieren, sowie die Umstände, die dazu führten, dass uns unsere Vorfahren zu dem gemacht haben, was wir jeweils sind. Und dieses Fest handelt obendrein davon, wie wichtig es ist, sich an seine Vorfahren zu erinnern und sicherzustellen, dass sie nie vergessen werden.

Außerdem erfuhr ich während dieses Prozesses mehr über Mexiko und bemerkte nach und nach, dass im Día de Muertos großes Potential für eine Geschichte innewohnt, die einerseits ganz anders ist als das, was wir bei Pixar bisher gemacht haben – und die dennoch alles beinhaltet, wonach wir streben: Tolle Figuren, eine Prise Abenteuer und viel Herz. Besonderes letzteres ist uns sehr wichtig: Egal, was wir erzählen, wir suchen immer nach dem emotionalen Kern der Geschichte.

Hat die jahrelange Arbeit an «Coco» Ihre Perspektive auf das Thema Tod verändert?
Lee Unkrich: Definitiv. Dadurch hat sich mein Gefühl dafür gestärkt, wie wichtig es ist, die Geschichten Anderer weiterzuerzählen. Ich habe Zuhause kistenweise Fotos von Familienmitgliedern – und ich weiß über einige von ihnen gar nichts, bei manchen kenne ich nicht einmal den Namen. Sie sind praktisch vergessen … Und meine Eltern leben zwar noch, doch sie werden zwangsweise älter, und irgendwann wird es zu dem Punkt kommen, an dem sie nicht mehr sie selbst sind. Jetzt verspüre ich diesen Drang, mich mit ihnen zusammenzusetzen und mir ihre Geschichten anzuhören, damit ich ihre Erinnerungen wahren kann – nicht nur an ihr eigenes Leben, sondern auch ihre Erinnerungen an Verwandte, die ich selber nie kennengelernt habe.

Erinnerung ist zu einem wiederkehrenden Thema bei Pixar geworden. Die «Toy Story»-Filme handeln mit wachsender Dringlichkeit davon, dass Woody Angst hat, vergessen zu werden. Mit der Figur Dorie muss ich in dem Zusammenhang ja wohl gar nicht erst anfangen …
Lee Unkrich: … und dann noch «Alles steht Kopf».

Genau. «Coco» packt nun die Furcht vor dem Erblassen von Erinnerungen erneut an. Und das sind jetzt nur die herausstechenden Beispiele. Was hat das Thema des Erinnerns an sich, dass es bei Pixar in einer relativ hohen Schlagzahl vorkommt – und dann stets in einer etwas anderen Herangehensweise?
Lee Unkrich: (grübelt) Keine Ahnung … (schmunzelt) Es kommt zwar nicht in all unseren Filmen vor, aber es häuft sich tatsächlich … Ich muss ja gestehen: Ich habe das selber nie bemerkt – mich musste erst jemand darauf aufmerksam machen. Ich weiß aber nicht, woher das kommt, dass wir wiederholt auf das Erinnern und die Angst vor dem Vergessen eingehen. (denkt) Vielleicht liegt es einfach daran, dass wir nun einmal nicht jünger werden … (schaut Darla K. Anderson fragend an)

Darla K. Anderson: Hey, guck mich doch nicht jetzt so an! (lacht)

Lee Unkrich: (schmunzelt) Aber so ist es doch. Es ist ein Thema, das uns alle bewegt. (wird nachdenklich)

Irgendwie sind wir bei Pixar doch ziemlich altmodische Menschen – zumindest, was manche Werte anbelangt. In unserem Studio arbeiten sehr viele Leute, die nostalgisch sind. Menschen, die alte Dinge lieben – etwa aus den 50er-Jahren. Viele lieben alte Filme, manche sammeln Antiquitäten oder verehren Klassiker.
«Coco»-Produzentin Darla K. Anderson
Darla K. Anderson: Ja, das stimmt. Was mir im Laufe der Jahre aufgefallen ist, die ich bei Pixar bin – und was zudem etwas ist, das mir sehr gefällt: Irgendwie sind wir bei Pixar doch ziemlich altmodische Menschen – zumindest, was manche Werte anbelangt. In unserem Studio arbeiten sehr viele Leute, die nostalgisch sind. Menschen, die alte Dinge lieben – etwa aus den 50er-Jahren. Viele lieben alte Filme, manche sammeln Antiquitäten oder verehren Klassiker. Und in dieser Faszination verbirgt sich wohl schon der Reiz an einer Auseinandersetzung mit dem Thema Erinnerungen.

Durch diese Nostalgie denken wir an Menschen, Situationen und Orte von früher und halten die Erinnerungen an sie aufrecht. Bei Pixar ehren wir sehr die, die zuvor gekommen sind – das ist Teil unserer Firmenkultur. Ich liebe diese Sensibilität – aus ihr ist zum Beispiel «Toy Story» entwachsen. Wenn wir ein altes Spielzeug sehen, denken wir nicht: "Oh, das ist Schrott." Wir bewundern, welches Handwerk da hineingeflossen ist und denken über die damalige Zeit nach sowie darüber, welche Erinnerungen frühere Besitzer damit verbinden könnten – und wir denken auch über unsere eigene Kindheit nach. All diese Nostalgie wird dann mit hochmodernster Technik ausbalanciert – ich liebe diesen komplexen Tanz, den wir somit ausführen.

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