Popcorn & Rollenwechsel

Wie schreibe ich eine negative Filmkritik?

von   |  2 Kommentare

„Hilfe! Ich habe einen Film gesehen und er hat mir so gar nicht gefallen! Nun muss ich eine Kritik schreiben und will nicht vom Mob zerfleischt werden! Was soll ich jetzt tun?“ Ganz einfach: Befolge diesen Ratgeber für gelungene Negativkritiken!

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Schritt 6: Sei kein 'Nur Meisterwerke kommen bei mir ungeschoren davon!'-Meckerfritze


Ja, spar dir den Kommentar: Niemand sehnt sich danach, allerorts den „Kritikenstil“ aus Gratis-Werbehefthen zu lesen, in denen jeder Film total supi ist. Das wissen wir. Wir sind hier aber nicht beim Ratgeber „Wie viele positive Kritiken sind zu viele positive Kritiken?“, sondern bei „Wie schreibe ich eine negative Filmkritik?“! Und wie schreibt man nun eine negative Kritik: Bitte nicht unter der Vorstellung, jede Produktion müsste sogleich eine filmhistorisch relevante Revolution sein, die einen in euphorische Höhen versetzt. Wenn eine Komödie arm an neuen Ideen ist, aber reich an pointierten Dialogwechseln, muss sie gleich Schrott sein, weil „Bah, kenn ich schon!“? Ein Actionfilm mit dummer Story und tollen Stunts ist vielleicht mehr als nur „Gähn, langweilig!“ … Lerne, dass es nicht nur Top und Flop gibt, sondern auch Mittelmaß. Und viele, viele Facetten dazwischen.

Schritt 7: Warte nicht auf das filmische Pendant zur eierlegenden Wollmilchschau!


Ja, wir alle lieben es, wenn große Ambitionen verfolgt und erfüllt werden. Ein moralisch komplexes Thrillerdrama mit spektakulärer Optik, originellen Figuren, die urkomische Dialoge vom Stapel lassen, während revolutionäre Musik läuft? Gespickt mit technisch komplexen Actionsequenzen und sinnlichen Sexszenen? Ja. Gerne doch! Kleine Ziele, punktgenau getroffen, sind aber auch was wert, oder? Eine Komödie, die einfach nur lustig ist, ein Musical mit starken Songs, ein Actionfilm, der sofort loslegt und vor tollen Stunts platzt? Was hält dich davon ab, es anzuerkennen, wenn ein Film kein Rundumschlag ist, sondern in sehr spezifische Dingen sehr gut ist?

Schritt 8: Spar dir die Beleidigungen, ja?


Wenn du die neue Melissa-McCarthy-Komödie doof findest, erklär mir, weshalb. Und stell dich nicht auf ein Podest, von dem aus du in die Welt hinausbrüllst: „McCarthy ist eine unlustige Fettsau!“ Wenn ein Film mit guten Performances und cleverem Skript an einer miesen Inszenierung scheitert, was gewinnt deine Kritik dadurch, wenn du schreibst: „Regisseur Nobody McMustermann ist eine talentfreie Nullnummer, die lieber zurück an die Supermarktkasse sollte!“? Wenn du jeden cineastischen Fehlgriff als „blöden Scheißfilm“ bezeichnest, verliert dieses Urteil rasch an Wirkung. Du bist Kritiker. Kein Ein-Mann-Mob mit Fackel und Mistgabel. Benimm dich.

Schritt 9: „Aber, aber, Marcel Reich-Ranicki wurde auch laut! Und Karl Kraus, also, der war voll für Deutlichkeit!“


Ja, jeder Kritiker hat seinen Stil. Und dies hier ist nur ein Leitfaden. Er enthält Richtlinien, keine Gesetze. Ein guter Geschichtenerzähler kann auch auf die grundlegenden „Regeln“ eines Aristoteles oder Lessing pfeifen. Und manche Kritiker haben Polemik sowie Vulgarität als ihren Stil entdeckt. Nur möchte ich dir was verraten: Ein Gros der Kritiker, die sich heutzutage primär über Zorn definieren, sind unqualifizierte, nervige Lackaffen, die ihre Minderwertigkeitskomplexe dadurch kompensieren, dass sie auf jeden verbal spucken, der keine Perfektion abliefert. Nur alle Jubeljahre findet sich unter wütenden Kritikern einer wie Reich-Ranicki. Du bist aber nicht Reich-Ranicki! Du hast nicht solch eine bewegte Lebensgeschichte und verfügst nicht über solch einen umfangreichen Wortschatz, aus dem du dich behände bedienst. Tu also bitte jemandem wie Reich-Ranicki nicht das Unrecht, ihn mit den heutigen Pöbelwutkritikern über einen Kamm zu scheren! Ja, dieser Mann konnte vulgär und laut werden. Aber er ging nie wahllos vor, er wusste, seine Spitzen einzusetzen. Wenn ein Reich-Ranicki durchgedreht ist, ein Mann so hohen Intellekts, eines derartigen Erfahrungsschatzes und so beeindruckender Beobachtungsgabe, dann hatte das Gewicht. Wenn ein Nobody aus dem Internet „Die grenzdebile Grinsebacke Matthias Schweighöfer gehört nicht einmal vor eine Kamera, geschweige denn auf den Regiestuhl“ als professionelle Kritik ausgibt, ist das bestenfalls pathetisch und schlimmstenfalls gleichermaßen lachhaft wie todtraurig!

Außerdem: Wer ernsthaft Kraus‘ Forderung einer vollkommen deutlichen Kritik mit der Legitimation unqualifizierter Drastik verwechselt, sollte dessen Namen gar nicht erst in den Mund nehmen dürfen. Kraus‘ Vorstellung von Deutlichkeit umfasst ebenso sehr Präzision. Sie ist mit einem exakt gesetzten, tödlichen Schuss eines Scharfschützen gleichzusetzen: Finde die Missgeschicke eines Werkes und … *zack*. Genau getroffen! Was du Hanswurst willst, ist mit einer Jahrespackung Splittergranaten um dich werfen, weil du dich in einem Film zwischendurch ein wenig gelangweilt hast und du die Hauptdarstellerin nicht so geil findest wie dein liebstes Pornosternchen!

Schritt 10: „Du nervst voll! Verkopf nicht alles so krampfhaft, hör mir auf mit diesem piefigen Quark! Wir leben in neuen Zeiten! Da brauch ich Härte! Medien ändern sich! #YOLO! #MakeReviewsHardcoreAgain“


Du sagst es. Die Medien wandeln sich. Nahezu jeder kann heutzutage seine Gedanken auf die Welt loslassen. Geschrieben. Gesprochen. In Videoform. Jeder ist ein kleiner Hobbypublizist. Alle Welt glaubt, ein Angry Movie & Television Geek zu sein, gefühlt jeder fünfte Filmliebhaber, der über den Mainstreamtellerrand schaut, hält sich für den nächsten Marcel Reich-Ranicki. In einer digitalen Welt voller Schreihälse, die glauben, dass die Masse an Beschimpfungen mehr zählt als die Prägnanz der getätigten Beobachtungen …. Sei da nicht der nächste Wutnickel, den ich schon vergessen habe, sobald ich die neuste Schimpfattacke des übernächsten Verbalraufbolds erblicke! Der Schockfaktor allein zieht nicht. Ich habe Internetzugang – keine Formulierung eines Irgendwers kann mich noch schocken! Niemand denkt „Wow, was für ein harter Kritiker, der meckert so viel, der muss Ahnung haben.“ Wenn ich unqualifiziertes, unanalytisches Gezeter lesen will, dann lese ich Internetkommentare. Ein Kritiker muss mehr auf dem Kasten haben. Mehr Beobachtungsgabe. Mehr Willen, auf eine Produktion einzugehen. Mehr Schreibtalent, weniger Aufplustern!

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
13.09.2016 14:55 Uhr 1
Ich dachte, Euch Filmkritiker gehen positive wie negative Filmkritiken einigermassen leicht vom Kuli....
torsten.partenheimer
15.09.2016 00:06 Uhr 2
Schritt 6: Schreibe niemals eine negative Kritik über einen Film in dem vier Frauen Geister jagen. Denn dann bist du rückständig, verbohrt und ein Frauenhasser. Egal wie gut deine Argumente sind.
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