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EM-Check ZDF: Ein bisschen Lanz, ein bisschen Kloppo

von   |  4 Kommentare

Ist Holger Stanislawski der neue Jürgen Klopp? Könnte man Oliver Welke durch Markus Lanz austauschen? Ging die Welt unter, als Claudia Neumann als erste Frau ein Spiel kommentierte? Unser Check der EM-Berichterstattung im ZDF.

Facts zur UEFA Euro 2016 (Teil 2)

  • Frankreich veranstaltet die Euro zum dritten Mal – Rekord!
  • Das teuerste Ticket ist ein Finalticket und kostet knapp 900 Euro
  • In allen Stadien gilt striktes Rauchverbot – genauso wie bei der EM 2012
  • Gábor Király ist mit seinen 40 Jahren alleiniger Rekordhalter als ältester EM-Spieler aller Zeiten. Er löst Lothar Matthäus ab
Vor zwei Jahren veranstaltete das ZDF ein kleines Fußball-Experiment, still und heimlich. Auf dem Spartensender ZDFinfo wurden ein paar Partien der WM 2014 ausgestrahlt, am letzten Gruppenspieltag, wenn parallel gespielt wird. Die Berichterstattung beschränkte sich allerdings nicht auf ein Minimum, wie man es erwarten würde. Nein, man probierte sich an einer Talkrunde mit Moderator und gleich drei Experten – einem sogenannten Roundtable, wie er in der internationalen Sportberichterstattung gängig ist. Bei den Öffentlich-Rechtlichen hatte man so etwas vorher kaum gesehen. Das Experiment funktionierte – und führte wohl auch dazu, dass das ZDF bei der aktuellen EM 2016 umfangreich auf das Roundtable-Modell setzt. Ein bisschen Markus Lanz zieht damit in das Pariser Sendezentrum.

Neben Oliver Kahn hat man oft 1-2 weitere Experten am Tisch, die das Spiel aus anderen Perspektiven beleuchten: teils einen ausländischen Gast, teils TV-Schiedsrichter Urs Meyer für strittige Spielszenen, außerdem Sebastian Kehl, der sich in den kommenden Wochen noch profilieren muss. Die Runden haben uns bereits viele informative Momente gebracht, und auch unterhaltsame. Manchmal entstand eine Gruppendynamik, in der die Gäste miteinander diskutierten und Moderator Oliver Welke nicht den ständig Fragenden geben musste. Der Roundtable ist ein Modell der Zukunft, und er hat sich bislang sehr bewährt.

Einziger Nachteil: Dieses Konzept geht auf Kosten der Stadion-Berichterstattung, die bei der Konkurrenz im Ersten mit toller Atmosphäre punktet. Dafür hat das ZDF die bessere visuelle Aufbereitung, die auch Atmosphäre schafft: Videoclips und Trailer, zum Beispiel zu kommenden Spielen, sind Weltklasse. Insgesamt wirkt die ZDF-Berichterstattung sehr seriös, ohne dabei kalt oder langweilig zu werden. Sie unterscheidet sich damit vom ARD-Konzept, das deutlich mehr auf Unterhaltung setzt – unter anderem mit Arnd Zeigler und Beckmanns Spätshow.

Taktik-Holger und eine Frau am Mikro


Diesen Eindruck gewinnt man auch durch die alte neue Taktik-Analyse mit Holger Stanislawski, acht Jahre nach dem Ende der Berichterstattung mit Taktikguru Jürgen Klopp. Stanislawski zeigt Spielzüge, Raumaufteilung, Stellungsfehler auf einen großen Touchscreen, auf dem er zeichnen und markieren kann. Dieses Modell kennt man auch von Erik Meijer bei Sky. Innovative Einblicke gibt der ZDF-Mann zwar nicht – anders als beispielsweise die neue Taktikgröße „Packing“ im Ersten –, aber er erklärt nachvollziehbar und verständlich. Ein guter Kompromiss für ein nicht allzu taktikerprobtes Millionenpublikum.

Claudia Neumann wagt sich als erste Frau ans Kommentatorenmikro und konnte zumindest in der ersten Partie noch nicht überzeugen. Fachlich mit großer Sachkenntnis, verhaspelte sie sich manchmal in wirren Phrasen und Satzkonstruktionen. Teils sprach sie einfach zu leise und wurde von den Stadionfans fast übertönt. Schlecht war ihr Einstand deswegen nicht, die nächsten Chancen darf sie aber gern besser nutzen. Hervorzuheben ist Oliver Schmidt, der unter anderem das Spiel zwischen England und Russland kommentierte. Seine emotionale Schilderung der Ausschreitungen nach dem eigentlichen Spiel verdient Beachtung. Generell ist Schmidt sich nicht zu schade für kontroverse Einwürfe und subjektiv gefärbte Meinungen. Und Béla Réthy? Naja, er ist Béla Réthy. Er kann das Spiel spannender machen als es ist, auch wenn seine Beobachtungen manchmal ungenau wirken: Welcher Spieler hat da gerade nochmal geköpft?

Auch dem ZDF muss man anlasten, zu wenig über die schlimmen Begleitumstände dieser EM zu berichten, wenn auch ein wenig ausführlicher als bei der ARD. Gerade mit dem Roundtable gäbe es die Möglichkeit, einen umfassend kritischen Blick auf diese EM zu werfen – beispielsweise in einer Viertelstunde spät am Abend oder in der Stunde vor dem Topspiel um 21 Uhr, mutig zur besten Sendezeit. Immerhin hat man sich in puncto UEFA-Bildregie klar positioniert, bei der kommenden Partie zwischen Deutschland und Polen werden auch eigene Kameras eingesetzt, um möglicher Zensur vorzubeugen.

Ein großes Lob geht zudem an Jochen Breyer und seine Redaktion für die Reportage «Zwischen Verehrung und Verachtung», die am Eröffnungstag ausgestrahlt wurde und von der Hassliebe der Franzosen gegenüber ihrer Nationalmannschaft handelte. Eigentlich war die Sendung aber ein kritisches Porträt über die Gesellschaft, über ihre Ressentiments und Vorurteile, über die Fragilität des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen. Es ist ein wichtiger Beitrag zu einer Diskussion, die diese Europameisterschaft wie keine zweite bewegt. Leider, muss man dazusagen.

Unseren Check zur EM-Berichterstattung der ARD finden Sie hier.

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
16.06.2016 14:23 Uhr 1
Ja, der Schmidt, mußte ja kommen, das ihr/du den gut finde(s)t!! Ich kann diesen Mann einfach garnix abgewinnen!!
fernseher98
16.06.2016 18:13 Uhr 2


Welchen Kommentator würdest du denn gerne bei der EM sehen? Ich finde Schmidt mit Martin Schneider den besten, den das ZDF zu bieten hat. Rolf Töpperwien konnte man ja nicht reaktivieren, sonst wäre meine Wahl eindeutig ;) Zu Claudia Neumann kann ich nichts sagen, das Spiel mit ihr habe ich nicht gesehen.

Aber ich empfehle allen Nörglern: Schaltet mal auf die Kommentatoren der Audiodeskription! Die kommentieren supergut! Die 2. Tonspur ist bei mir zuimndest in der ARD immer an, weil ich Steffen Simon nicht ertragen kann...
mike.däppen
16.06.2016 19:30 Uhr 3
Bela Rethy geht einfach garnicht. Nicht nur das er schlecht sieht, heute hat er sich irgendwie dazugedichtet das England gewinnen muss, wenn sie noch weiterkommen wollen. Selbst bei einer Niederlage wäre man mit einem Sieg im letzten Spiel weiter gekommen.
Sentinel2003
16.06.2016 21:58 Uhr 4




Wieso, ich habe doch schon desöfteren in den letzten Monaten im Sport Thread gesagt, das ich Gerd Gottlob sehr gut finde....Schmidt ist doch Gott sei Dank nicht der einzige Kommentator!!



Und Bela Rethy habe ich schon in den 90ern sehr gerne gehört!

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