Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: Blackout am Morgen

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Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 286: Der sanfte Einstieg in den täglichen Talkshow-Wahn und das Ende eines wahren Soap-Klassikers.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des Beweises dafür, dass Seriosität im Privatfernsehen nur schwer zu etablieren ist.

«Mein Morgen» wurde am 20. September 1999 bei RTL geboren und entstand zu einer Zeit, kurz nachdem der Sender einen einschneidenden personellen Umbau vorgenommen hatte. Im Herbst des Vorjahres gab nämlich der bisherige Geschäftsführer Helmut Thoma sein Amt nach 15 Jahren überraschend nicht an seinen Vertrauten und langjährigen Programmdirektor Marc Conrad, sondern auf Drängen der Führungsspitze des RTL-Eigners Bertelsmann an den knallharten Sparer Gerhard Zeiler ab. Der offenbar unzufriedene Conrad verzichtete deswegen darauf, seinen Vertrag, der ohnehin an die Persona Thoma geknüpft war, zu erneuern und machte sich als Medienproduzent mit seiner Firma Typhoon AG selbstständig. Völlig zerstritten gingen die beiden Parteien nicht auseinander, denn Conrad konnte einen Großteil seiner Produkte im Programm von RTL unterbringen. Unter anderem steuerte er in den folgenden Monaten die Comedy-Reihe «Freitag Nacht News», die Impro-Show «Dritte Halbzeit» sowie einige TV-Movies bei. Das Gesamtvolumen dieser ersten Aufträge soll allein rund 40 Millionen DM betragen haben.

Das zentrale Kernstück seines Engagements bildete das Magazin «Mein Morgen», das mit seiner täglichen Ausstrahlung eine verlässliche (finanzielle) Basis bilden sollte. Dahinter verbarg sich ein Service-Format, das sich vor allem an Hausfrauen richtete. Die aufgegriffene Themen-Palette reichte dabei von Vorschlägen zur Bepflanzung des heimischen Gartens über Modetipps bis zum tragischen Schicksal von entführten Kindern. Natürlich durften auch bunte Geschichten aus der Welt der Prominenten sowie Promotion für hauseigene Angebote nicht fehlen. Wegen dieser inhaltlichen Vielfalt und nicht zuletzt wegen des Sendeplatzes am frühen Vormittag um 09.00 Uhr wurde das Konzept oft mit dem etablierten «Sat.1 Frühstücksfernsehen» oder dem «Morgenmagazin» von ARD/ZDF verglichen. Gegen diese Parallelen versuchte sich Conrad allerdings stets zu wehren, weil er glaubte, die Inhalte professioneller, seriöser und tiefgehender anbieten zu können.

Darin vermochten viele das ehrgeizige Ziel erkannt zu haben, bei RTL ein Magazin abseits der allgemeinen Seichtigkeit etablieren zu wollen, das mit seiner täglichen Laufzeit von 90 Minuten die Möglichkeit hatte, relevante Aspekte ausführlich zu besprechen. Unterstützt wurde dieser Eindruck dadurch, dass als Moderatorinnen nicht irgendwelche Promi-Sternchen oder Unterhaltungskünstler, sondern die Journalistinnen Tanja Paidar und Anne Gesthuysen verpflichtet wurden. Insbesondere Gesthuysen verfügte schließlich über umfangreiche journalistische Erfahrungen durch ihre vorherige Tätigkeit beim WDR.

Tatsächlich aber reduzierte sich die Auseinandersetzung mit ernsten Problematiken meist auf das Vorzeigen von Betroffenen. Zudem wirkte der Ablauf stets etwas unausgewogen. Ebenso empfand es der Autor Torsten Körner von der Berliner Zeitung. Er schrieb: „Die Moderationswechsel klappen nicht, die Themen werden plump, ohne erkennbare Überleitung ineinander geschoben, und plötzlich wissen Sie nicht mehr, ob Sie bei der Talkrunde über Brustkrebs oder beim Bewerbungstraining für Berufsanfänger sind.“

Darüber hinaus erinnerte die Sendung eher an einen Daily Talk als an ein Service-Magazin, was nicht zuletzt am anwesenden Studiopublikum lag. Dies war sicher kein Zufall, befand sich zu jener Zeit doch der Talkboom mit insgesamt 13 Varianten pro Tag auf seinem Zenit. In diesem Rahmen bildete «Mein Morgen» nun quasi den sanften Einstieg in den täglichen Zyklus, denn direkt im Anschluss folgte mit «Sabrina» die erste „echte“ Talkshow des Tages. Letztlich gelang es also nicht, ernst zunehmende und relevante Impulse für das RTL-Line-Up zu liefern.

Dennoch stand dahinter ein beachtlicher Aufwand, der mit dem frühen Time-Slot und der damit verbundenen geringen Fernsehnutzung kaum im Verhältnis stand. Vor dem Start der Ausstrahlung kündigte Conrad daher selbstsicher an, durch sein neues Projekt künftig eine Million Menschen mehr vor den Fernseher locken zu wollen. Außerdem visierte er einen Marktanteil von 20 bis 25 Prozent an und versprach vorab, bei dauerhaften Werten um 15 Prozent versagt zu haben. Er selbst legte die Messlatte damit unerreichbar hoch und scheiterte letztlich daran. Im Durchschnitt schalteten weniger als 500.000 Menschen ein und die Gesamtmarktanteile pendelten um die Zehn-Prozent-Marke. Selbst in der werberelevanten Zielgruppe wurden im Mittel nur 12,3 Prozent erreicht, weswegen Mitte Februar 2000 bereits die baldige Einstellung angekündigt wurde. Am Ende ersetzten Wiederholungen der Sitcoms «Mary Tyler Moore», «Golden Girls» und «Die Nanny» die strebsame, aber unausgewogene Produktion.

Kurz zuvor geriet sie jedoch noch in die Schlagzeilen, weil die Ausgabe vom 15. Januar aufgrund eines Stromausfalls für eine Dreiviertelstunde unterbrochen werden musste. Als Ersatzprogramm zeigte man damals mit «Mary Tyler Moore» ausgerechnet eine jener Serien, gegen die das Magazin später ausgetauscht wurde.

«Mein Morgen» wurde am 31. März 2000 beerdigt und erreichte ein Alter von rund einem halben Jahr. Die Show hinterließ die Moderatorin Tanja Paidar, die dann zum Münchner Regionalfenster von RTL wechselte, sowie Anne Gesthuysen, die wieder zurück zum WDR kehrte. Dort präsentierte sie zunächst die Nachrichten und ab 2004 das «Morgenmagazin» der ARD. Marc Conrad wurde im selben Jahr doch noch Geschäftsführer von RTL, behielt diesen Posten aber nur dreieinhalb Monate. Übrigens, die Sendung «Mein Morgen» ist bei zahlreichen Soap-Fans äußerst unbeliebt, weil ihretwegen die US-Seifenoper «Springfield Story» weichen musste und seither nicht mehr in Deutschland gezeigt wird.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einer Serie voll Werbung für die Bundeswehr.

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