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Degeto-Redaktionsleiter Sascha Schwingel: „Jüngere stärker ansprechen“

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Sascha Schwingel ist als Degeto-Redaktionsleiter für zahlreiche ARD-Sendeplätze im Fiction-Bereich verantwortlich. Wie ihm diese neue Aufgabe als Ex-teamWorx-Produzent gefällt und warum „Lagerfeuer 2.0“ für die ganze Familie immer schwieriger wird, verrät er uns im Interview.

Zur Person: Sascha Schwingel

Im Oktober 2013 wechselte Sascha Schwingel zur Degeto. Der Ex-teamWorx-Produzent realisierte zuvor Event-Filme wie «Dresden», «Die Sturmflut» oder «Hindenburg» - den teuersten RTL-Film aller Zeiten. Dafür erhielt der heute 42-Jährige den „Deutschen Fernsehpreis“.
Sascha Schwingel, wie haben Sie die Feiertage so verbracht?
Die drei Schwestern meiner Frau haben uns mit Kind und Kegel im Taunus besucht, um einen Geburtstagsfilm für meine Schwiegermutter zu drehen. Ich habe den Ton geangelt und mich ums Catering gekümmert.

Zurück im Job: Wie war Ihr Wechsel vom Produzent zum Redaktionsleiter – quasi auf die andere Seite?
Ich bin von meinem neuen Job bei der Degeto begeistert. Mein Blickwinkel ist breiter geworden und die Verantwortung ist eine ganz andere. Ich habe in meinem „Produzentenleben“ durchschnittlich fünf Filme pro Jahr gemacht und war in jeden einzelnen Schritt involviert. Als Redaktionsleiter verantworte ich bei der Degeto in diesem Jahr knapp 100 Produktionen. Hier geht es darum, die besten Filme auszuwählen, mit den richtigen Schauspielern und Regisseuren zu besetzen und gemeinsam mit den Redakteurinnen und Redakteuren die Weichen zu stellen. Die Degeto befindet sich gerade im Wandel und ich kann das mitgestalten - das ist unglaublich spannend.

Sowohl aktuelle Degeto-Stoffe als auch frühere Produktionen von Ihnen sind häufig mit geschichtlichem Hintergrund – hat das einen besonderen Reiz für Sie?
Absolut! Wir werden zum Beispiel den «Fall Barschel» machen. Dann gibt es eine andere Geschichte, die mich schon seit Jahren interessiert: Das «Geiseldrama von Gladbeck». Das ist jüngere, deutsche Zeitgeschichte, spannend und brisant. Das finde ich erzählenswert. Auf der anderen Seite gibt es Geschichten wie «Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz». Ein gesellschaftsrelevantes Thema, das die Menschen im Hier und Jetzt interessiert. Auch das reizt mich.

Die ARD-Vorabend-Serie «Heiter bis tödlich» wird fortgesetzt, zudem scheinen auch einige Primetime-Krimis – wenn auch nicht so stark - mit einem kleinen Augenzwinkern zu agieren…?
Ja, aber ich würde die Primetime-Krimis nicht mit «Heiter bis tödlich» vergleichen wollen. Bei «Kommissar Dupin – Bretonische Verhältnisse» zum Beispiel spielt Pasquale Aleardi seine Figur mit einem Augenzwinkern. Ein verrückter Typ aus Paris, der in der Bretagne ermitteln muss. Es gibt aber auch Charaktere am Donnerstag, die weitaus ernster angelegt sind, zum Beispiel die jüdische Polizistin Sara Klein, die wegen der Liebe von Berlin nach Tel Aviv geht und dort ermittelt.

Das zeigt ja auch Ihre BBC-Lizenzware «Die Musketiere»…?
Ja, faszinierendes Popcorn-Fernsehen in bestechender Qualität. Das ist wirklich das Beste, was die BBC derzeit am Markt hat. Ich freue mich, dass wir den Zuschauern diese Serie als Feiertagsprogramm in kompakter Programmierung anbieten können.

Welche TV-Trends sehen Sie? Krimis scheinen derzeit ja gut zu laufen…?
Es wird schon sehr viel gemordet und gestorben im Fernsehen, deshalb wird bei uns am Freitag gelebt. In all seiner prallen Vielfalt! (lacht) Auf dem Freitagssendeplatz wird man bei uns keinen Krimi finden, wir wollen Geschichten erzählen, die die Menschen glücklich machen. Wir behandeln auch ernsthafte Themen und Konflikte, wollen uns damit aber konstruktiv auseinandersetzten, ohne sie zu verharmlosen. Ein Trend und gleichzeitig ein Klassiker ist für mich die opulente, „große Erzählung“, die den Zuschauer auf eine Reise mitnimmt und ihn in eine andere Welt entführt. Diese Art von Produktionen werden wir den Zuschauern an den Samstagen bieten. Das können historische Stoffe, aber auch zeitgenössische Geschichten sein, die sich nicht unmittelbar an der Lebenswirklichkeit des Zuschauers orientieren. Wir wollen herausragende Geschichten erzählen. Das ist eine tolle Aufgabe.

Für die Degeto dreht auch erstmals Alexandra Neldel, die Sie ja aus früheren Projekten kennen…?
Mit Alex habe ich schon zu teamWorx-Zeiten zusammengearbeitet. Mir ist aufgefallen, dass sie noch nie für die Degeto gedreht hat. Da habe ich mich gefragt: Warum eigentlich? Alex ist eine ausgezeichnete Schauspielerin. Jetzt gibt es ein Format, das total für sie passt: «Rosa», die Geschichte einer Hochzeits-Planerin. Wir haben uns mit Alex und den Produzenten getroffen, Alex hat es gelesen, war begeistert und wir drehen im Spätsommer.

Kritiker bemängeln, es gebe teils typische „Degeto-Gesichter“, die übermäßig oft in Filmen mitspielen. Wie gehen Sie damit um?
Es ist wie bei allem im Leben, eine Frage der Dosierung. Möchte der Zuschauer bei 40 Freitagsfilmen pro Jahr - ich übertreibe jetzt mal – 15-mal Frau Neubauer sehen?
Degeto-Redaktionsleiter Schwingel über "typische ARD-Fernsehfilmgesichter"
Unser Ziel ist, die interessantesten Schauspieler für unsere Produktionen zu gewinnen. Eine gewisse Vielfalt spielt dabei durchaus eine Rolle. In der Vergangenheit wurde Christine Neubauer von Kritikern immer mal wieder genannt. Es ist wie bei allem im Leben, eine Frage der Dosierung. Möchte der Zuschauer bei 40 Freitagsfilmen pro Jahr - ich übertreibe jetzt mal – 15-mal Frau Neubauer sehen? Ich habe sie vor wenigen Tagen persönlich getroffen und freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihr. Ebenso freue ich mich aber auch auf die Zusammenarbeit mit Schauspielerinnen und Schauspielern, die in der Vergangenheit nicht für die Degeto gearbeitet haben.

Nach welchen Kriterien suchen Sie die Filme aus – soweit man das exemplarisch runterbrechen kann?
Das Ganze ist sehr komplex. Vereinfacht gesagt, geht es darum: Glauben wir, dass diese Geschichte unseren Zuschauer interessiert und berührt? Zudem möchten wir einen gewissen Ton anschlagen und wahrhaftig sein. Dabei können auch unglaubliche oder skurrile Geschichten lebensnah sein, wenn sie Themen beinhalten, die die Menschen betreffen. Ein Beispiel ist «Die letzten Millionen»: Eine Senioren-Tippgemeinschaft gewinnt Millionen im Lotto. Diese steile These gehen wir in diesem Fall gerne mit, da im weiteren Verlauf der Geschichte Themen wie Freundschaft, Familie, Krankheit und Liebe auf ganz feinsinnige Art und Weise behandelt werden. Am Ende geht es um drei Dinge: Emotionen, Emotionen, Emotionen.

Diese Einschätzung beruht vermutlich auf Ihrer langjährigen Produzenten-Erfahrung?

Auch, die letzten 15 Jahre sind sicherlich nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Aber die Welt ist bekanntlich im Wandel, und Dinge verändern sich ständig. Die Menschen interessieren sich heute in Teilen für völlig andere oder neue Themen, die es vor wenigen Jahren so vielleicht gar nicht gab. Wir als Redaktion verstehen uns als „Scouts", die Trends und Themen aufgreifen - quasi ein Mikrokosmos als Spiegel der Gesellschaft. Wir versuchen jede Woche aufs Neue Geschichten zu finden, die uns und somit hoffentlich auch die Zuschauer interessieren.

Mit «Hindenburg» gewannen Sie den „Deutschen Fernsehpreis“, der ja angeblich in dieser Form 2014 zum letzten Mal verliehen wird. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Es ist schade, dass es diesen Fernsehpreis 2015 nicht mehr geben soll. Ich wünsche mir, dass herausragende Leistungen von Filmschaffenden auch in Zukunft mit Auszeichnungen gewürdigt werden und bin persönlich davon überzeugt, dass man das im Rahmen einer Veranstaltung machen kann, die dem Ereignis angemessen ist.
Degeto-Redaktionsleiter Schwingel über das Ende des "Deutschen Fernsehpreises"
Ich hatte die Ehre, diesen Preis zwei Mal zu gewinnen. Das ist sehr schön, weil ich es als echte Anerkennung empfunden habe. Es ist schade, dass es diesen Fernsehpreis 2015 nicht mehr geben soll. Ich wünsche mir, dass herausragende Leistungen von Filmschaffenden auch in Zukunft mit Auszeichnungen gewürdigt werden und bin persönlich davon überzeugt, dass man das im Rahmen einer Veranstaltung machen kann, die dem Ereignis angemessen ist.
Samstags setzt das ZDF vielleicht bald auch auf mehr Krimis nach dem Ende von «Wetten, dass…?». Wie reagieren Sie darauf?
Wenn das ZDF am Samstag auf Krimi setzt, bieten wir dem Zuschauer an, in eine andere Welt einzutauchen, wie beispielsweise bei «Marthes Geheimnis», einer Literaturverfilmung nach dem Roman «Das Geheimnis der Hebamme» von Sabine Ebert. Der Auftakt einer Siedler-Saga spielt in Deutschland 1167 und erzählt die Geschichte von Marthe, die kein normales Mädchen war. Inszeniert wird dieser Zweiteiler von Roland Suso Richter.

Wie sehen Sie – unabhängig vom Sender - denn als Fernsehmacher das Ende der TV-Ära «Wetten, dass…?»?
«Wetten, dass…?» war das Ur-Lagerfeuer! Ich weiß noch, dass ich «Wetten, dass…?» früher mit meinen Großeltern und Eltern geschaut habe, dann irgendwann mit meiner Frau. Ich kann die Entscheidung verstehen, habe aber aus nostalgischer Fernsehmacher-Sicht eine Träne im Knopfloch.

Wie kann man dieses „Lagerfeuer 2.0“ mit der ganzen Familie heutzutage noch erreichen, das ja das Ziel jedes Programmmachers im Optimalfall sein sollte?
Als ich «Wetten, dass…?» vor 25 Jahren mit meinen Eltern geschaut habe, gab es weder Laptop noch iPad, geschweige denn soziale Netzwerke oder Internet-Videoportale. Das ist heute anders. Daher ist es deutlich schwieriger, die Familie durch das Fernsehen zu vereinen. Bei Live-Events wie der Fußball-Weltmeisterschaft gelingt das nach wie vor. Das mit fiktionalem Programm zu schaffen ist eine echte Herausforderung, der wir uns mit Leidenschaft stellen. Man sieht ja beispielsweise beim «Tatort», dass es möglich ist, auch heute hohe Marktanteile zu holen.

Inwieweit wollen Sie in der ARD noch stärker jüngere Zielgruppen ansprechen?
Wir bei der Degeto möchten auch Jüngere stärker ansprechen. Ich freue mich über einen Film wie «Mona kriegt ein Baby», bei dem es um das Thema Teenager-Schwangerschaft geht. Nicht unbedingt ein Stoff für Senioren, außer sie haben wilde Enkel! (lacht) Der Film hat 15 Prozent Marktanteil erzielt. Das freut mich total. Wir werden natürlich am Freitagabend nicht ausschließlich Teenager-Themen behandeln. Ziel ist, Geschichten zu erzählen, die auch Menschen unter 40 interessieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Sascha Schwingel.

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