Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Talk-Dilemma ARD

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Ein Kommentar zur schwierigen Talk-Situation im Ersten: Wo senden Plasberg, Will und Co. künftig?

Wenn Günther Jauch ab Herbst 2011 am Sonntagabend nach dem «Tatort» über Politik diskutiert, dürfte seine Vorgängerin Anne Will immer noch auf Sendung sein. Denn die ARD-Verantwortlichen wollen ihr aktuelles Sonntagabend-Talkformat nicht aufgeben, wenn Jauch künftig den Sendeplatz der ehemaligen «Tagesthemen»-Moderatorin einnimmt. Ob dies gerechtfertigt ist, sei dahingestellt: Anne Will konnte seit September 2007 mit ihrer Sendung innerhalb kurzer Zeit zwar mehr Profil gewinnen als Sabine Christiansen in ihrer gesamten Talk-Karriere, aber die Einschaltquoten lagen stets unter denen ihrer Vorgängerin. Die ARD will Will trotzdem behalten – es soll eine Zukunft für ihre Sendung im Ersten geben. Damit bleibt die simple Feststellung, dass die ARD mit der Jauch-Verstärkung künftig vier Polit-Talks pro Woche zeigen wird. Aber wo sollen die Sendeplätze hergenommen werden?

Die Talk-Rochade wird dadurch erschwert, dass die ARD 2011 auch endlich auf die einheitliche «Tagesthemen»-Anfangszeit setzen will: Künftig soll das allabendliche Nachrichtenformat jeden Tag um 22.15 Uhr beginnen und damit wieder an Relevanz und Reputation gewinnen – das «heute-journal» hat diesem in den vergangenen Jahren deutlich den Rang abgelaufen. Und eine feste Anfangszeit ist nicht nur einleuchtend und positiv, sondern auch bitter nötig: In der kommenden Woche starten die «Tagesthemen» beispielsweise an sieben Wochentagen zu sechs verschiedenen Zeiten (22.00 / 22.30 / 23.15 / 22.50 / 22.45 / 22.15 Uhr). Wie soll sich bei diesem programmierten Mega-Chaos ein größeres Stammpublikum finden? Die einheitliche «Tagesthemen»-Startzeit ist also löblich und hat oberste Priorität – die Einteilung der Polit-Talks wird dafür jedoch umso schwerer.

Abgesehen von Günther Jauchs Talk, der mit einer Sendezeit um 21.45 Uhr am Sonntagabend feststeht, ist die Verteilung offen. Eine endgültige Entscheidung wollen die Verantwortlichen bis Ende November getroffen haben. Wichtigste Rolle im Sendeplatz-Poker spielt Frank Plasbergs erfolgreicher Talk: Kürzlich wurde kolportiert, dass man die Verlegung von «hart aber fair» auf den Montagabend um 21.00 Uhr plane. Dies wäre eine Lösung, allerdings eine denkbar ungünstige: Denn Plasberg würde dann gerade einmal einen Tag später als Jauch auf Sendung gehen, müsste ähnliche Themen bedienen und bekäme wohl nicht die besten Gäste ab. Zu einer Themen- und Politiker-Zweitverwertung degradiert zu werden, hat «hart aber fair» nicht verdient: Es ist eines der erfolgreichsten Polit-Formate im deutschen Fernsehen und konnte in der vergangenen Saison so viele Zuschauer wie nie zuvor begeistern – bis zu 7,5 Millionen schalteten ein. Wichtiger aber ist die Reputation von Plasbergs interaktiver Show: Diese ist so gut wie bei keiner ähnlichen Sendung.

Die ARD muss also vermeiden, es sich mit Plasberg zu verscherzen. Doch welcher Sendeplatz außer jener am Montag um 21.00 Uhr ist für einen 75-minütigen Talk überhaupt frei, wenn er nicht gerade nach den «Tagesthemen» starten soll? Dienstags, mittwochs und freitags setzt die ARD erfolgreich auf Serien und Filme, donnerstags werden mehrstündige Shows gezeigt – es bleibt also schlicht nur der Montagabend, denn die Aufgabe eines erfolgreichen Serien- oder Filmabends erscheint äußerst unwahrscheinlich. Möglich wäre allerdings die Verlegung der Donnerstags-Shows beispielsweise auf den Samstagabend, im Gegenzug könnte Plasberg donnerstags um 20.15 Uhr talken. Das Politmagazin «Kontraste», das an diesem Tag aktuell um 22.00 Uhr gezeigt wird, wäre eine ideale Ergänzung im Anschluss. Und zudem wäre der bestmögliche zeitliche Abstand zwischen Plasberg und Jauch hergestellt.

Sandra Maischbergers Sendeplatz wird höchstwahrscheinlich am Dienstagabend beibehalten – ihre sehr guten Quoten sprechen für einen Verbleib an alter Wirkungsstätte. Bleibt also die vom Sonntag vertriebene Anne Will. Vermutlich wird die ARD ihr keinen Primetime-Sendeplatz mehr zubilligen. Ihr Format würde also künftig wahrscheinlich in einer kohärenten Talk-Schiene am Spätabend um 22.45 Uhr nach den «Tagesthemen» starten – gemeinsam mit Beckmann am Montag und Maischberger am Dienstag. Damit einher gehen dürften Konzeptveränderungen bei «Anne Will», damit sich das Format von Plasberg und Maischberger abhebt und eine Alternative bietet. Dies muss auch geschehen, denn anders sind vier wöchentliche Polit-Talks nicht fundiert zu rechtfertigen. Vorstellbar wäre beispielsweise ein Dialog mit jeweils einem Spitzenpolitiker anstatt einer Talkrunde.

Interessant werden die Planspiele der ARD in den kommenden Wochen allemal; am Ende kann nicht jeder zufrieden gestellt werden. Vielleicht verliert vorher einer der Protagonisten die Nerven und wandert am Ende freiwillig ins Dritte oder zu einem anderen Sender ab. So wie es Harald Schmidt gezeigt hat, bevor er seinen ARD-Sendeplatz hätte räumen müssen…

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.

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