Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Die Zombies kommen

von
Vampire sind von gestern! Unser Kolumnist über den Zombie-Hype und «The Walking Dead».

„Ich weiß nicht, was das für Geschöpfe sind – aber ich halte mich lieber von ihnen fern.“ Genau dies wird Polizist Rick Grimes in der neuen US-Serie «The Walking Dead» gedacht haben, als er nach mehrwöchigem Koma mutterseelenallein im Krankenhaus erwachte und auf der Straße zum ersten Mal einem Untoten begegnete. Denn in den Wochen, in denen Rick sich als Komapatient in einer anderen Welt befand, bricht im Land eine Plage aus, die Menschen in Zombies verwandelt. Und wie üblich im Subgenre des Untoten-Films wird die Ursache für die Zombie-Epidemie zunächst nicht erklärt. Die Untoten sind hier, und wir Überlebende müssen mit ihnen fertig werden.

Die neue AMC-Serie «The Walking Dead», die auch in Deutschland schon beim Pay-TV-Sender FOX ausgestrahlt wird, ist eine Evolution in der Geschichte des Zombie-Films. Denn sie erzählt nicht von dem Kampf gegen die untoten Horden oder der Flucht vor ihnen, sondern zeigt, wie Menschen in Extremsituationen wie dieser agieren und reagieren. Die zwischenmenschlichen Beziehungen der Überlebenden werden in den kommenden Episoden zum Fixpunkt der Serie – und bleiben dies für lange Zeit. Die Zombie-Epidemie ist also auf einer Meta-Ebene nur die nötige Prämisse, um Konflikte, Bindungen, Liebe, Trauer und Ansichten der Überlebenden darzustellen, wenn ihnen urplötzlich die Zivilisation abhandenkommt, wenn die Natur zum größten Freund und zum ärgsten Feind wird. Wenn also das pure Überleben gefragt ist. Die Serie lässt sich Zeit für Bilder und Geschichten, verfällt nicht dem blutigen Action-Hype und der Stupidiät.

«The Walking Dead» basiert auf dem gleichnamigen US-Comic, der seit 2003 erscheint und es mittlerweile auf fast 80 Ausgaben geschaffen hat. Die erste Staffel der TV-Serie orientiert sich eng an der hervorragenden literarischen Vorlage von Robert Kirkman, welche eben genau jenen Schwerpunkt auf den verbleibenden Rest der Menschlichkeit inmitten einer Welt gefühlloser Zombies legt und damit das Zombie-Genre erstens von einer ganz neuen Seite anpackt und zweitens auf ein anspruchsvolles Niveau hebt. Denn nachdem George A. Romero 1968 mit dem Klassiker «Night of the Living Dead» das Subgenre des Zombiefilms im Alleingang begründet und für Jahrzehnte geprägt hatte, tat sich nicht viel. Streifen wie «Land of the Dead» oder «Dawn of the Dead» bedienten sich immer wieder der klassischen Formel, die vor Jahrzehnten aufgestellt wurde und dachten gar nicht daran, den Zombie-Mythos zeitgemäß anzupassen und ihn zu evolutionieren.

Filme wie «28 Weeks Later» oder das populäre «Resident Evil»-Franchise verpassten den Untoten hier und da mal plötzliche Schnelligkeit oder unvorhergesehene Semi-Intelligenz, die Filme bekamen teils einen sozialkritischen Einschlag – aber an dem Grundkonzept des Flüchtens vor und Kämpfens gegen Zombies wurde nichts geändert. Natürlich ist davon auch noch etwas in «The Walking Dead» enthalten (sonst könnte man dem Film eben dem Zombiegenre nicht zuordnen), aber der Fokus liegt nicht mehr auf diesem simplen und vorhersehbaren, insbesondere unkreativen Konzept.

Mit der vor einigen Jahren eingesetzten Evolution des Vampir-Mythos in der Populärkultur entdeckten die Produzenten eine neue Geldquelle. Der Vampir als menschlich anmutendes Wesen mit Gefühlen und der Erotik des Unnahbaren hat mittlerweile den blutsaugenden Todfeind aus Transsylvanien substituiert – Werke wie «Twilight» und hunderte anderer Bücher und Filme über den neuen Vampir wurden extrem populär. Warum also nicht dem Zombie-Genre einen neuen Anstrich verpassen? AMC profitiert mit «The Walking Dead» wohl auch sogar vom neuen Vampir-Mythos – denn als Gegenbewegung zu den romantischen Blutsaugern lässt sich bei vielen männlichen Fernsehzuschauern Quote holen.

Dies beweisen auch die Zuschauerzahlen der ersten beiden Folgen von «The Walking Dead» in den USA. Mit 5,35 Millionen Zuschauern übertraf die Reichweite der Premiere alle Erwartungen und wurde zum erfolgreichsten Kabelsender-Neustart des Jahres – beispielsweise sogar vor dem neuen HBO-Hit «Boardwalk Empire». Die zweite Episode verlor mit einer Reichweite von über 4,7 Millionen nur minimal an Zuschauern, wurde daher sofort für eine zweite Staffel verlängert. Bei den männlichen 18- bis 49-Jährigen konnte die zweite Folge sogar leicht Zuschauer gewinnen – eine Sensation! «The Walking Dead» wird sich mit ziemlicher Sicherheit zu einem globalen Serienphänomen entwickeln; die Evolution des Zombie-Genres findet damit aktuell statt. Ob sich daraus ein kompletter Trend wie bei den Vampiren entwickelt, bleibt abzuwarten. AMC wird sich aber sicher mittlerweile sehr darüber ärgern, für die erste Staffel der neuen Hit-Serie nur sechs Folgen bestellt zu haben. Die aus 13 Episoden bestehende zweite Season wird einige Monate auf sich warten lassen.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.

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