Sonntagsfragen

'Überwachung ist ein Teil im großen Puzzle von Dingen, die gerade schiefgehen'

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Im Interview mit Quotenmeter.de spricht Oscar-Preisträger Dirk Wilutzky über die Entstehung der von ihm produzierten Snowden Doku «Citizenfour», Überwachung in Demokratien und die Spielfilm-Verwertung der Doku.

Zur Person:

Dirk Wilutzky wurde am 2. Februar 1965 in Herleshausen geboren. Der deutsche Filmproduzent und Regisseur verschreibt sich vor allem der Produktion von Dokumentationen. Zusammen mit Laura Poitras und seiner Frau Mathilde Bonnefoy wurde er 2015 mit dem Oscar für «Citizenfour] in der Doku-Kategorie ausgezeichnet. Der Film handelt von Edward Snowden, der im Film gegenüber den Journalisten Gleen Greenwald und Ewen MacAskill erstmals Informationen über die globale Überwachungs- und Spionageaffäre seitens der NSA preisgibt, die sich später zum internationalen Skandal entwickelte. Das Erste zeigt [[Citizenfour» am 23. November um 23 Uhr.
Herr Wilutzky, Sie haben sich in «Citizenfour» mit dem größten und mächtigsten Geheimdienst der Welt angelegt. Woher rührte letztlich Ihre Motivation, den Film zu produzieren und sich in gewisser Weise selbst zum potenziellen Geheimdienst-Ziel zu machen?
Mit meiner Frau Mathilde Bonnefoy, die den Film mitproduziert und geschnitten hat, arbeite ich schon sehr lange zusammen und die letzten zehn Jahre haben wir Filme gemacht, die sehr politisch waren, weil wir als normale Bürger immer besorgter über viele Entwicklungen in unserer Welt wurden. Für arte haben wir beispielsweise die Reihe «Was tun?» produziert, mit dem Untertitel „Für eine nachhaltige und würdevolle Zukunft der Menschheit“. Anlässlich dessen haben wir mit vielen Aktivisten und Philosophen über diese Zukunft der Menschheit gesprochen und wurden immer alarmierter angesichts der nächsten zehn, zwanzig Jahre, die vor uns liegen, in denen wesentliche Entscheidungen über unsere Zukunft getroffen werden. Nur sehr wenige Menschen beschäftigen sich damit, wir scheinen eher zu versuchen, das zu verdrängen.

Als Laura Poitras Mathilde und mich fragte, ob wir mit ihr arbeiten wollen, haben wir natürlich sofort erkannt, wie wichtig ein solcher Film sein kann. Am Anfang war es aber noch gar kein Film über Snowden, denn damals wusste noch niemand etwas über ihn – zumindest zu dem Zeitpunkt, als meine Frau eingestiegen ist. Ich habe erst angefangen zu produzieren, als Poitras in Kontakt zu Snowden war. Normalerweise produziert sie ihre Filme selbst. Als sie aber gemerkt hat, dass sie das nicht mehr alleine schafft, hat sie mich gefragt. Es hat sich für uns nie die Frage gestellt, ob wir wirklich mitmachen wollen, weil es klar war, dass das Thema Überwachung ein Teil in dem großen Puzzle von Dingen ist, die gerade schiefgehen. Wir leben in einer Welt, in der wir alles tun müssen, um viel mehr Verantwortung für die Gestaltung unserer Zukunft zu übernehmen.

Von daher war es klar, dass «Citizenfour» ein sehr wichtiger Film sein kann, weil Überwachung in der Zukunft viele Aktivitäten von Bürgern einer Zivilgesellschaft beeinträchtigen oder sogar verhindern kann. Ich habe den Glauben, dass diese Zivilgesellschaft das einzige ist, was uns in den nächsten Jahren noch retten kann, indem sie ein Gegengewicht zum aktuellen politischen Versagen bewirkt.

Infolge der Enthüllungen, wurde Edward Snowden zu einer sehr umstrittenen Person. Was haben Sie nach Ihren Erfahrungen für ein Bild von ihm und seinen Taten, die ihn über Nacht auf der ganzen Welt berühmt gemacht haben?
Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass es in der jungen Generation so eine offene und aufrichtige moralische Empörung gibt, die einen zu solchen lebensgefährlichen Handlungen und Konsequenzen bringt.
Dirk Wilutzky über Edward Snowden
Edward Snowden war für mich vom ersten Moment an, als ich Material von ihm gesehen habe, ein total glaubwürdiger, junger Mann, der mich total verblüfft hat. Als Mensch, wie er spricht, wie er Fragen beantwortet, wie er verschiedene Sachverhalte und seine eigene Motivation erklärt. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass es in der jungen Generation so eine offene und aufrichtige moralische Empörung gibt, die einen zu solchen lebensgefährlichen Handlungen und Konsequenzen bringt. Ich bewundere ihn und bedanke mich bei ihm ganz herzlich für das, was er tut, weil er ein Vorbild dafür ist, was wir alle tun sollten. Natürlich nicht in dem Maße und in der Wirksamkeit wie Edward Snowden, aber wir alle sollten unsere Ängste überwinden und einschreiten, wenn wir sehen, dass unsere Demokratie bedroht wird.

Man kann sagen, «Citizenfour» schlägt sich, wie ein Großteil der Weltbevölkerung auch, auf die Seite von Edward Snowden. Was entgegnen Sie Snowden-Kritikern, die ihn beispielsweise des Hochverrats bezichtigen?
Sie respektieren, dass er aus einem Verantwortungsgefühl heraus gehandelt hat. Wenn man diese Sichtweise übernimmt, dann sind die meisten Vorwürfe, die aus ihm einen Verräter machen, vom Tisch.
Dirk Wilutzky über Snowden-Kritiker
Die Anklage unter dem ‚Espionage Act‘ ist natürlich ein Skandal, weil er die Informationen keinen feindlichen Mächten überreicht und das auch nicht zur persönlichen Bereicherung gemacht hat. Ich verstehe, dass Leute Schwierigkeiten mit ihm haben, weil man die Veröffentlichung der Geheimnisse als eine Art Verrat empfinden kann. Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, haben ihn sehr abgelehnt, als er herauskam. Nachdem wir den Film gezeigt haben, haben wir sehr oft mit dem Publikum gesprochen. Immer mehr Leute sind aufgestanden und haben gesagt, dass sie total gegen Snowden gewesen sind und ihn als Verräter wahrgenommen haben. Nach dem Film seien sie aber bereit, die Motive, aus denen er gehandelt hat, zu akzeptieren. Sie respektieren, dass er aus einem Verantwortungsgefühl heraus gehandelt hat. Wenn man diese Sichtweise übernimmt, dann sind die meisten Vorwürfe, die aus ihm einen Verräter machen, vom Tisch.

Im Film wirkt er jedenfalls wie ein Mann, der keine überstürzten Entscheidungen trifft und die Sachlage sehr klar vor Augen hat…
Es ist erstaunlich, wie klar und ruhig man sein Leben aufs Spiel setzen kann, nur aufgrund von einem Gefühl für Verantwortung und solchen abstrakten Dingen wie Demokratie und Menschenrechten.

Abgesehen vom Beitrag, den der Film in Sachen Aufklärungsarbeit über Geheimdienste und Datenschutz geleistet hat, wie unterschied sich «Citizenfour» von Ihren bisherigen, anderen Produktionen, bezogen auf Ihre Arbeit hinter den Kulissen?
Bis zur Premiere kannten nur drei Leute den ganzen Film – Mathilde, Laura und ich.
Dirk Wilutzky über Vorsichtsmaßnahmen
Es war sehr viel schwieriger, da wir «Citizenfour» produziert haben, ohne Material des Films zeigen zu können und ohne besonders viel darüber zu erzählen. Wir haben den Film bis zu seiner Premiere in New York im Oktober letzten Jahres komplett geheim gehalten, damit niemand weiß, woran eigentlich gearbeitet wird. Das ist eine sehr schwierige Bedingung, wenn man einen Film finanzieren muss, weil die Geldgeber normalerweise gerne eine klare Vorstellung davon erhalten wollen, worum es in dem Film geht und was gesagt wird. Wir haben natürlich gesagt, dass es um Edward Snowden geht und haben sehr wenige Ausschnitte aus dem Material gezeigt, aber auch nur unter der Bedingung, dass die Sachen total vertraulich gehalten werden.

Bei den Vorführungen durften die Leute ihre Telefone nicht mit in den Raum nehmen, damit nicht unfreiwillig mitgehört werden konnte. Der Rest war Vertrauen und wir haben zum Glück in dieser Zeit etliche mutige Leute gefunden, die dieses Vertrauen in uns hatten und das Risiko eingegangen sind, dass sie nicht wissen, was im Film genau gesagt wird. Bis zur Premiere kannten nur drei Leute den ganzen Film – Mathilde, Laura und ich. Die Arbeit war teilweise eine große Herausforderung, weil man sehr flexible Verträge machen musste. Dafür haben wir mit sehr guten Anwälten zusammengearbeitet, die diese Verträge für beide Seiten erträglich gestaltet haben (lacht).

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich der kühle Ton der Dokumentation ergab, wie relevant der Film angesichts der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist und was Dirk Wilutzky von einer Spielfilm-Verwertung der Doku hält.

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