Die Kritiker

«Tatort – Angezählt»

von  |  Quelle: rbb (Inhaltsangabe)

Eine Woche später als ursprünglich geplant, zeigt Das Erste den neuesten Fall des Wiener Ermittlerduos Eisner und Fellner.

Inhalt


Hinter den Kulissen

  • Buch: Martin Ambrosch
  • Regie: Sabine Derflinger
  • Kamera: Christine A. Maier
  • Musik: Gerhard Schuller
  • Schnitt: Veronika Mossböck
Der Hilferuf auf ihrem Handy erreicht Bibi Fellner nicht, weil die Rufnummer anonym ist und sie deshalb das Gespräch wegdrückt. Unmittelbar danach wird die Anruferin, eine bulgarische Ex-Prostituierte, das Opfer eines grausamen Mordanschlages. Als sie auf der Strasse stehend eine Zigarette raucht, besprüht sie ein Junge von seinem BMX-Rad aus plötzlich mit einer benzingefüllten Spielzeug-Pumpgun, und die Frau steht sofort in hellen Flammen. Schlagartig begreift Bibi Fellner, dass sie von ihrer Vergangenheit eingeholt worden ist, als sie zusammen mit ihrem Partner Moritz Eisner am Tatort vor einem Wiener Bowlingcenter eintrifft. Sie wird kreidebleich, denn aus ihrer Zeit bei der Sitte kennt sie das Opfer, die schwerstverletzte Yulya Bakalova.

Eine Augenzeugin entdeckt unter den Zuschauern den Täter. Doch dieser kleine, unscheinbare Junge hält Chefinspektor Moritz Eisner sofort einen Zettel aus seinem Portemonnaie entgegen: „Ich bin Ivo. Ich bin 12 Jahre alt. Im Sinn & 74 StGB ist unmündig. Darf nicht strafen.“ Weil er beharrlich schweigt und niemand weiß, wer seine Angehörigen sind, wird er zunächst in einem Heim für sozial geschädigte Kinder untergebracht. Doch von dort flieht er noch in der ersten Nacht.

Der Fall trifft Bibi Fellner mitten ins Herz. Als sie die Nachricht erhält, dass Yulya ihren schweren Verbrennungen erlegen ist, stürzt für sie eine Welt ein, und sie ist wie von Sinnen. Denn sie hatte fest versprochen, Yulya nach ihrer Aussage vor Gericht vor ihren Verfolgern zu beschützen. Aber wer und was hat das Kind dazu gebracht, dieses eiskalt berechnete, perfide Benzin-Attentat zu verüben? Und warum hatte die leibliche Mutter ihren Sohn bei der polizeilichen Befragung verleugnet?

Darsteller


Harald Krassnitzer («Trau niemals deiner Frau») als Moritz Eisner
Adele Neuhauser («Doctor's Diary») als Bibi Fellner
Hubert Kramar («Lourdes») als Ernst Rauter
Murathan Muslu («Kuma») als Ilhan Aziz
Daniela Golpashin («Stillleben») als Nora Radneva
Abdul Kadir Tuncel als Ivo Radneva
Milka Kekic als Yulya Bakalova
Zafer Gözütok als Emil Petrow

Kritik


Zum siebten Mal füllen Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser in ihren Rolle als Ermittler Moritz Eisner und Bibi Fellner neunzig Spielfilmminuten. Wie aus Wien gewohnt, bietet die ORF-Produktion keine Schreibtischpolizeiarbeit à la «Großstadtrevier», sondern bemüht sich darum, die Zuschauer die gesamte Handlung hinweg in Atem zu halten; die Publikumsgruppe der Zartbesaiteten dürfte von diesem Fernsehabend sogar ein oder zwei schlaflose Nächte lang „profitieren“. Bereits der unorthodoxe Mord – Kind zündet Zwangsprostituierte an – lässt erahnen, dass sich dieser «Tatort» nicht als bekömmliche Sonntagabendunterhaltung versteht, sondern tief in finsteres Milieu hinabblicken möchte.

Das funktioniert erstaunlich gut – auch, weil gesellschaftskritische Aspekte zwar zu Genüge vorhanden sind, nicht aber als Moralkeule über die Schädel des Publikums gezogen werden.

Die Brutalität der Bilder, bis hin zu einer Einstellung, in der die Kamera über die verbrannte Haut des Opfers fährt, ist teilweise grenzwertig. Natürlich muss es den Machern eines Films freistehen, eine solche Darstellung zu präferieren; möglicherweise hätte eine weniger eindeutige Szenerie die Stimmung des Films aber besser transportiert. So könnte die Situation des „alleingelassenen“, brennenden Opfers auch visualisiert werden, ohne die Kamera direkt auf die brennenden Stuntfrau zu halten.

Neuhausers Darstellung der Bibi Fellner mag übertrieben und anstrengend erscheinen, ist im Rahmen des psychisch am Boden liegenden Charakters aber vertretbar. Dass eine Ermittlerin, die von der Tat persönlich tief betroffen ist, auf einen solchen Fall angesetzt wird, spielt natürlich fern jeder Realität. Nicht von der Hand zu weisen ist die tatsächlich verheerende Lage zwangsprostituierter Frauen, die viele westeuropäische Großstädte betrifft. Dass gerade im Wien der jüngeren Vergangenheit Verbrechen an die Öffentlichkeit kamen, die der im Fall gezeigten Tat ähnelten, ist den Machern des Films wichtig zu betonen.

Die Darsteller zeigen eine sehr routinierte Leistung, hervorstechend präsentierten sich vor allem diejenigen Schauspieler, die sich bislang nicht in großen Produktionen wiederfanden. Allen voran ist hier Abdul Kadir Tuncel als Ivo zu nennen, der als schweigender Täter nicht einfach nur den Mund hält, sondern seine innere Zerrissenheit ohne verbales Zutun gekonnt nach außen trägt. Handwerklich ist am neuesten österreichischen «Tatort» nichts auszusetzen, so dass schließlich ein Spielfilm bleibt, der vor allem an verschiedenen Geschmäckern scheitern könnte.

Das Erste zeigt «Tatort – Angezählt» am Sonntag, den 15. September, um 20.15 Uhr.

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