Sonntagsfragen

Markus Kavka: 'Ich mach das, bis ich umfalle'

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Zum Start der neuen «Number One!»-Staffel erklärt Moderator Markus Kavka, weshalb er dafür zahlen würde, das Format noch jahrelang fortzuführen. Außerdem spricht er über die Chancen des Musikfernsehens im Internet-Zeitalter und erläutert, wieso es von Vorteil ist, Interviewpartner uncool zu finden.

Herr Kavka, wie kam es dazu, dass ihr Format «Number One!» nach der Absetzung durch kabel eins eine neue Heimat bei ZDFkultur gefunden hat?
Das ist 'n Ding, ne? [lacht]
Eigentlich war mit kabel eins eine Weiterführung über eine dritte Staffel beschlossen. Dann kam es aber zu einem Geschäftsführerwechsel, und der neue Geschäftsführer hat gemacht, was neue Geschäftsführer gerne machen: Er hat geguckt, was die Sendung kostet, welche Quoten sie holt, und dann hat er beschlossen, dass sich das Format nicht rentiert. Dann war Aus die Maus. Drei Monate später habe ich aber den Bayerischen Fernsehpreis gewonnen, wo ich auf der Bühne in meiner Dankesrede gesagt habe, dass mich die Auszeichnung zwar sehr freut, sie aber dummerweise "posthum" ist, weil die Sendung nicht fortgesetzt wird. An dem Tag ist man bei ZDFkultur hellhörig geworden – die fanden das Format halt gut und fanden, dass es gut zu ihnen passt. Ich denke das auch, weshalb das ein ganz schneller Weg war. Die Rechte am Konzept und am Namen liegen bei der Produktionsfirma und nicht beim Sender, also hat es keiner großen Gespräche bedurft, die Sendung fortzuführen – und so konnten wir dann schon im Februar drehen.

Vom Privatfernsehen zum öffentlich-rechtlichen ... bedingte der Senderwechsel auch formale Änderungen oder Änderungen im Produktionsablauf? Welche Neuerungen werden Stammzuschauer in der neuen Staffel bemerken?
Wir hatten schon bei kabel eins größte redaktionelle Freiheiten, es war nicht so, als hätte irgendjemand zu uns gesagt, das Format müsste boulevardesker, oberflächlicher oder leichter zugänglicher sein. Es hat als solches für die Leute, an die es eigentlich gerichtet war, ganz wunderbar funktioniert. Insofern gab es für uns keine Veranlassung, an irgendwelchen Stellschrauben zu drehen. Die Leute, die «Number One!» kennen, werden es 1:1 wieder erkennen. Wir versuchen eine seriöse, aber gleichzeitig unterhaltsame Musikdoku zu machen, und somit die Künstler, die wir präsentieren, auch den Leuten näher zu bringen, die deren Musik gar nicht so sehr mögen oder sogar doof finden, sich dann aber für die Geschichte des Menschen dahinter erwärmen können. Das haben wir mit den ersten zwei Staffeln bereits oft erreicht. Auch bei mir selbst war es so, dass ich Leute erst total doof fand und hinterher richtig super fand.

Zum Beispiel?
Allen voran Phil Collins. Der war in den 80ern für mich der Satan. [lacht]
Ich war in den 80ern Gothic, und Phil Collins geht dann einfach überhaupt nicht! Dann habe ich ihn aber interviewt, und es ist bis zum heutigen Tag eines meiner Top 5 Lieblingsinterviews aller Zeiten. Collins ist so ein unfassbar charmanter, lustiger, selbstironischer, intelligenter Typ. Es ist hoch interessant, ihm zuzuhören, und ich muss gestehen, dass ich nach diesem Gespräch mir bei iTunes tatsächlich die eine oder andere Phil-Collins- und Genesis-Platte geholt habe, weil durch das Gespräch mit ihm diese Musik, die ich damals gehasst habe, viel nachvollziehbarer wurde.

In der neuen Staffel gilt das auch für Sting, über dessen Solokarriere ich vorab keine so hohe Meinung hatte, während ich Police großartig fand und alle Platten hatte. Von Sting habe ich mir nur die erste gekauft, bevor ich ausgestiegen bin. Ich fand ihn auch zunehmend als Privatmann fragwürdig, aber er hat sich im Interview als total cooler Typ herausgestellt, genauso wie Bono, der mir durch seine Omnipräsenz ein bisschen auf den Zeiger gegangen ist. Musikalisch fand ich dann auch U2 nach hinten raus nicht mehr sonderlich spannend. Doch wie bei Sting hatte ich das Glück, im Interview einen Zugang zu ihm zu finden, der diese Vorbehalte, die ich durchaus hatte, weggewischt hat. Das war dann auch für mich sehr erhellend.

Ganz generell habe ich festgestellt, dass Gespräche für mich deutlich einfacher zu führen sind, wenn ich die Leute oder ihre Musik im Vorfeld nicht cool finde. Ein Interview mit Depeche Mode ist für mich deutlich schwieriger und aufregender als mit den genannten Herrschaften.

Woran liegt es, dass Künstler, deren Arbeit man mag, schwerer zu interviewen sind?
Man ist da halt Fan und möchte sich nicht mit irgendeiner blöden Frage zum Löffel machen. Und dann ist es manchmal auch so, dass das Interview ohne das eigene Dazutun aus irgendeinem Grund nicht gut laufen kann. Der Künstler hat keinen guten Tag, hat eine Grippe, am Vortag ein schlechtes Konzert gegeben, er hat eine Magenverstimmung ... was halt so alles im normalen Leben von normalen Menschen passieren kann. Und dann läuft es irgendwie nicht gut, man kann vielleicht nicht einmal etwas dafür, aber es ist dennoch der Eindruck, den man aus dem Interview mitnimmt. Und ich als Depeche-Mode-Fan, der wirklich jede, jede, jede, jede Platte hat, die jemals von denen erschienen ist, der seit 1981 Fan ist ... da hätte so ein Interview, das aus irgendwelchen Gründen scheiße lief, im Nachhinein dieses Fansein ein bisschen korrumpiert und ich hätte mir wahrscheinlich nicht mehr mit gleicher Freude und Leidenschaft die Platten anhören können. Ganz schlimm wäre das gewesen! Aber zum Glück kam das nicht so und ich habe danach wieder tagelang meine Depeche-Mode-Platten komplett durch gehört, weil es mich privat glücklich gemacht hat, dass das Interview so gut lief.

Gibt es auch Vorteile, wenn man als Fan zu einem Interview geht?
Als Fan hat man den Vorteil, dass man natürlich ziemlich lückenlos mit Infos über den Künstler versorgt ist, mit dem man das Gespräch hat. Ich etwa habe alles eingesaugt, was jemals irgendwo über Depeche Mode publiziert wurde, da kann mir keiner ein X für ein U vormachen. Das gibt einem im Interview eine gewisse Sicherheit. Trotzdem ist das ein schmaler Grat, weil man sich nicht als Fan outen möchte. In erster Linie ist man Musikjournalist, bekleidet eher eine neutrale Position und rutscht nicht auf Knien dahin. Deshalb muss man immer versuchen, eine journalistische Distanz zu bewahren, obwohl man dem Künstler eigentlich in jeder Minute sagen möchte, dass man ihn total großartig findet.

Sie beschrieben «Number One!» in der Vergangenheit bereits mehrfach als ihr persönlichstes Format – ist diese persönliche Hingabe vielleicht bereits das Erfolgsrezept der Sendung?
Es ist auf jeden Fall von Vorteil, wenn man eine leidenschaftliche Beziehung zu dem pflegt, was man professionell macht. Ich sehe «Number One!» in keinster Weise als Arbeit an. Ich habe bei verschiedensten Gelegenheiten bereits gesagt, dass ich die Sendung sogar umsonst machen würde, auch wenn mir mein Management dann jedes Mal sagt "Haste noch alle?" [lacht]

Ich würde ja sogar dafür zahlen, die Sendung machen zu können, weil ich so großen Spaß daran habe. Und sie hat tatsächlich sehr viel mit mir zu tun, mit der großen Leidenschaft, die ich privat für Musik pflege. Ich will in diesem Format einfach vermitteln, was Musik mir bedeutet und was sie im besten Fall auch anderen Menschen bedeuten kann. Das habe ich schon in der Schule versucht, ich war mit 13, 15 Jahren der Meinung, dass meine Klassenkameraden nur Scheißmusik hören. Ich habe deswegen tütenweise Platten mit in die Schule geschleppt, habe gesagt, "hör dir das mal an, das ist Wert, von dir gehört zu werden". Es hat sich seither nur der Hebel vergrößert, das Prinzip dagegen ist das gleiche geblieben. Ich will weiter das gleiche transportieren: Ich will eine Geschichte erzählen und ich will damit bei Menschen Leidenschaft erzeugen.

Gibt es bei persönlichen Formaten auch Stolperschwellen, die es bei anderen Sendungen nicht gibt, ähnlich, wie es schwieriger sein kann, Fan der Künstler zu sein, die man interviewt?
Ich weiß es nicht. Wenn man sich anguckt, welche Sachen im Fernsehen gut funktionieren, dann sind das alles Sachen, die sehr viel mit der Person des Moderators zu tun haben. «Wetten, dass ..?» zum Beispiel, was wäre das ohne Thomas Gottschalk? Das wird man sehen, wenn das Markus Lanz macht, der der Sendung ganz bestimmt eine ganz andere, eigene, persönliche Note gibt … Aber ich halte das bei diesem Format zum Beispiel für wichtig, dass der Moderator dort eine persönliche Note mit einbringt. Weitere Beispiele sind Harald Schmidt oder Stefan Raab, die ohne jede Rücksicht auf Konventionen ihr Ding durchgezogen haben und genau deshalb erfolgreich wurden. Deswegen finde ich schon, dass man als Moderator oder als Journalist auf jeden Fall eine Haltung mitbringen muss. Ich mache das jetzt seit fast 20 Jahren, und ich denke, dass nach so einer langen Zeit ganz automatisch eine Haltung kommt, und dafür stehe ich halt auch. Als es darum ging, dass man so ein Format wie «Number One!» bringen will, und jemanden dafür brauchte, der das produzieren will, der das zeigen will und der das auch moderiert – das hat nur zwei Minuten gebraucht, schon war der Deckel auf dem Topf.

Können Sie sich vorstellen, «Number One!» in einigen Jahren an einen neuen Moderator abzugeben und nur noch die Fäden im Hintergrund zu ziehen?
Nö! [lacht]

Ich mach das, bis ich umfalle. Es ist ja ganz grundsätzlich so, dass ich eher von der redaktionellen Seite komme und ganz zufällig vor der Kamera gelandet bin. Und mir ist «Number One!» als Format so lieb und teuer, dass ich unbedingt möchte, dass es die Sendung noch in 100 Jahren gibt. Dass ich sie nicht 100 Jahre lang moderieren kann, das ist klar, aber zehn, fünfzehn Jahre, ich glaube schon, dass ich das schaffe. Und so lange lass ich keinen anderen da dran.

Wachsen eigentlich noch genügend interessante Künstler nach, die in zehn, fünfzehn Jahren ausreichend Bedeutung für diese Sendung haben?
Es gibt ja noch eine ganz ansehnliche Liste von Leuten, die schon länger im Business sind und die wir alle noch nicht porträtiert haben. Da fallen mir spontan die Rolling Stones ein, AC/DC, Paul McCartney, Elton John, Madonna, Kylie Minogue. Allein die Liste lässt sich noch fortsetzen und in den letzten Jahren sind tatsächlich Künstler nachgewachsen, über die man eine Sendung machen kann. Coldplay, zum Beispiel. Man kann auch schon jetzt über eine Band nachdenken wie The xx, die jetzt eine unfassbare zweite Platte herausbringen. Und wenn das auf dem Niveau weitergeht, dann wären die in fünf Jahren auch ein Thema. Ich mach mir um den Nachwuchs also keine Sorgen.

Wo wird sich Ihrer Ansicht nach in zehn Jahren das Musikfernsehen befinden?
Das Musikfernsehen in zehn Jahren ... [grübelt]

Wissen Sie, wenn ich vor zehn Jahren gewusst hätte, wo das Musikfernsehen jetzt ist, dann wäre ich nun ein gemachter Mann. Oder Programmdirektor von MTV, das dann aber ganz anders aussehen würde. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass Musik immer ein Thema bleiben wird, das die Menschen berührt. Selbst wenn Musik nicht mehr so eine wichtige Rolle im Fernsehen spielt und die Verkaufszahlen von CDs runter gehen, so besuchen die Leute noch immer Konzerte und kaufen Bandshirts. Die Leute sprechen noch immer über Musik und kaufen sie sich nun in Form von Downloads oder aber sie laden sie illegal und kostenlos herunter ... In jedem Fall aber brauchen die Menschen Musik, und deswegen denke ich, dass immer das Bedürfnis da sein wird, Sachen über die Hintergründe der Musik zu erfahren und über die Menschen, die sie machen. In welcher Form das in zehn Jahren dargeboten wird, kann ich jedoch nicht sagen.

Es ist ja jetzt schon so, dass es eigentlich scheißegal ist, ob das aus einem handelsüblichen Fernsehgerät kommt oder aus dem Rechner. Es macht auch für mich keinen Unterschied, was der Ausspielkanal ist. Meine Herangehensweise an Musik, die Art und Weise, wie ich sie journalistisch aufbereite – die wird sich nicht ändern. Insofern ist es für mich auch spannend, wo ich in zehn Jahren sein werde, welches Medium es dann sein wird. Aber ... irgendwo ist das auch egal. [lacht]

Für viele ist das Internet mit seinen konstanten Zugriffsmöglichkeiten auf Musik der alleinige Schuldige am Untergang des Musikfernsehens. Wieso gelingt es dann aber dem Radio, seine Nutzungszahlen auszubauen, obwohl für dieses Medium die gleichen Argumente gelten könnten wie für das Musikfernsehen?
Radio ist ein sehr schnelles, sehr direktes Medium. Das was ich persönlich so sehr an Radio schätze, ist seine zeitlose Qualität. Und das ist auch der Grund, weshalb sich Radio nach einem kleinen Durchhänger wieder berappelt hat und tatsächlich auch junge Leute wieder viel Radio hören. Abgesehen von der schnellen und direkten Informationsvermittlung haben es viele Radiosender auch geschafft, sich im Bereich der Social Media so aufzustellen, dass sie eine sehr gute Hörerbindung erreichen. Es ist außerdem so, dass ich das Gefühl habe, dass allmählich wieder das Bedürfnis nach einer Filterfunktion seitens Medien aufkommt.

Lange hat man am Internet geschätzt, dass es dort diese Fülle an Informationen gibt, die man sich in Eigeninitiative beschaffen konnte, und ich glaube, dass jetzt die ersten Leute feststellen, dass das Dickicht undurchdringbar ist. Deswegen nimmt man durchaus wieder Hilfe von außen an. Hilfe von Leuten, die das professionell durchgeforstet haben und einem die Quintessenz geben. Das kann Radio ganz gut – aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass das Musikfernsehen das wieder machen kann. Ich habe ja bei MTV selber versucht, diese Filterfunktion einzunehmen, indem ich vorwiegend Formate moderiert habe, wo unbekannte Bands vorgestellt wurden. Das wussten die Zuschauer zu schätzen. Bei «Number One!» gibt es gewiss keine unbekannten Künstler, aber vielleicht eine unbekannte Art und Weise, um bis dato unbekannte Informationen über sie sehr unterhaltsam darzubieten. Ich denke, das kann der Weg sein, den ZDFkultur geht – oder auch generell künftige, neue Fernsehformate.

MTV und Viva haben nicht nur für die Musikbranche an Bedeutung verloren, sondern auch als TV-Talentschmiede. Einst wurden dort zahllose denkwürdige Fernsehgesichter entdeckt und geformt, nun sind Joko & Klaas die rare Ausnahme von der Regel. Mangelt es dem Musikfernsehen heute vielleicht einfach nur an interessanten Moderatoren?
Es gibt ja kaum noch Formate, die da überhaupt moderiert werden. Das ist ein bisschen das Problem. Joko und Klaas waren, wenn man so will, die letzten, die noch die Freiheit genossen haben, eigene Formate aufzuweisen, in denen sie vollkommen vogelwild machen konnten, was sie wollten. Aber das Angebot gibt es gar nicht mehr, auf MTV wird nichts mehr moderiert – bis auf «Game One», glaube ich. Ich weiß nicht, ich kann MTV nicht mehr gucken, seit es verschlüsselt ist. (lacht) Und bei VIVA gibt es nur vereinzelte Chartformate, in denen es für einen Moderator sehr schwierig ist, sein eigenes Profil zu schärfen.

Wenn sich MTV und VIVA diese Aufgabe, eine Talentschmiede zu sein, nicht mehr leisten können, dann müssen sich andere Sender daran heranwagen und Mut beweisen, statt eine Sendung wie «TV-Helden» nach zwei Folgen wieder abzusetzen. Wenn man sich mal ansieht, welche Formate in den letzten Jahren mit Fernsehpreisen oder Grimme-Preisen prämiert wurden, tauchen da ja schon regelmäßig neue Gesichter auf. Die sind jetzt teilweise bei ZDFkultur untergekommen, extrem talentierte Leute wie das ZDF-Eigengewächs Jo Schück zum Beispiel oder Rainer Maria Jilg, der vorher bei DASDING war, oder Jan Böhmermann. Es gibt die Nischen noch und seitens einiger weniger Sender gibt es auch weiterhin die Bereitschaft, jungen Talenten die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln. Und so lange das noch der Fall sein wird, bin ich auch nicht bang. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass Joko und/oder Klaas in wenigen Jahren schon beim ZDF eine sehr viel größere Rolle spielen werden, als das jetzt mit «neoParadise» der Fall ist.

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit der neuen Staffel «Number One!».

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