Die Kino-Kritiker

«The Circle»: Das Google+ unter den Social-Media-Dystopien – nur unausgereifter

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Emma Watson stolpert großäugig durch einen filmischen Medienkommentar, der nicht weiß, ob er Thriller, Drama, Komödie oder Satire sein will.

Filmfacts «The Circle»

  • Regie: James Ponsoldt
  • Produktion: Anthony Bregman, Gary Goetzman, Tom Hanks, James Ponsoldt
  • Drehbuch: James Ponsoldt, Dave Eggers; nach Dave Eggers Roman
  • Darsteller: Emma Watson, Tom Hanks, John Boyega, Karen Gillan, Ellar Coltrane, Patton Oswalt, Glenne Headly, Bill Paxton
  • Musik: Danny Elfman
  • Kamera: Matthew Libatique
  • Schnitt: Lisa Lassek
  • Laufzeit: 110 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Datenschützer. Menschen, denen ihre Privatsphäre wichtig ist. Querköpfe, die nicht dauernd jeden Mist mitmachen wollen. Wirtschaftsdenker, die Angst vor Monopolen und Oligopolen haben. Sie alle stehen Apple, Google und Facebook zweifelnd gegenüber. Wie schlimm wäre die Situation erst, wenn ein Konzern die Tätigkeiten und die Bedeutung dieser Konzerne vereinen würde? Wenn ein Konzern, der von seinen Usern so abgekultet wird wie Apple, nicht nur in Sachen Hardware ganz vorne mitspielen würde, sondern auch die führenden sozialen Netzwerke stellt und ganz nebenher schwere Geldsummen in Biotechnologie investiert und sich im Klinkenputzen bei der Politik als ganz hervorragend erweist?

Dave Eggers' Roman «Der Circle» stellt sich eine in der unmittelbaren Zukunft spielende Welt vor, in der genau solch ein Monsterkraken von Konzern schaltet und waltet. Aufgrund des populären Themas und einer leicht zugänglichen Schreibe wurde das Werk trotz schlechter Kritiken und eines Autoren, der damit hausieren ging, überhaupt keine Recherchearbeit geleistet zu haben, zum Bestseller. Die Leinwandadaption des Stoffes kann vier Jahre später nicht von sich behaupten, ein Sensationserfolg zu sein – was allerdings nicht gerade ein großer Verlust ist. Denn Regisseur und Co-Autor James Ponsoldt, der den Bestseller gemeinsam mit Eggers adaptierte, lieferte einen ungeheuerlich schwammigen Kommentar auf die Tätigkeiten in Silicon Valley ab. Ist es ein Thriller, eine Satire oder irgendetwas anderes? Nein, «The Circle» ist ein Kuddelmuddel aus allem und somit schlussendlich nichts davon …

Geschuldet ist dies unter anderem der Wischiwaschi-Charakterisierung der Hauptfigur dieses Films: Mae Holland (Emma Watson), eine junge Erwachsene, die sich gelangweilt durch ihren schlecht bezahlen Job als Versicherungsangestellte schlägt. Doch eines Tages ermöglicht ihre beste Freundin Annie (Karen Gillan) ihr ein Vorstellungsgespräch bei ihrem Arbeitgeber, dem Technologiegiganten 'The Circle'. Zunächst soll sie nur als Kundendienstlerin tätig sein, doch laut Annie sind die Möglichkeiten, sich hochzuarbeiten, unbegrenzt. Beim Großkonzern aus San Francisco angekommen, wird Mae zunächst von der firmeninternen Begeisterung für die eigenen Produkte überwältigt, auch die ständigen, "freiwilligen" Zusatzaktivitäten innerhalb des 'Circles' verwirren sie. Als aber Firmenmitbegründer Eamon Bailey (Tom Hanks) bei einem Vortrag das neue Produkt 'See Change', eine superkompakte Überwachungskamera, vorstellt, wird Mae hellhörig. Als sie dank einer solchen Kamera aus einer lebensgefährlichen Situation gerettet wird, mutiert die zuvor noch vom gut informierten Kalden (vollkommen verschenkt: John Boyega) gewarnte Mae zu einer der größten Predigerinnen der Zukunftsmöglichkeiten des Konzerns – selbst wenn ihr Ex Mercer (sympathisch, aber unsicher: «Boyhood»-Entdeckung Ellar Coltrane), mit dem sie noch immer befreundet ist, aus dem Augenrollen nicht mehr herauskommt …

Eine ausdifferenzierte Position und ein reines, haltungsloses Meinungschaos unterscheiden sich zuweilen nur minimal, selbst wenn die Folgen mannigfaltig sind. «The Circle» ist ein Paradebeispiel dafür, versuchen Eggers und Ponsoldt doch händeringend, in ihrer dystopischen Thrillerdramasatire (oder was auch immer die Bestselleradaption sein soll), nicht nur Schwarz zu sehen. Wenn Tom Hanks, selbst im völlig routinierten Modus noch immer äußerst charismatisch, als Technikmogul eine handliche Überwachungskamera vorstellt, deren hochauflösender Livestream für jeden mit Internetzugang erreichbar ist, wohnt seinen Anpreisungen ein Kern der Wahrheit inne, wenn er sagt: Eine solche Kamera kann Menschenrechtsverletzungen in einem totalitären Regime einfangen und so endlich ein Gegenhandeln ermöglichen. Und jeder, der Social Media nutzt, weiß von den Vorzügen, die die mühelose Fernkommunikation mit Freunden und Verwandten in anderen Winkeln der Welt mit sich bringt. Man merkt: Neu sind die Glanzseiten, die «The Circle» der modernen Technik zuschreibt, nicht – das Ablaufdatum für das erstaunte Verkaufen solcher Erkenntnisse dürfte kurz nach dem Kinostart von «The Social Network» verflogen sein.

Die von «Die Schöne und das Biest»-Star Emma Watson ohne jegliche charakterliche Konsistenz gespielte Mae steht auch eingangs zweifelnd 'The Circle' gegenüber – sie freut sich bloß darüber, einen gut bezahlten Job zu haben. Wenn aber hibbelige Kolleginnen und Kollegen mit manischem Blick sie dazu überreden, diesen und jenen Dienst des Unternehmens intensiver zu nutzen, reagiert sie mit perplexem Blick. Und Mercers Einwänden schenkt sie zumindest geduldig Gehör. All dies, während der vierfach für den Oscar nominierte Komponist die Szenen mit einer fröhlich vor sich hin blubbernden Musik unterlegt, die so fehlplatziert klingt, als hätte er aus Versehen Regisseur James Ponsoldt die Werbespot-Musikaufnahme für einen App-gesteuerten Sodasprudler überreicht.

Und dann ist Mae auf einmal, eine Rettungsaktion später, nicht mehr zweiflerisch, sondern fast schon manisch-unkritisch. Sie macht Vorschläge, die kurz davor sind, die Demokratie auszuhebeln, und lässt sich zur wandelnden 'Circle'-Werbefigur machen, die einen nahezu durchgängigen Livestream moderiert, der ihr Leben abbildet. Sie gibt sogar Präsentationen, die in Sachen Passion und doppelmoralischen Fallstricken die von Eamon Bailey harmlos wirken lassen. Watson vermittelt diesen Sinneswandel kein Stück weit und vom seichten Skript, das weder satirische Seitenhiebe noch Spannungsspitzen plausibel aufzubauen weiß, hat sie keine Hilfe zu erwarten. Eine kohärente Erzählweise und glaubwürdige Konsequenzen innerhalb der Filmwelt sind «The Circle» fremd - John Boyega wird als Schlüsselfigur aufgebaut und verschwindet alsbald aus der Story, ebenso ein von Patton Oswalt süffisant eingeführter Plot über die 'The Circle' als Dienst, über den Politiker freiwillig ihre Daten leaken. Nebenfiguren agieren fast schon sektenhaft, dennoch fehlt es der Inszenierung an Biss und die Passage, die gegen Banalitäten-Livestreams abzielt, hat im Netz Konkurrenz durch deutlich genauer beobachtete Sketche.

Schauspielerisch sind Bill Paxton in seiner letzten Rolle als Maes fürsorgender, aufgeschlossener und sterbenskranker Vater sowie Karen Gillan als Annie die einzigen Lichtblicke. Gillan macht den Wandel von "Überengagierte Mitarbeiterin" zu "völlig überarbeitetes Wrack", gemessen an den Tonfallproblemen des Films, schauspielerisch glaubhaft und ihr gelingt es, dezent satirisch aufzutreten und dennoch ihrer Figur eine dramaturgische Fallhöhe zu ermöglichen. Abseits dessen ist «The Circle» für eine Zukunftswarnung nicht visionär genug, als Zeitgeist-Kapsel zu entrückt, als Drama zu albern und als Komödie nicht gewitzt genug.

Fazit: «The Circle» kann sich glücklich schätzen, denn dank «Emoji – Der Film» bleibt dieser Bestselleradaption der Titel "Miesester Film über webbasierte Kommunikation des Jahres" erspart.

«The Circle» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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