Hingeschaut

Ukraine gewinnt den ESC, Deutschland erneut Letzter

von   |  3 Kommentare

Topfavorit Russland landete beim Sieg der ukrainischen Sängerin Jamala nur auf Rang drei. Enttäuschend war der Wettbewerb für den deutschen Beitrag „Ghost“ von «The Voice»-Siegerin Jamie-Lee.

Top 10

  1. Ukraine - 534
  2. Australien - 511
  3. Russland - 491
  4. Bulgarien - 307
  5. Schweden - 261
  6. Frankreich - 257
  7. Armenien - 249
  8. Polen - 229
  9. Litauen - 200
  10. Belgien - 181
Überraschung beim Eurovision Song Contest: die Ukrainerin Jamala trug am Samstagabend den Sieg beim größten Musikwettbewerb der Welt davon. Mit ihrer minimalistischen, jedoch stimmgewaltigen Ballade setzte sich die Opernsängerin gegen die Konkurrenz durch. Dabei war sie jedoch sowohl bei den nationalen Jurys als auch beim Publikum nicht der absolute Liebling. Die Juroren stimmten in der Gesamtheit für Australien, die Zuschauer vor den Fernsehern für Russland. Doch in der Endabrechnung schlug sich die Ukraine am besten. Nach einem Jahr Pause trat das Land mit dem umstrittensten Beitrag des Wettbewerbs an. „1944“ handelt von der Deportation der Krimtataren unter dem sowjetischen Herrscher Josef Stalin und ist im Lichte der Krim-Annexion durch Russland 2014 besonders brisant.

Letzter Platz für Deutschland


Traurig verlief der Wettbewerb derweil erneut für Deutschland, auch wenn nicht wie im vergangenen Jahr null Punkte zu Buche standen: der einzige Jury-Punkt kam aus Georgien, das Publikum gab Deutschland zehn Zähler (drittletzter Rang). Doch jährlich grüßt das Murmeltier: der letzte Platz war mal wieder für den ESC-Sieger von 2010 reserviert.

Der deutsche Beitrag „Ghost“ von «The Voice of Germany»-Gewinnerin Jamie-Lee startete mit durchwachsenen Vorzeichen in den Eurovision Song Contest. Schließlich war das Hickhack um den NDR-Nominierten Xavier Naidoo immer noch präsent. Darüber hinaus erwischte die 18-Jährige einen denkbar unglücklichen 10. Startplatz zwischen den beiden Favoriten aus Schweden und Frankreich und ging dadurch im Jubel des Heimpublikums sowie der Up-Tempo-Nummer des Franzosen Amir („J’ai cherché“) gnadenlos unter. Doch für den Auftritt von Jamie-Lee Kriewitz brauchte sich das deutsche Publikum nicht zu schämen. Zwar war die Performance ohne Überraschungen, schließlich war das Bühnenbild dasselbe wie beim deutschen Vorentscheid, jedoch lieferte die junge Sängerin gesanglich mehr als ordentlich ab.

Topfavorit Russland scheitert


Ganz im Gegensatz zum vergangenen Eurovision Song Contest in Wien war der Favoritenkreis in diesem Jahr relativ klein. Viele der dargebotenen Songs waren ordentlich produzierte Popnummern – in den meisten Fällen jedoch belanglos und schnell wieder vergessen. Auch 2016 setzte sich im Wettbewerb der Trend der zunehmenden Professionalisierung und Ernsthaftigkeit fort. Wirklich kuriose Beiträge boten letztlich nur wenige Teilnehmer, die dann auch noch im Halbfinale ausschieden. Das musikalische Kuriositätenkabinett Europas ist nicht mehr das, was es mal war. Eigentlich schade, denn unterhaltsam waren jene polnischen Raps oder Verka Serduchkas allemal (letztere hatte übrigens auch einen kleinen Cameoauftritt im ersten Halbfinale und durfte den Jury-Zwölfer ihres Landes vorlesen).

Top 5 Jury

  1. Australien - 320
  2. Ukraine - 211
  3. Frankreich - 148
  4. Malta - 137
  5. Russland - 130
Eine kleine Überraschung war die relativ schwache Performance Russlands, die vor allem bei den Jurys nicht ganz so gut ankam wie bei den Zuschauern. Die Juroren wählten den Song nur auf den fünften Platz, obwohl der russische Beitrag von Sergey Lazarev im Vorfeld als absoluter Topfavorit gehandelt wurde. Hinter dem gesamten Projekt steckte eiskaltes ESC-Kalkül: sowohl in den modern produzierten Song als auch in die Bühnenshow sind offenbar hohe Summen geflossen. Die an den 2015er-Auftritt von Måns Zelmerlöw erinnernde Hintergrundshow mit aufwendigen Animationen und Effekten war auch eines der großen, gleichzeitig aber auch überladenen Highlights der Show, während „You Are The Only One“ musikalisch nur bedingt überzeugen kann.

Darüber hinaus galt auch die Australierin Dami Im als eine der Topfavoritinnen auf den Gesamtsieg. Nach dem Jury-Voting lag sie mit großem Vorsprung auf dem ersten Platz, das Publikum versetzte ihr mit Rang vier jedoch eine kleine Abfuhr. Ihre moderne sowie unglaublich stimmgewaltige Ballade „Sound of Silence“ erreichte schlussendlich einen tollen zweiten Rang und schnitt damit sogar noch besser ab als der starke australische Beitrag aus dem vergangenen Jahr (Platz fünf).

Nachdem 2015 vor allem die Balladen dominierten, war die musikalische Bandbreite in diesem Jahr wieder etwas größer. Natürlich gab es die klassischen Europop- oder Eurodance-Nummern, jedoch überraschten beispielsweise Lettland (Justs, „Heartbeat“) und Armenien (Iveta Mukuchyan, „LoveWave“) mit elektronischen Beats sowie atypisch aufgebauten Songs. Georgien fiel darüber hinaus beispielsweise mit Indierock auf.

Die große Neuerung: Das Votingsystem


Die markanteste Neuerung des Jahres war das überarbeitete Punktesystem, angelehnt an den schwedischen Vorentscheid, das Melodifestivalen. Ganz im Gegensatz zu vergangenen Jahren wurden Jury- und Zuschauervotum nicht mehr verrechnet und danach gemeinsam kundgetan; vielmehr verkündeten die einzelnen Länder nur noch das Jury-Urteil. Ganz am Ende der Show war es dann an den Moderatoren, die aufsummierten Publikumspunkte zu verlautbaren (Bulgarien hat zum Beispiel letztlich 180 Punkte von den Zuschauern bekommen).

Top 5 Publikum

  1. Russland - 361
  2. Ukraine - 323
  3. Polen - 222
  4. Australien - 191
  5. Bulgarien - 180
Ziel des Ganzen: Spannung bis zum letzten Moment, da bei vergangenen Contests oft schon lange vor Schluss feststand, wer gewinnen würde. Dieses Ziel wurde durchaus erreicht: bis zur letzten Sekunde war nicht klar, ob Publikumsliebling Russland noch an der Ukraine und Australien vorbeiziehen würde. Doch ein Großteil der Voting-Dramatik war vielmehr auf die verwirrenden und auf den ersten Blick undurchsichtigen Neuerungen zurückzuführen. Wie viele Punkte bekommt nun wer? Reicht das zum Vorbeiziehen? Darüber hinaus wirkte das gesamte Voting unglaublich gehetzt – als Zuseher war man irgendwie gestresst. Der wohl markanteste Teil des Grand Prix wurde leider stark ausgehöhlt. Es war jedoch durchaus interessant zu beobachten, wie sehr sich Publikum und Jurys in ihren Urteilen unterschieden – und wie stark die nationalen Juroren selbst voneinander abwichen.
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4,7%
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11,3%

Starke Show der schwedischen Gastgeber


Doch ganz abgesehen vom verwirrenden und gehetzten Voting muss man den schwedischen Gastgebern auch in diesem Jahr ein hervorragendes Zeugnis ausstellen – sie zeigten eine der besten Shows der vergangenen Jahre. Vorjahressieger Måns Zelmerlöw moderierte die Show gemeinsam mit Komikerin Petra Mede, die bereits durch den Songcontest 2013 in Malmö führte – und sie begeisterten mit Witz, Charme sowie Selbstironie. Vor allem bleibt ihre Parodie auf den perfekten ESC-Sieger-Song in Erinnerung, sodass man sich wünscht, die beiden mögen nächstes Jahr erneut durch den Abend führen – unabhängig vom Austragungsort. Die Schweden versuchten, auch die Zeit zwischen den verschiedenen Teilen der Show mit einfallsreichen und unterhaltsamen Einspielern und Auftritten möglichst angenehm zu gestalten. So stimmten bereits eine Musical-Nummer zur Eröffnung des zweiten Halbfinals oder außergewöhnliche Tanzshows mit Roboterarmen oder politischen Botschaften Richtung Flüchtlingskrise auf die starke Performance des Finales ein – nur ein paar minimale Grafikfehler beim Voting waren ein Makel, über den man problemlos hinwegsehen konnte.

Der heimliche Sieger: Justin Timberlake


Eines der großen Highlights war jedoch der Intervall-Auftritt von Justin Timberlake, der seine neue Single “Can’t Stop The Feeling” vorstellte – Weltpremiere beim Eurovision Song Contest. Der große US-Superstar wirkte im Umfeld des Eurovision zwar objektiv gesehen etwas fehl am Platze, dennoch war seine Performance der wohl beste Auftritt des Abends und brachte mächtig Stimmung in die Bude. Dass Justin Timberlake ein großer Sympathieträger und eine Quelle guter Laune ist, zeigte sich nicht nur beim Talk mit Måns Zelmerlöw, sondern auch in einer Polonaise der ESC-Teilnehmer im Greenroom. Ein schönes Symbol für die länderübergreifende Wirkung der Musik.

Nicht ganz unverdient gewann die ukrainische Opernsängerin Jamala mit ihrer Ballade „1944“ den «Eurovision Song Contest», auch wenn sie sowohl beim Publikum als auch bei den Jurys nicht auf Platz eins landete. Russland blieb hinter den immensen Erwartungen zurück, während die starke Ballade von Australierin Dami Im einen tollen zweiten Platz belegte. Dass Deutschland mal wieder ganz am Ende des Scoreboards landete, war keine wirkliche Überraschung, auch wenn Jamie-Lee ihr Bestes gegeben hat. Doch so ist er nun mal, der Eurovision Song Contest.

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Der Loser
15.05.2016 02:51 Uhr 1
Das Publikum hat es tatsächlich irgendwie fertig gebracht, dass das EINZIGE(!!!) Lied am ganzen Abend, das ich wirklich schlecht fand (und ich glaube nicht, dass ich schon jemals weniger als die Hälfte der Songs grausam fand) gewinnt.



Irgendwie ist meine Glaube an das Europäische Volk gerade etwas erschüttert.
P-Joker
15.05.2016 04:29 Uhr 2
Mit dem ukrainischen Beitrag hat einer der wenigen, die man sich freiwillig anhören kann, gewonnen.

Jamie-Lee ist übtigens auch ganz offiziell nicht letzte geworden, sondern 26.

Da die Halbfinale ja schließlich auch zum Wettbewerb gehören, ist somit Estland 42. und damit letzter geworden ...
tommy.sträubchen
15.05.2016 10:27 Uhr 3
P-Joker schön das du versuchst etwas positives zu finden :-) aber ich denke wir Deutschen verkraften das schon mit dem letzten Platz. Vielleicht wenn man X-Millionen in die Europäische Werbemaßnahmen steckt wie 2010...wirds wieder etwas besser ;-)

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