Die Kritiker

Amazon-Check: Sieben Piloten, viel Wegwerfware und ein Funken Genialität

von   |  1 Kommentar

Die Amazon Studios präsentieren aktuell sieben Serienpiloten und lässt das Publikum abstimmen, welche Projekte fortgeführt werden sollten. Quotenmeter.de kämpfte sich durch lahme Comedys, gute Dramedys und serielles Nazigold.

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«Point of Honor»

Cast und Crew von «Point of Honor»

  • Regie: Randall Wallace
  • Drehbuch: Carlton Cuse, Randall Wallace
  • Darsteller: Luke Benward (als Garland Rhodes), Patrick Heusinger (als Col. Palmer Kane), Hanna Mangan Lawrence (als Estella Rhodes), Christopher O'Shea (als Robert Sumner), als Nathan Parsons (als John Rhodes), Annabelle Stephenson (als Kate Rhodes), Riley Voelkel (als Lorelei Sumner)
  • Produktion: Cory Bird, Carlton Cuse, Ra'uf Glasgow, Barry Jossen, Robert D. Simon, Andrew Wallace, Randall Wallace
  • Musik: John Debney
  • Kamera: Checco Varese
  • Schnitt: John Wesley Whitton
1861: Die Vereinigten Staaten befinden sich im Sezessionskrieg, die Stimmung in der Bevölkerung ist mehr als nur angespannt. Als sich die in Virginia lebende, wohlhabende Familie Rhodes gegen die Sklaverei ausspricht, zieht sie den Hass ihrer Mitbürger auf sich. Doch auch innerhalb des Familiengefüges kommt es zu schweren Konflikten. Aus verschiedensten Gründen: Der jugendliche John etwa will genauso wie sein bester Freund in den Krieg ziehen, doch sie sind sich uneinig, für welche Seite. Tochter Kate wiederum zeigt unangebracht viel Interesse an politischen Fragen und natürlich gibt es auch tragische Liebesverwirrungen …

«Lost»-Showrunner Carlton Cuse und Randall Wallace, Autor des gefeierten Historienspektakels «Braveheart» und des eher wenig respektierten Michael-Bay-Kriegsfilms «Pearl Harbor», entwickelten «Point of Honor» ursprünglich für ABC. Dass das Network das Projekt ablehnte, verwundert angesichts dieses einschläfernden Piloten nicht. Die zentralen Familiensorgen der Familie Rhodes, welche als Hauptplot dienen und somit die mehr Potential aufweisende Geschichte über Sklaverei, Politik und Wirtschaft an den Rand drängen, haben nur Soap-Charakter. Die Schauspieler agieren auf Sparflamme und dank lustloser Belichtungs- und Kameraarbeit wirkt das ganze Geschehen, wie spontan von einer Amateurgruppe im Wald gefilmt. Das Drehbuch derweil findet keinen konsequenten Tonfall: Teils bemüht man sich um eine plausible, dem Setting angebrachte Sprache, dann ist die Wortwahl und Aussprache streckenweise völlig modern. Da obendrein innerhalb von 55 Minuten dank der mäandernden Erzählweise keine Spannung aufkommt, ist das Urteil überdeutlich: Fortsetzung unerwünscht!

«Salem Rogers: Model of the Year 1998»

Cast und Crew von «Salem Rogers: Model of the Year 1998»

  • Regie: Mark Waters
  • Drehbuch: Lindsey Stoddart
  • Darsteller: Leslie Dibb (als Salem Rogers), Rachel Dratch (als Agatha Todd), Brad Morris (als Ronald), Harry Hamlin (als Roberto) und Jane Kaczmarek (als Dana)
  • Produktion: Pixie Wespiser
  • Kamera: Theo van de Sande
  • Schnitt: Travis Sittard
„Ich bin Supermodel und habe bereits auf jedem Kontinenten gekotzt!“ Mit dieser voller Inbrunst und Stolz vorgetragenen Feststellung verabschiedet sich Salem Rogers aus der Entzugsklinik, in der das Model lange Zeit brüten musste. Die Zeit abseits des Rampenlichts hat die 1998 zum Model des Jahres gewählte vergnügungs-, alkohol- und ruhmsüchtige Blondine jedoch nicht gerade auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Salem strotzt noch immer vor Arroganz, was sie im Zusammenspiel mit ihrem unflätigen Verhalten zu einer anstrengenden Zeitgenossin macht. Und auch zu einer wenig sympathischen Hauptfigur, denn zumindest in der Pilotfolge spielt Leslie Bibb die Hauptrolle nicht mit ausreichend bewundernswerter Selbstsicherheit, um ihre Verblendung durchweg unterhaltsam rüber zu bringen. Über «Two and a Half Men» lässt sich bekanntlich viel Negatives sagen, doch was die Chuck-Lorre-Produktion zumindest in ihrer Blütezeit raus hatte, war die Balance, die Charlie Sheens Figur vollführte: Der Chauvi war abscheulich, aber es fiel schwer, ihm bei seinen Eskapaden nicht amüsiert zuzuschauen.

Wenn Salem Rogers unentwegt ihren Charme überschätzt, ist es dagegen über weite Strecken enervierend. Dank der Chemie zwischen Bibb und ihrem Co-Star Rachel Dratch (als Mauerblümchen und Salems frühere Assistentin Agatha) hat diese Sitcom trotzdem einige Schmunzler zu bieten. Überhaupt sind die Subplots rund um Agatha, die solche Selbsthilfebücher schreibt wie 'My Bully, my Friend: How to Bully Your Enemies Into Friendship', ideenreicher als die vorhersagbar vulgären Situationen, in die sich Salem begibt. Nach einigen Minuten sind ihre Sex- und Drogensprüche einfach nicht mehr humorvoll oder schockierend.

«The Man in the High Castle»

Cast und Crew von «The Man in the High Castle»

  • Regie: David Semel
  • Drehbuch: Frank Spotnitz
  • Darsteller: Alexa Davalos (als Juliana Crain), Rupert Evans (als Frank Frink), Luke Kleintank (als Joe Blank), DJ Qualls (als Ed McCarthy), Joel de la Fuente (als Inspector Kido), Rufus Swell (als John Smith)
  • Produktion: Michael Cedar, Jean Higgins, Jordan Sheehan, Ridley Scott, Isa Dick Hackett und viele mehr
  • Musik: Henry Jackman, Dominic Lewis
  • Kamera: James Hawkinson
  • Schnitt: Kathryn Himoff
  • Produktionsdesign und Ausstattung: Drew Boughton, Linda A. King, Brenda Meyers-Ballard
  • Kostüme: Audrey Fisher
Eine faszinierende, ungeheuerlich durchgeknallte Grundidee, die eine fesselnde Umsetzung erhält. Reizvolle Protagonisten. Und unter all dem schwingt ein hoch anspruchsvolles Konzept mit: «The Man in the High Castle» ist zweifelsohne ein Volltreffer und der Höhepunkt der aktuellen Pilotseason bei Amazon! Die Handlung spielt, nach dem Vorbild des Romans «Das Orakel vom Berge» von Philip K. Dick, in einer alternativen Version des Jahres 1962. Die Achsenmächte haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die USA erobert. Während die Ostküste zum Großdeutschen Reich gehört, hat Japan die Westküste eingenommen. Allein die Rocky Mountains ziehen als neutrale Zone eine Schneise durch Nordamerika. Der ungestüme 27-Jährige Joe (Luke Kleintank) schließt sich in New York dem Untergrund an, doch kaum erhält er seinen ersten Auftrag, wird sein Vorgesetzter von den Nazis geschnappt. Derweil wird die in San Francisco lebende Juliana (Alexa Davalos) von ihren Mitmenschen angefeindet, weil sie an den Einflüssen der asiatischen Kultur auf die ehemaligen USA Gefallen findet. Ihr Freund Frank (Rupert Evans) unterdessen lebt in ständiger Gefahr, weil er jüdische Vorfahren hat und sich danach sehnt, als Künstler zu arbeiten – beides Fakten, die dem Regime Grund geben würden, ihn zu töten. Als Julianas im Widerstand tätige Schwester Trudy (Conor Leslie) auftaucht und ihr ein geheimnisvolles Paket überreicht, wird nicht nur Julianas Glauben daran, Fiktion von Realität unterscheiden zu können, in seinen Grundfesten erschüttert …

Was auf den ersten Blick nach knalliger Fiktion im Stile von «Iron Sky» aussieht, entwickelt sich dank der hohen Produktionswerte, die eine düstere Atmosphäre ermöglichen, und einer von Minute zu Minute immer detaillierteren, harscheren Weltenbildung zu einem mitreißenden Fantasydrama. Die Erlebnisse der heldenhaften Hauptfiguren sind dank einer zügigen, aber niemals hektischen Erzählweise fesselnd, während die Verarbeitung von Gräueltaten des Dritten Reichs und die Andeutung eines drohenden Kalten Kriegs zwischen den Besatzermächten Amerikas dem Geschehen Gewicht verleihen. Das mysteriöse Fundstück, das Juliana überreicht bekommt, fügt diesem vor Ideen platzenden Piloten dann sogar eine intellektuelle, philosophische Ader hinzu. Dank versierter Regieführung und vorausschauendem Storytelling verspricht «The Man in the High Castle» nicht nur viel, sondern hält seine Versprechen auch ein. Eine Fortsetzung muss einfach her – die darf dann jedoch gerne mit den Farbfiltern sparen.

«The New Yorker presents»

Die Produzenten hinter «The New Yorker presents»

  • Colin Culligan
  • Alex Gibney
  • Stacey Offman
  • Dawn Ostroff
  • Richard Perello
  • Dave Snyder
Öfter mal was neues: «The New Yorker presents» ist keine fiktionale Serie, nicht einmal eine Dokusoap, sondern ein Magazin. Wie der Namenspate, das vielfach ausgezeichnete Printmagazin 'The New Yorker', deckt «The New Yorker presents» ein breites Themenspektrum ab. Wer «stern TV» bereits als journalistische Wundertüte sieht, dürfte von diesem halbstündigen Format völlig überwältigt sein: Die Pilotausgabe umfasst eine Kurzdokumentation des Oscar-Preisträgers Jonathan Demme über einen Froschforscher, ein Interview der Journalistin Ariel Levy mit der jugoslawischen Performance-Künstlerin Marina Abramovic, einen Sketch mit Brett Gelman und Alan Cumming (in den Rollen eines selbsternannten Propheten und Gott), eine emotionale Lyriklesung mit «The Amazing Spider-Man»-Hauptdarsteller Andrew Garfield sowie diverse Kurzcartoons von Emily Flake.

Jedes einzelne Segment ist für sich betrachtet hervorragend – sowie sehr, sehr eigen. Der kunterbunte Themenmix und die kompakte Länge der einzelnen Beiträge stellt sicher, dass jeder kulturinteressierte Zuschauer etwas entdeckt, das ihn anspricht, selbst wenn ihn manch andere Beiträge nicht reizen sollten. Darüber hinaus ist «The New Yorker presents», wie sein Printvorbild und dessen Onlineausgabe, zwar ein intellektuelles, aber auch zugängliches und kurzweiliges Format. Bei arte würde so eine Sendung sicherlich funktionieren – aber hätte «The New Yorker presents» als reguläres Onlinemagazin langfristig Erfolg? Amazon könnte mit diesem Projekt die Gewässer digitalen Videocontents ausloten und dem Kulturjournalismus neue Gebiete erschließen – nur Mut!

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
bmwtop12
25.01.2015 00:49 Uhr 1
Ich habe für "The man in the high castle" gestimmt. Einfach großartig umgesetzte Literaturverfilmung, bitte fortsetzen.
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