Die Kino-Kritiker

«Her»

von

Die Oscar-prämierte Sci-Fi-Romanze «Her» von Spike Jonze ist ein cineastisches Kleinod über digitale Technologien, zwischenmenschliche Kommunikation und Liebe.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Spike Jonze
  • Produzenten: Megan Ellison, Spike Jonze und Vincent Landay
  • Drehbuch: Spike Jonze
  • Musik: Arcade Fire
  • Kamera: Hoyte van Hoytema
  • Schnitt: Eric Zumbrunnen und Jeff Buchanan
  • Darsteller: Joaquín Phoenix, Chris Pratt, Rooney Mara, Amy Adams, Matt Letscher, Olivia Wilde und Scarlett Johansson (als Samanthas Stimme im englischsprachigen Original)
Eine junge, zierliche Frau sitzt an einem sonnigen Tag auf der Terrasse eines Restaurants. Dort trifft sie sich mit ihrem sentimentalen, stets etwas zerknautscht auftretenden Ehegatten, von dem sie seit einiger Zeit getrennt lebt. Nachdem er dieses Treffen mehrmals vertagte, ist er nun freudig gewillt, endlich die Scheidungspapiere zu unterzeichnen. Als der Introvertierte seiner Verflossenen erläutert, wieder eine glückliche Liebesbeziehung zu führen, greift ihn sein üblicherweise besonnen-fideles Gegenüber in einem harschen Tonfall an. Obwohl sie der Partnerin ihres schüchternen (Ex-)Mannes niemals begegnet ist, hat sie keinerlei Verständnis für seine Gefühle und wirft ihm vor, beziehungsunfähig zu sein.

Die von Rooney Mara dargestellte, junge Frau namens Catherine spricht somit einen nicht unbeachtlichen Aspekt von Spike Jonzes Sci-Fi-Liebesgeschichte «Her» an. Denn es ist vollauf legitim, dem Protagonisten Theodore, herzzerreißend verkörpert von Joaquín Phoenix, zu Beginn des Films mit ähnlichen Vorwürfen zu entgegnen. Der Eigenbrötler ist zwar fähig, romantische Worte zu finden und lebt dieses Talent in seinem Beruf aus, im direkten Umgang mit Menschen ist er allerdings zaghaft und distanziert. Daher versucht er, seiner allmählich in eine Depression umkippenden Einsamkeit ein Ende zu setzen, indem er ein neues Betriebssystem für seinen Rechner erwirbt, welches mit einer bahnbrechenden künstlichen Intelligenz ausgestattet ist. Und exakt dieses, sich selbst den Namen Samantha gebende, Betriebssystem ist es, zu dem Theodore besagte Beziehung aufbaut.

Anfangs reißt Autor und Regisseur Jonze die unvermeidlichen und naheliegenden Themen an, die sich bei solch einer Konstellation anbieten: Theodore kapselt sich aufgrund seiner wachsenden Zuneigung zu Samantha noch mehr von anderen Menschen ab und weigert sich zunehmend, Rendezvous zu vereinbaren. Stürzt er sich also in eine Technikabhängigkeit, schürt ein Übermaß an digitaler Kommunikation sein Alleinsein, macht ihn seine stete Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz unfähig, mit realen Menschen umzugehen? Kurze Szenen, wie etwa eine Kamerafahrt durch ein stilles, leicht futuristisches Los Angeles, in dem sämtliche Fußgänger nur ihren Betriebssystemen Beachtung schenken, scheinen diese Mutmaßungen zu bestätigen.

Jonze fängt solche Bilder jedoch wertneutral ein. Sein in einer nahen, plausiblen Zukunft angesiedeltes Los Angeles ist zwar von vielen einsamen Personen bevölkert, aber auch sauber, hell und einladend. Die Technologie in dieser Zukunftsvision ist handlich, glatt und kommt in sanften Formen daher, ist daher weder beängstigend, noch beeindruckend. Und auch in der Darstellung von Theodores Romanze mit Samantha verzichtet der «Being John Malkovich»-Regisseur auf forsche Verurteilungen. Viel mehr lässt Jonze den Betrachter am bewegenden Alltag dieses außergewöhnlichen Paares teilhaben. Sowohl Theodore als auch Samantha verändern sich allmählich durch ihr Zusammenleben, gemeinsam machen sie Tiefen wie auch Höhen durch, haben Auseinandersetzungen über Charaktereigenschaften, Interessen und Eifersüchteleien. Samantha entwickelt sich vom benutzerorientierten Programm zu einer komplexen, faszinierenden Persönlichkeit (nicht zuletzt dank der denkwürdigen, rein akustischen Darbietung Scarlett Johanssons beziehungsweise ihrer deutschen Synchronstimme Luise Helm) und Theodore taut nach und nach auf, handelt freier und spontaner.

Wenn also Catherine beim Unterzeichnen der Scheidungspapiere Theodore attackiert, so ist es zwar gestattet, sie als Stimme der Vernunft zu betrachten. Mindestens genauso sehr aber lädt Jonze durch die zärtliche Schilderung der Liebe Theodores zu Samantha ein, anfangs gefällte Urteile zu revidieren. Sowohl über den Film «Her» als auch über die darin skizzierte, zentrale Beziehung und die damit verbundenen Themen. Ist dies tatsächlich ein Film über moderne Technik, schildert er, wie sie Einsamkeit verstärkt? Oder ist Catherines gehässige Sicht der Dinge von engstirnigen Vorurteilen geprägt, hilft Samantha Theodore erfolgreich, aus seinem emotionalen Tief herauszukommen? Und ist «Her» letztlich mehr ein Film über das Erlernen verständlicher, profunder Kommunikation sowie über das komplexe Zusammenspiel zwischen Liebe und dem Überkommen früherer Trennungen, zwischen Isolation, vorgetäuschter wie auch emotional wahrer Nähe?

Das intelligente und gefühlvolle Skript dieses cineastischen Kleinods besticht dadurch, wie es sich unaufdringlich über die Technikdebatte hinweg entwickelt und seine futuristische Ausgangslage nutzt, um eine einsichtige Liebesgeschichte zu erzählen. Durch die durchdachte Figurenkonstellation und die komplexen Charakterisierungen schafft Jonze die Grundlage für eine Liebeserzählung, in die sich jeder geneigte Zuschauer hineinversetzen kann. Da Jonze zwar mit versierter Hand inszeniert, forcieren die Phoenix' ausdrucksstarke Performance ins Zentrum rückenden Bilder nie eine Hauptinterpretation. Deswegen darf der Betrachter seinen eigenen Schwerpunkt legen, was aus «Her» zu ziehen ist: Die Erlebnisse Theodores und Samanthas, die nur durch Worte ausdrücken können, was sie füreinander empfinden, stehen für die Vorteile wie auch Herausforderungen einer Fernbeziehung dar. Sie zeigen, wie moderne Technologien einen gehemmten Menschen über seinen Schatten springen lassen können. Sie berichten von der berührenden Geschichte eines Introvertierten, der über seine Scheidung hinwegkommt. Und vieles mehr.

Spike Jonze kreierte mit «Her» also mehr als bloß eine innovative Sci-Fi-Erzählung, die den heutigen Stand der digitalen Kommunikation reizvoll weiterspinnt und kommentiert. «Her» ist insbesondere eine geistreiche, einfühlsame, nie aber kitschige Romantikparabel, die mit dem perfekt konstruierten Zusammenspiel ihrer reizvollen Figuren jeden Zuschauer dazu einlädt, das wertvolle Thema Liebe aus einem frischen Blickwinkel zu betrachten.

«Her» ist ab dem 27. März 2014 in deutschen Kinos zu sehen.

Mehr zum Thema... Being John Malkovich Her
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