Die Kritiker

How to ruin «How to sell drugs online (fast)» (fast)

von   |  2 Kommentare

Seit «Arrested Development» ist keine Comedyserie bei Netflix so rapide eingebrochen: Die formidable btf-Serie «How to sell drugs online (fast)» ist in Staffel zwei bloß noch ein Schatten ihrer selbst.

Mit «How to sell drugs online (fast)» stieg die Kölner Produktionsfirma bildundtonfabrik (kurz btf) in die Welt der Streamingserien ein. Und es war ein Erfolg: Die Kritiken fielen größtenteils sehr positiv aus, die erste Staffel gewann mehrere Branchenpreise und eine zweite Runde wurde ratzfatz bestellt. Völlig verdient, denn «How to sell drugs online (fast)» präsentierte sich in einer modernen Optik, mit flotter Erzählweise und unterhaltsamen Figuren. So wurde die komödiantische (und von wahren Begebenheiten inspirierte) Serie zu einem Must See: Die Geschichte über den Schüler Moritz, der von Eifersucht getrieben einen Online-Drogenshop namens MyDrugs eröffnet, war frischer Wind in der Serienlandschaft Deutschlands – und auch im Netflix-Portfolio.

Zur Auffrischung: Die erste Staffel von «How to sell drugs online (fast)» endet damit, dass sich die von Lena Klenke gespielte Lisa aus dem Liebesdreieck befreit und beschließt, weder mit unserem Protagonisten Moritz, noch mit seinem Nebenbuhler Dan (Damian Hardung) etwas anzufangen. Moritz' bester Freund Lenny (Danilo Kamperidis) wiederum flirtet mit einer Bekanntschaft aus einem Discord-Channel, der gegenüber er sich aber als Dan ausgibt. Lisas gute Freundin Gerda (Luna Schaller) gesteht, an Moritz interessiert zu sein und bekommt Lisas Segen, sich an ihn heran zu schmeißen. Ein früher Geschäftspartner von MyDrugs wird durch Flugzeugsabotage getötet und Moritz' Braver-Bube-Fassade fliegt gegenüber Lisa auf, da sie in seinem Zimmer zwei prallgefüllte Beutel mit Drogen entdeckt.

Wer auf eine konsequente, horizontale Erzählweise wert legt, erlebt zu Beginn der zweiten «How to sell drugs online (fast)»-Staffel ein böses Erwachen, denn die Serie verabschiedet sich rasch von den offen gelassenen Handlungsfäden: Lisa und Moritz sind nun zusammen, Lisa ist völlig ahnungslos, was Moritz' illegale Geschäftstätigkeiten anbelangt, Gerda wird ganz beiläufig in eine Beziehung mit einer anderen Freundin Lisas geschrieben und einfach niemand scheint sich um den tödlich verunglückten Geschäftspartner von MyDrugs zu scheren. All das wird so kühl und undramatisch aufgezäumt, dass es nicht einmal als großer "Wow, diese Serie bricht mit allen Erwartungen"-Twist durchgeht – viel mehr ist es so, als wäre zwischen den beiden Staffeln beschlossen worden, plötzlich andere narrative Ufer ansteuern zu müssen.

Doch statt das Potential der humoristischen und erzählerischen Werkzeugkiste zu nutzen, die «How to sell drugs online (fast)» in Staffel eins eingeführt hat, wird dieser Richtungswechsel einfach durchgeboxt. Kein Meta-Gag, kein dauerhafter Wechsel des subjektiv eingefärbten Serienerzählers – einfach auf dem Niveau mittelklassiger Soaps links blinken, in die Eisen steigen und aus irgendwelchen Gründen, die nicht erzählerisch motiviert sind, rechts abbiegen. Zwar werden in Episode zwei der Staffel wenigstens zwei Erklärungen halbherzig nachgereicht, doch der Schaden ist zu diesem Zeitpunkt schon angerichtet: Die Plausibilität der Figuren in «How to sell drugs online (fast)» ist verloren.

Zum Beispiel: Die erste Staffel von «How to sell drugs online (fast)» handelte unter anderem davon, dass Lisa erkennt, kein von anderen Leuten bestimmtes Image erfüllen zu müssen, und dass sie sich als Single selber verwirklichen kann. Dass sie auf einmal wieder Moritz' Freundin ist, ist selbst gemessen am typischen Wankelmut Jugendlicher wenig plausibel, geschweige denn stimmiges Geschichtenerzählen. Und Moritz wird als so durchschaubarer, nervöser Lügner etabliert – dass er Lisa einen derart riesigen Bären aufbinden kann, wie Episode zwei der zweiten «How to sell drugs online (fast)»-Staffel behauptet, verlangt vom Publikum enormes Wohlwollen ab. Und so weiter, und so weiter. Denn diese abrupten erzählerischen Richtungswechsel sind nicht das einzige Problem an der neuen «How to sell drugs online (fast)»-Staffel, sondern bloß das deutlichste Symptom dafür, woran sie krankt.

So scheint die Seriencrew irgendwo zwischen Drehende von Staffel eins und Produktionsbeginn von Staffel zwei den Draht zu ihren Figuren verloren zu haben: Eine der größten Stärken von Staffel eins war die gleichermaßen gewitzt-überspitzte wie authentische Jugendsprache. Die Schülerinnen und Schüler drücken sich in der ersten «How to sell drugs online (fast)»-Runde modern, aber nicht aufgesetzt aus, und in pointierten Momenten versteht es die erste Staffel, aus auffälligen Anglizismen oder nerdigem Jugendvokabular einen zusätzlichen Gag zu gewinnen. In der zweiten Staffel von «How to sell drugs online (fast)» sind die Dialoge auf unerklärliche Weise beliebiger geworden, wodurch die wiederkehrenden Figuren wiederum an Profil verlieren. Und das macht es schwerer, weiter mit ihnen zu lachen und mit ihnen mitzufiebern.

Da sich «How to sell drugs online (fast)» im Laufe der zweiten Staffel zu allem Überfluss in einige sehr generische Plots manövriert (Misstrauen aus Eifersucht! Gier schadet! Achtung, Drogendealen ist extrem gefährlich!), ohne ihnen mit demselben Verve wie in Staffel eins etwas Neues abzugewinnen, mutiert diese so ungewöhnliche, moderne, erfrischende Serie rasant zu einer beliebigen Dramedy. Der subversive Umgang mit dem Thema Drogen weicht größerer Didaktik in Form zweier drogensüchtiger Mitschülerinnen der Protagonisten, die sich wie in 80er-Jahre-Drogenwarnvideos die Persönlichkeit wegpfeffern. Die Anzahl humoriger erzählerischer Spielereien lässt nach. Und selbst die Bildsprache ist in Staffel zwei gedämpft.

Einzelne Glanzmomente gibt es zwar weiterhin, wie einen Bruch der Story, um sich ausführlich mit Leonardo DiCaprios Liste von Verflossenen zu beschäftigen, aber so etwas wie den neonfarbenen Drogen-Schwimmunterricht aus Staffel eins sucht man in den neuen Folgen vergeblich. Inszenatorisch kann etwa eine Kreuzung aus Sex-Szene und Wach-Albtraum an frühere Glanzlichter anschließen. So ganz ist das Talent, das «How to sell drugs online (fast)» anfangs so sehenswert machte, dann halt doch nicht verschwunden.

Vor allem in längeren, schelmischen Monologen (etwa über Netz-Sicherheit) schimmert die Stärke der Skripts aus Staffel eins durch, während sich Maximilian Mundt erfolgreich abmüht, den Serienhelden Moritz trotz der platteren Dialoge glaubwürdig zwischen Gier, pubertierender Großkotzigkeit und schüchternen, empathischen Schüben schwanken zu lassen. Und Lena Urzendowsky, die in Staffel eins Cameo-Status hatte, dient als gigantische Bereicherung für die Serie: Die aus «Dark» und «Das weiße Kaninchen» bekannte, unter anderem mit der Quotenmeter.de-Fernsehtasse prämierte Schauspielerin spielt mit immenser Energie die hibbelige, moralisch komplexe Hackerin xKira7 und gibt der Serie schubweise die jugendlich-clevere Ausstrahlung und Attitüde zurück, die ihr in Staffel zwei so oft so betrüblich abhanden geht. Zum "Trost" gibt es in den neuen Folgen mehr und auffälligeres Product Placement (siehe Titelbild).



Anmerkung zur Wertung

Unser Serienkritiker Julian Miller gab der ersten Staffel 70 Prozent, Sidney Schering, der Autor dieser Kritik, hätte 80 Prozent gegeben.
Da der Verfasser dieser Zeilen nicht einmal im Ansatz so gute Hacking-Fähigkeiten aufweist wie das von Urzendowsky verkörperte Highlight der neuen «How to sell drugs online (fast)»-Folgen, kann er bloß mutmaßen, was da los war, statt es in den btf-Mails nachschlagen zu können. Aber «How to sell drugs online (fast)» fühlt sich einfach nicht mehr so echt und passioniert an wie in Staffel eins. Sondern ungewollt-fremdbestimmt, so, als würden die Verantwortlichen mit verbissenen Zähnen abgetretene Pfade betreten, weil die eigentliche Marschrichtung für Staffel zwei aus irgendwelchen Gründen versperrt wurde. Diese These kann natürlich Unfug sein – aber allein schon, dass eine einst so aufregende, dynamische Serie genügend Leerlauf und Inspirationsarmut mitbringt, dass solche Gedanken aufkommen, spricht wohl schon Bände.


Fazit: Was für ein Jammer: «How to sell drugs online (fast)» stürzt mit uninspiriert runter geleierten Plotentwicklungen und einem Verlust an unvergleichlichem Charakter massiv ab. Was bleibt, ist eine frustrierende, aber gelegentlich noch immer kurzweilige Serie voller vergeudetem Potential.


«How to sell drugs online (fast)» ist auf Netflix abrufbar. Staffel zwei wird am 21. Juli 2020 veröffentlicht.

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
tommy.sträubchen
19.07.2020 07:36 Uhr 1
Wow, das wäre ja Rekord für eine Serie von geil auf Scheibenkleister. Leider muss ich noch 2 Tage warten. Bin trotzdem gespannt.
Fabian
19.07.2020 07:41 Uhr 2
Ich auch. Mein Preview-Passwort ist abgelaufen. :(
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