Interview‚Der Sturm ist wie eine Figur – er schließt die Menschen ein und lässt sie nicht mehr los‘
von Fabian Riedner04. November 2025
Mit „Sturmtief“ inszeniert Steffi Doehlemann eine besonders atmosphärische Folge der erfolgreichen Reihe «Der Usedom-Krimi». Eingeschlossen vom Schneesturm, abgeschnitten von Strom und Netz, müssen die Figuren ihre inneren Abgründe aushalten.
Frau Doehlemann, «Sturmtief» ist bereits Ihr zweiter Film für die Usedom-Reihe in dieser Staffel. Was hat Sie an dieser Geschichte besonders gereizt?
Der untypische Aufbau der Geschichte. Üblicherweise kommen unsere Ermittler an und müssen einen Fall lösen. Karin Lossow, obwohl sie nicht wirklich Teil des Ermittlerteams ist, hat durch ihr Gespür und ihr Eigenengagement immer einen Anteil daran, auch wenn es den Ermittelnden nicht immer gefällt. Mit unseren Figuren und deren Wissensstand entblättern wir den Fall.
Nicht so in dieser Geschichte: hier ist der Zuschauer derjenige, der rätselt und mit seinem Wissensvorsprung den Fall „löst“.
Ein Sturm jagt über Usedom, zwingt unsere Figuren, dort zu bleiben, wo sie sind und verhindert auch die Kommunikation zwischen ihnen. An drei dadurch voneinander getrennten Schauplätzen erleben wir unterschiedliche Geschichten, die miteinander zu tun haben und sich beim Zuschauer zu einem Gesamtbild zusammensetzen.
Der Sturm wirkt im Film fast wie eine eigene Figur. Wie sind Sie filmisch an diese Naturgewalt herangegangen – technisch und atmosphärisch?
Ja, sie sagen es: der Sturm ist hier eine eigene Figur, der Antagonist, der unsere Figuren einschließt und auf sich selbst zurückwirft. Entsprechend muss er, wie alle anderen Figuren auch, eine Dramaturgie haben, eine Entwicklung, die sich durch den ganzen Film zieht. Also war meine Aufgabe, zu überlegen: wie macht man Wind sichtbar und zu welchem Zeitpunkt zeigt er welches Gesicht?
Zu Beginn ist er ungefährlich, hat sogar was Anmutiges: die aufgehängte Wäsche tänzelt im Wind. Dann liegt etwas in der Luft, dargestellt durch Karins Hund, der das Meer anbellt, das aber noch ruhig vor uns liegt - dann braut sich etwas zusammen, der Wind scheint Merle, die das Haus verlässt, zu drohen. Wir nehmen hier die Perspektive des Windes ein und fliegen mit einer Drohne von oben auf Merle herab; als weiterer Unglücksbote schlägt der Wind Karins Tür zu und lässt sie aus ihrem Haus ausgeschlossen zurück. Die Dramaturgie des Sturmes wird in Folge immer heftiger und gefährlicher bis in der Nacht im Schneesturm Strom und Internet ausfallen und wir in der Dunkelheit zurückbleiben.
Für die Atmosphäre war es für mich wichtig zu überlegen: welche Gefühle löst der Wind zu welchem Zeitpunkt aus? Dazu muss ich ihn mit den Figuren verbinden. Also Situationen schaffen, die zunächst jeder wiedererkennt und auch zeigen, wie die jeweiligen Figuren damit umgehen. Sind sie mutig? Ängstlich? Unterschätzen sie die Situation? Werden dann panisch?
Die Dramaturgie des Sturmes muss so gesetzt sein, dass es zum Verlauf der Geschichte passt und kann im Guten wie im die Bösen natürlich toll unterstützen und diesen Figuren seine Kraft übertragen.
Zu Beginn der Dreharbeiten lag auf Usedom noch Schnee. Wir haben das genutzt, um den Sturm auch in der Nacht sichtbar zu machen. Schnee- und Windmaschinen waren oft im Einsatz.
Große Teile des Films spielen unter extremen Bedingungen: eingeschlossene Figuren, kein Strom, kein Netz. Wie baut man in solch statischen Situationen Spannung auf?
Zunächst einmal muss man überlegen, welches Gefühl eine Szene beim Zuschauer hinterlassen soll. Wenn es immer klaustrophobischer wird, ist es zum Beispiel wichtig die Figuren „aneinander zu ketten“, indem man die Fenster im Bild hat und die durch den Sturm bedrohliche Atmosphäre außen immer spürt. Dorthin kann man nicht fliehen. Auch Lichtgestaltung, Sound und Musik lösen Gefühle aus.
Im Haus Witt sagt zudem niemand, was er wirklich denkt, es steht ein unsichtbarer Elefant im Raum, den jeder spüren kann. Timing und Leerstellen sind hier gefragt.
Das Thema Isolation zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Was interessiert Sie persönlich daran, Menschen in Extremsituationen zu zeigen?
Mich interessieren Menschen und die Tatsache, dass in jedem Menschen unterschiedliche und sehr konträre Kräfte wirken können. Mich interessiert, dass das Böse eine Verletzlichkeit hat und das Gute eine dunkle Seite, etwas dass eben nur in Extremsituation zum Vorschein kommt. Auf sich zurückgeworfen, unter Druck und Lebensgefahr würden wir alle Dinge tun, die – obwohl schrecklich – nachvollziehbar sind.
Der «Usedom-Krimi» lebt stark von seinen Charakteren – allen voran Karin Lossow. Wie haben Sie Katrin Sass diesmal erlebt, gerade in diesem psychologisch engen Szenario?
Für Katrin ist das Set über die vielen Jahre schon zur Familie geworden, denke ich. Sie fühlt sich wohl. Sie begrüßt jeden herzlich, singt und lacht. Obwohl sie es oft sehr ungemütlich im kalten Schneesturm hatte, bleibt sie humorvoll, wenn dann auch schwarz-humorig. Für die psychologisch engen Szenarien braucht ein Schauspieler eine starke innere Energie, um sie glaubhaft zu vermitteln. Katrin holt sich diese mit Scherzen und Lachen, um sie dann in Druck umzuwandeln.
Auch Merle, Ellen und Rainer Witt stehen unter Druck. Wie arbeiten Sie mit Ihren Schauspielerinnen und Schauspielern, um solche emotionalen Ausnahmemomente glaubhaft zu gestalten?
Ich denke, es gibt nichts, was ein Mensch nicht täte. Alles ist möglich. Während ein Charakter in einer bestimmten Situation z.B. weint, fängt ein anderer in der gleichen Situation an zu lachen. Wichtig ist, bei der Figur zu bleiben. Spannend war in unserem Fall, dass nie jemand das sagt, was er wirklich denkt. Das, was er denkt, trotzdem sichtbar zu machen, war eine wunderbare Aufgabe für uns. Die Diskrepanz zwischen Denken und Tun eröffnet eine große Interpretationsfläche, in die man alles hineinlesen kann.
Der Film hat visuell eine sehr dichte, fast klaustrophobische Atmosphäre. Welche Rolle spielte die Kameraarbeit dabei?
Eine sehr große! Allein ein Bild kann eine Geschichte erzählen, eine Atmosphäre vermitteln, ebenso wie Musik das tut. Ich arbeite in der Vorbereitung sehr ausführlich mit meinem Kameramann zusammen. Es ist ein für mich wichtiger kreativer Prozess, in dem die Ideen eine Form bekommen. Wir planen die Stilistik und an erster Stelle steht immer: Was wollen wir erzählen? Das entscheidet darüber, wie die Einstellung aussehen wird und wen oder was wir zeigen. Die Kameraarbeit dient immer den Figuren, ist niemals Selbstzweck. In diesem Film ist die Statik bewusst gewählt. Das „sich nicht bewegen können“ von großer Bedeutung. Auch das Lichtkonzept war in diesem Film sehr anspruchsvoll. Der Gedanke war: wie erzählt man Licht, wenn‘s dunkel ist und kein Strom da? Zum Beispiel macht Rainer vor dem Antiquitätengeschäft seine Autoscheinwerfer an, um drinnen Licht zu haben, später ist die dann leer gelaufene Batterie der Grund, weshalb er nicht wegkommt. Alles hängt zusammen.
Die Autorin Dinah Marte Golch beschreibt den Film als „anders als die bisherigen“. Was war Ihnen wichtig, um den «Usedom-Krimi» visuell oder erzählerisch weiterzuentwickeln?
Für mich ist es wichtig, eine Geschichte nicht „darzustellen“, sondern glaubhaft und erfahrbar zu machen, einen übergeordneten Sinn zu finden. Filme sind für mich ein Kunstwerk, eine Möglichkeit einen Ausschnitt der Welt so zu zeigen, wie ich sie sehe.
Wetterextreme wie Stürme nehmen auch im echten Leben zu. Sehen Sie in «Sturmtief» neben der Spannung auch eine gesellschaftliche oder ökologische Dimension?
Hat es durchaus, wobei es nicht mein erster Gedanke war. Mich hat mehr interessiert, was eine solche Situation mit den Menschen macht, wie sie agieren und reagieren, wie sie zur Einsicht kommen.
Sie haben bereits mehrere Episoden der Reihe inszeniert. Was bedeutet Ihnen der «Usedom-Krimi» inzwischen – als Regisseurin und als Geschichtenerzählerin?
Ich habe bisher zwei sehr unterschiedliche Folgen gemacht. „Geisternetze“ und „Sturmtief“. Wir haben beide Folgen durcheinander gedreht, sodass es sich für mich wie ein großes Projekt anfühlte, nicht wie mehrere. Aber ich habe die Figuren in dieser Zeit kennengelernt und auch Usedom ein wenig. Gerade im Winter wirkt es dort schon sehr grau und trist. Aber mit unseren Charakteren zusammen das Schöne und Liebenswerte der Insel zu finden, das „warum sie hier sind“, ihre Geschichten zu erzählen, war eine schöne, inspirierende Aufgabe.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
“Sturmtief“ steht seit 20. Oktober in der ARD Mediathek zum Abruf bereit. Die Folge von «Der Usedom-Krimi» ist am Donnerstag, den 6. November, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.