Eine der langlebigsten Sitcoms der 80er und 90er erlebte Mitte der 2010er-Jahre ein Comeback. Nach fünf Staffeln hat Netflix dann entschieden, dass es (vorerst) zu keiner Rückkehr in eines der wohl berühmtesten fiktionalen „Häuser“ der TV-Geschichte mehr kommen wird. Grund genug, um auf diese „zweite Ära“ zurückzublicken und sich von all den Bewohnern gebührend zu verabschieden.
Wenn Donna Jo „D.J.“ Margaret Tanner-Fuller (Candace Cameron Bure), ihre Schwester Stephanie „Steph“ Judith Tanner (Jodie Sweetin) und ihre beste Freundin Kimberly „Kimmy“ Louise Gibbler ihre erste gemeinsame Szene haben, ist sie sofort wieder spürbar, diese Chemie, die ihre Darstellerinnen bereits vor 30 Jahren miteinander hatten. Einzig auf Michelle (Mary-Kate und Ashley Olsen hatten sich die Rolle geteilt), das wohl populärste Bildschirm-Kleinkind/-Baby überhaupt, mussten die Treuesten der Treuen bis zum Schluss verzichten, durften sich dafür jedoch an unzähligen Anspielungen und kleinen Spitzen samt gewohntem Augenzwinkern erfreuen – sowie an diversen „Besuchen" der „Dads“. Und Drehorte wie die Küche, das Wohnzimmer (mit Treppe) oder der Garten lassen in denjenigen, die einst schon regelmäßig die „Einladungen“ zum „Gute-Laune-Tanken“ dankend angenommen haben, sofort dieses vertraute Gefühl aufkommen. Hier ist man gerne – vorausgesetzt, man war im Vorhinein dazu bereit, einige Grundprämissen zu akzeptieren: Abgesehen von dem Fakt, dass es diesmal der Tod von D.J.s Ehemann Tommy ist, der das Trio wiedervereint, wird in diesem fiktiven Kosmos „heile Welt“ großgeschrieben – und um drei Ausrufezeichen ergänzt.
Denn sind wir ehrlich: Das „Golden Age of Television“, in dem wir nach wie vor leben, hat zahlreiche fantastische Serien hervorgebracht und zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass jede oder jeder, der dieses Überangebot an „Binge-Material“ als Chance begreift und etwas Zeit investiert, auch exakt das finden wird, was sie oder ihn anspricht. «Modern Family» hat sich inzwischen bekanntermaßen ebenfalls von seinen Fans verabschiedet, sodass das Thema „Familie“ im Prinzip nur noch Wesenskern eines US-Publikumsmagneten ist: «This Is Us». Inhaltlich unterscheiden sich das FOX-Aushängeschild und der Streamingtitel, der im Zentrum dieses Beitrags steht, aber sehr. Bei Tanner-Gibbler-Dramen müsste man sich im Grunde stets die Anführungszeichen mitdenken, während es bei den Pearsons bevorzugt um solche geht, die eine ungeheure emotionale Wucht entfalten können. Sprich: Das VoD-Format hätte es allein deshalb verdient gehabt, fortgesetzt zu werden, weil es für eine fiktionale Farbe steht, die in der nationalen und internationalen TV-/Streaminglandschaft eindeutig unterrepräsentiert ist: Wohlfühlfernsehen.
Bob Saget als Danny Tanner, John Stamos als Jesse Katsopolis, Dave Coulier als Joey Gladstone.
Der heimliche Star unter den Neulingen ist allerdings eindeutig Ex-Jesus-Darsteller und «Dallas»-Alumni Juan Pablo Di Pace respektive dessen Rolle Fernando Hernandez-Guerrero-Fernandez-Guerrero. Der ehemalige Rennfahrer, ehemalige Friseur und ehemalige Ehemann von „Wieder-Partnerin“ Kimmy sowie egozentrische, dezent überdrehte und äußerst extrovertierte Vater von Ramona, der einen Hang zur Dramatik hat, demonstriert eindrucksvoll, dass man nicht unbedingt Gibbler heißen muss, um für kuriose Situationen aller Art sorgen zu können. Wobei man fairerweise erwähnen muss, dass dessen „Ex-bald-wieder-Schwager" James „Jimmy“ Gibbler (Adam Hagenbuch) (unbewusst) eine Menge versucht hat, um Fernando wenigstens gelegentlich zu übertreffen. Ihm gelingt es sogar, Stephs Herz zu erobern, während D.J.s Herz zeitweise von ihrem Tierarztkollegen Dr. Matt Harmon (John Brotherton) erobert wird, sie sich schlussendlich aber (Überraschung) für ihre Jugendliebe Steve Hale (Scott Weinger – in den USA die Stammstimme von Aladdin, was in «Full House» sogar (indirekt) thematisiert worden ist) entscheidet. Obwohl Letzterer folglich genau genommen ein alter Hase ist, spricht auch einiges dafür, ihn als eine Art „Neuling“ zu betrachten, weil er im Verhältnis in gar nicht so vielen Episoden der „ersten Ära“ präsent war, wie einem die eigene Erinnerung glauben machen will. Ein „Neuling“, der nicht nur gut zu den anderen Männern (den kleineren und größeren) passt, sondern darüber hinaus das wohl den Rest am stärksten erdende Element darstellt. Denn ein solches benötigt man zwingend, damit es insgesamt nicht zu skurril wird.
Die Tatsache, dass man durch die „Dads“ und (mit Ausnahme der letzten Staffel) Rebecca „(Tante) Becky“ Donaldson-Katsopolis (Lori Loughlin, die zuletzt öffentlichkeitswirksam erheblich mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist) nun mehrfach Geschichten erzählen konnte, in denen Vertreter aus drei Generationen miteinander interagierten, hat der Sendung ebenfalls sichtlich gutgetan – insbesondere im Falle von Jesse, aus dem man eine Art „personifizierte Metaebene“ gemacht hat. So löst etwa der Aufenthalt in einem Krankenhaus bei „ihm“ die Erinnerung an „seine“ Zeit als Arzt aus (#drtonygatesemergancyroom). Nichts toppt jedoch Jesses Begegnung mit dem jungen, hippen Vater Ben auf einem Spielplatz – Becky und ihr Mann haben mittlerweile die kleine Pamela (Madilynn und McKenzie Jefferson), die nach der Mutter der Tanner-„Mädchen" benannt worden ist, adoptiert – und die sich daraus entwickelnde Storyline rund um Erziehungs-Apps, Spielverabredundungen im 21. Jahrhundert und nicht-süße Süßigkeiten: Dieser Ben wird nämlich von Josh Peck gespielt, der wiederum in «Grandfathered» einst Gerald, den Sohn von John Stamos‘ Charakter Jimmy Martino mimte, der plötzlich in dessen Leben tritt und ihm offenbart, dass er nicht nur Vater, sondern auch bereits Großvater ist – in der kurzlebigen Comedy hatten im Übrigen auch Bob Saget und Dave Coulier Gastauftritte.
Abschließend lässt sich also festhalten, dass «Fuller House» (2016–2020) keinesfalls den Anspruch hat, zu beweisen, dass früher alles besser war, sondern vielmehr unterstreicht, wie sich Vergangenheit und Gegenwart schlüssig im Sinne der Zuschauerinnen und Zuschauer verbinden lassen, die neben all den oftmals sehr ernsten, anspruchsvollen und düsteren High-End-Serien unserer Zeit auch einmal zwischendurch etwas fiktionale Kost genießen möchten, die sie einfach nur in schöner Regelmäßigkeit zum Schmunzeln bringt, hin und wieder herzhaft lachen lässt und ihnen schlicht Menschen präsentiert, die sich auch an mitunter gar nicht so kleinen oder selbstverständlichen Kleinigkeiten erfreuen können. Und das über 75 Episoden, die stets mit dem von Carly Rae Jepsen neu eingesungenen legendären Intro-Song „Everywhere You Look" begonnen haben und in denen eine ganz bestimmte Tür (auch im übertragenen Sinne) „immer offen" war und dies sicherlich auch bleiben wird.