Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: „Einer mieser als der andere“

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Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 276: Eine Film-Reihe, mit der Sat.1 gleich mehrfach auf den Quotenstrich ging.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir eines Mehrteilers, der von der Zeitung TV Spielfilm als „schlecht gespielter Härtefall“ beschrieben wurde.

Die Spielfilmreihe «Natalie – Endstation Babystrich» wurde am 23. November 1994 in Sat.1 geboren und war ursprünglich als einzelnes TV-Movie konzipiert. In ihm wurde die Geschichte der 14jährigen Natalie erzählt, die aus einem bürgerlichen Haushalt stammte, sich aber von ihren Eltern nie akzeptiert fühlte. Die daraus resultierende Einsamkeit trieb sie letztlich in die Arme eines Zuhälters, in den sie sich erst verliebte und dann für ihn anschaffen ging. Die Hauptfigur wurde dabei von der 20jährigen Newcomerin Anne-Sophie Briest gespielt, die zuvor lediglich als Kind einige kleinere Auftritte im DDR-Fernsehen hatte. Dennoch fühlte sie sich für die Rolle gewappnet, wie sie in einem Interview verriet: "Ich kenne den Berliner Babystrich, den Drogenstrich. Ich habe mich mit betroffenen Mädchen über ihre Situation unterhalten und ein Buch zu dem Thema gelesen."

Anders als es der brachiale Titel vermuten ließ, versuchte Regisseur Herrmann Zschoche den Stoff, der angeblich auf einer wahren Begebenheit beruhen sollte, taktvoll und mit Ernsthaftigkeit zu inszenieren. Ob ihm dies tatsächlich gelungen war, blieb äußerst umstritten, denn in den Pressestimmen aus jener Zeit ließen sich einerseits Urteile wie „annehmbar“ oder „recht eindrucksvoll in Szene gesetzt“ und andererseits niederschmetternde Verrisse finden, die hauptsächlich die oberflächliche und reißerische Inszenierung bemängelten. Der Journalist Rainer Tittelbach zitierte beispielsweise eine Besprechung, die den Film als „zeitlos banales Abziehbild eines erschreckend abgenutzten Plots“ bezeichnete.

Viele Fernsehzuschauer schienen sich trotz dieser Vorbehalte für Natalies Schicksal interessiert zu haben, denn bei der Premiere am Mittwochabend wurde mit einer Sehbeteiligung von 8,90 Millionen Menschen eine unerwartet hohe Quote erzielt. Aufgrund dieses Erfolgs war es kaum verwunderlich, dass die Figur entgegen des Filmtitels noch längst nicht an einer Endstation angekommen war.

Für das Drehbuch der Fortsetzung wurde die Autorin Charlott Grunert verpflichtet, die zuvor im Rahmen anderer Projekte in Kinderheimen, bei Jugendämtern und mit Psychologen recherchiert hatte. Sie versuchte den Schwerpunkt der neuen Geschichte auf das familiäre Leben nach den Ereignissen vom ersten Teil zu legen. So kehrte Natalie darin wieder in ihr Elternhaus zurück, wo ihre Erlebnisse jedoch tabuisiert wurden und ihr Vater eine erdrückende Herrschaft führte. Sich erneut missverstanden fühlend, brach die ehemalige Prostituierte ein weiteres Mal aus dem Kreis ihrer Familie aus.

Trotz des weniger schockierend angelegten Drehbuchs ließ es sich Sat.1 nicht nehmen, das Ergebnis mit «Natalie – Die Hölle nach dem Babystrich» gewohnt aufdringlich zu betiteln. Dem Zuschauerinteresse half dies allerdings nicht, denn bei der Erststausstrahlung am 27. Mai 1997 hatte sich der Wert mit nur noch 4,15 Millionen Zusehern mehr als halbiert.

Trotz dieser deutlichen Verluste war die Reichweite für die Verantwortlichen offenbar noch immer ausreichend, denn es folgte rund anderthalb Jahre später mit «Natalie – Babystrich Online» bereits der dritte Teil der Serie. In diesem ermittelte die mittlerweile als Anwaltsgehilfin arbeitende Natalie auf eigene Faust im Internet-Kinder-Porno-Mafia-Mileu, um einer anderen Jugendlichen zu helfen. Fanden sich bei den beiden Vorgängern noch vereinzelte positive Rezensionen, schien das diesmalige Urteil einhellig zu sein. So stufte Daniela Pogade das Resultat in der Berliner Zeitung als einen „genormten Thriller mit unendlich strapazierten Schauereffekten“ ein, der derart überzeichnet war, dass er „beim besten Willen nicht mehr ernst zu nehmen“ gewesen wäre. In der Mitteldeutschen Zeitung wurde er indessen als „belanglos“ charakterisiert, der „nichts im Hauptabendprogramm zu suchen“ hätte. Briests dargebotene Leistung stand jetzt ebenso heftiger in der Kritik als bei den vorherigen Episoden. Ihr wurde eine sichtbare Lustlosigkeit bescheinigt, die sie in Interviews nicht einmal leugnete. „Die Rolle ist für mich keine Herausforderung mehr“, gab sie damals offen zu und rechtfertigte ihre erneute Zusage gegenüber der Berliner Morgenpost damit, dass sie „auch essen und Miete zahlen" müsse.

Obwohl sich die Reihe an diesem Punkt bereits erschöpft hatte, folgten im Oktober 2001 und Januar 2003 noch zwei weitere Fortsetzungen – wieder mit Briest in der Titelrolle. In «Natalie – Das Leben nach dem Babystrich» wurde die Figur schwanger und musste eine mögliche HIV-Infektion verkraften, während es sie in «Natalie – Babystrich Ostblock» in die Prostitutions-Szene von Tschechien verschlug. Die zugehörige Resonanz beim Publikum und bei den Kritikern sank noch einmal merklich. Die Zeitschrift Filmdienst warf den Machern nun vor „ohne sonderliche Ambitionen ein vermeintlich gesellschaftlich relevantes Thema für spekulative Unterhaltung auszubeuten“. Und TV Spielfilm urteilte abschließend über alle Teile schlicht: „Einer mieser als der andere.“

Die «Natalie...»-Reihe wurde schließlich am 28. Januar 2003 beerdigt und erreichte ein Alter von fünf Folgen. Sie hinterließ die Hauptdarstellerin Anne-Sophie Briest, die neben einigen kleineren TV-Rollen zuletzt winzige Auftritte in gleich drei Kinofilmen von Til Schweiger hatte (u.a. als Ministerluder Mandy in «Keinohrhasen»). Briest betreibt auch eine Kindertagesstätte in Berlin. Übrigens, die «Babystrich»-Movies sind mittlerweile in einer DVD-Komplettbox erschienen – wohlgemerkt unter dem Slogan „Juwelen der Fernsehgeschichte“.

Möge die Reihe in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einer Gameshow mit verbotenem Namen.

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