Popcorn & Rollenwechsel

Marvels Fernsehmethoden

von

Die Marvel Studios schließen fürs Kino Verträge ab, die sich so normalerweise nur im Fernsehen gehören.

Wenn ein Darsteller in Hollywood eine Rolle haben möchte, geht er zu einem Vorsprechen. Wenn er dort gut ankommt, beginnen die Verhandlungen zwischen ihm und seinem Agenten einerseits und dem Regisseur, den Produzenten und eventuell auch den Studio-Bossen andererseits. Sobald das Finanzielle geklärt ist, kommt es zur Vertragsunterzeichnung. Selbstredend gibt es Ausnahmefälle, manchmal steht eine Besetzung schon fest, ehe überhaupt ein Regisseur gefunden wurde. Oft gilt dies für Big-Budget-Produktionen, so war das erste, was in Sachen «The Lone Ranger» beschlossen wurde, dass Johnny Depp als Tonto auftritt. Doch im Großen und Ganzen ist dieses Vorgehen in der filmischen Traumfabrik Standard.

Doch stellen wir uns kurz folgendes vor: Wir führen ein Filmstudio, das sich darauf spezialisiert hat, durchschnittlich zwei Filme pro Jahr ins Kino zu entlassen und eine Filmografie aufzubauen, die komplett miteinander verbunden ist. Hauptdarsteller aus einer Produktion treten in anderen Streifen als Gaststars auf, kleinere Nebenrollen werden über die Dauer von zwei, drei Filmen zu Hauptfiguren ausgebaut und wieder andere Darsteller sind im Grunde genommen der wandelnde rote Faden im Schaffenswerk unseres Studios.

Hinzu kommt, dass wir sogar schon zwei Mal auf die Nase gefallen sind und Rollenkontinuität aufgeben mussten. Unser wütender, grüner Riese wurde in seinem großen Einzelfilm von einem Star verkörpert, der keine Lust hatte, in diese Rolle zurückzukehren. Und der beste Kumpel unserer finanziell einträglichsten Filmhelden durchlief ebenfalls schon zwei Darsteller. Was tun?

Wir könnten es wie die Marvel Studios machen, die sich ein wenig von üblichen TV-Praktiken haben inspirieren lassen. Da Fernsehserien von der regelmäßigen Verfügbarkeit ihrer Schauspieler abhängig sind und im Idealfall Jahre im Voraus planen, werden Verträge früher unterzeichnet und sind standardmäßig von längerer Laufzeit. So sieht es auch bei den Marvel Studios aus. Wie /Film erläutert, unterschreiben Darsteller, die an einem Part in einem Film der Marvel Studios interessiert sind, bereits einen Vertrag, bevor sie überhaupt vorsprechen. Dieser Vertrag legt das zu erwartende (im Vergleich zu anderen Studios vergleichsweise niedrige) Gehalt fest, klärt, für wie viele Filme Marvel den Darsteller im Falle des Gefallens anheuern kann, und ähnliche Aspekte.

So kam es zustande, dass «How I Met Your Mother»-Star Cobie Smulders noch vor der Premiere von «The Avengers» für bis zu neun Marvel-Kinoauftritte bestätigt wurde oder Mark Ruffalo noch bis zu sechs Mal den Hulk spielen wird. Für Marvel bringt dies enorme Planungssicherheit: Wiederkehrende Rollen halten ihre Darsteller und Marvel-Projekte, die aufgrund ihrer zahlreichen Rollen eine enorme Logistik hinter sich haben, drohen nicht, zigfach verschoben zu werden, weil kein Drehtermin ausfindig gemacht werden kann, an dem sämtliche Schauspieler zur Verfügung stehen.

Doch weshalb sollten sich Schauspieler auf diese Deals einlassen? Nun, für einige sind die angebotenen Rollen sich erfüllende Kindheitsträume. Sie werden dafür bezahlt, durch die Gegend zu rennen und so zu tun, als wären sie berühmte Comicikonen und Schurken (oder Helden) verprügeln. Außerdem entwickelte sich Marvel zur „star making machine“: Robert Downey Juniors Comeback ruht auf den Schultern von «Iron Man» (und «Sherlock Holmes»), «Thor»-Darsteller Chris Hemsworth schwimmt in Rollenangeboten und Indie-Darling Chris Evans wurde durch Marvel einem breiten Publikum bekannt.

Aber nicht jedem Schauspieler liegt die Welt des Marvel-Filmemachens. «Game of Thrones»-Darsteller Jason Momoa sprach für das kommende Sci-Fi-Spektakel «Guardians of the Galaxy» vor und erhielt das Angebot, eine der zentralen Rollen zu spielen, geriet aufgrund der vertraglichen Bindungen dann jedoch in Zweifel und lehnte ab. Andere Studios wären nun in Panik, da sich der Drehtstart allmählich nähert. Allerdings sprachen bereits viele andere Akteure für die Rolle vor – die sogar schon unter Vertrag stehen und bloß „aktiviert“ werden müssen. So lässt sich der Prozess, Ersatz für Momoa zu finden, beschleunigen.

Bislang band Marvel auch durchweg die richtigen Leute an sich. Cobie Smulders, Chris Evans, Chris Hemsworth, Robert Downey Junior, sie alle werden von den Comicfans geliebt. Somit schafft Marvel eine enorme Fallhöhe: Die langfristigen Verträge wollen ja auch weise genug genutzt werden, und ein Fehlcasting würde im bislang perfekt besetzten Marvel-Universum schmerzen.

Gut, dass wir kein solches Filmstudio führen. Ich wäre längst wegen des Erwartungsdrucks umgekippt.

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