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Roger Schawinski - Stationen eines Fernsehmachers

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Seit dem 4. Dezember 2003 – also seit fast genau drei Jahren – zieht Roger Schawinski die Fäden beim Berliner Fernsehkanal Sat.1. Am Mittwoch gab er überraschend bekannt, dass er seinen Zweijahresvertrag nicht erfüllen werde, und somit sein Amt zum 1. Januar 2007 an seinen bisherigen Stellvertreter, Matthias Alberti, weitergeben werde.

Am Mittwoch gab die ProSiebenSat.1 Media AG bekannt, dass Sat.1-Geschäftsführer Dr. Roger Schawinski den Sender verlassen werde. Damit kommt sein Abgang wohl genauso überraschend wie seine eigentliche Verpflichtung. Seinen Dienstantritt hatte er am 4. Dezember 2003. Wenige Tage zuvor war sein Vorgänger, Martin Hoffmann, aus seinem Amt enthoben worden. Überraschend war dies vor allem deswegen, weil Sat.1 gerade im zweiten Halbjahr 2003 kräftig an Marktanteilen hinzugewonnen hatte. Im zweiten Quartal 2003 lag der Berliner Fernsehkanal bei 11,2 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe – wohl zu wenig für damalige Verhältnisse. Schon im dritten Quartal zog Sat.1 jedoch stark an und schloss mit 11,7 Prozent ab. Im Oktober lag der Bällchensender bei 11,9 Prozent und im November sogar bei starken 13 Prozent Marktanteil.

Doch anscheinend hat es einfach nicht mehr gepasst – Urs Rohner (Foto) und die ProSiebenSat.1 Media AG entschieden sich gegen Hoffmann und holten den Schweizer Medienmacher Roger Schawinski, den viele bereits als Privatier ansahen. Der vermögende Züricher wollte sich aber offenbar einer erneuten Herausforderung stellen. Und diese war vermutlich Größer als all das, was er bisher gemacht hatte. Denn Schawinski hatte am Anfang keinen leichten Stand beim Sender.


Schwere Anfangsphase
Von Tränenausbrüchen war die Rede, als die Mannschaft des Senders erfuhr, dass ihr geliebter Martin Hoffmann rausgeschmissen wurde. Und sogar die jetzige Sendersprecherin Kristina Faßler gab zu, Schawinski am Anfang gar nicht gewollt zu haben. „Ich war wirklich sehr traurig und wollte Martin Hoffmann zurückhaben“, erinnert sie sich zurück. Doch der Schweizer zeigte schon bei seiner Antrittsrede Größe und versprach, dem kompletten Team Zeit zu geben, sich an ihn zu gewöhnen. Schließlich sei es ja nicht er gewesen, der für Hoffmanns Abgang verantwortlich war. „Schon wenige Tage später hatte sich das gesamte Team dann an ihn gewöhnt. Er war und ist eine unglaubliche Bereicherung für den Sender,“ so Kristina Faßler.

Nicht nur diese Probleme bereiteten dem damals 58-Jährigen Kopfzerbrechen. Sofort nach Bekanntwerden seiner Personalie thematisierte Late Night Talker Harald Schmidt ihn in seiner Sendung, wenige Tage später erklärte der Entertainer, dass er – als Aushängeschild des Senders - eine „kreative Pause“ einlegen werde. Nicht wenige brachten Schmidts Abgang mit der Entlassung Hoffmanns in Verbindung. Und der Sender stand unter Zugzwang. Die letzten Monate der «Harald Schmidt Show» waren die erfolgreichsten überhaupt und im Feuilleton wurde Schmidt in etwa wie Gott persönlich hofiert. Das erste große Projekt, an dem Schawinski gemessen wurde, kam also zu später Sendestunde. Nach einem fulminanten Start am 17. Mai 2004 mit 2,46 Millionen Zuschauern (22,5|27,8) gingen die Quoten stark zurück. Bereits am Folgetag sahen nur noch 1,50 Millionen Zuschauer zu (11,7|14,1). Am 21. Oktober 2004 lief die letzte Folge der Late-Night Show.

Schawinski hatte unterdessen noch mehr Pläne mit Sat.1. «Klatsch TV» sollte am Mittag einschlagen, Jenny Elvers plauderte in der halbstündigen Show über die aktuellen Themen aus der Welt des Boulevard. Aber auch die Sendung kam nicht so an, wie erwünscht. Spätestens nach dem Start der qualitativ hochwertigen Serie «Bis in die Spitzen» dürfte dem Fernsehmacher eines klar geworden sein: Einen Sender wie Sat.1 zu leiten, ist stets auch mit Rückschlägen verbunden.

Dank Schawinski zu Sat.1: Thomas Kausch
Die Erfolge überwogen allerdings. Sofort nach Amtsantritt gab der Schweizer bekannt, dem Sender ein ganz neues Image verpassen zu wollen. Fortan sollte kein Format mehr vom Konkurrenten RTL kopiert werden – ein Versprechen, das der Fernsehmacher bis zum Ende hielt. Besonders am Herzen lag ihm die Informationsschiene des Senders. Die bisherigen Nachrichten, «18:30» mit Astrid Frohloff, schwächelten und wirkten zum Teil eher wie eine Pflichtaufgabe. Mit Thomas Kausch, der 2004 noch in den Nachtnachrichten des ZDF zu sehen war, fand Schawinski den perfekten Newsanchor für seinen Sender. Zur TV-Saison 04/05 starteten die neuen «Sat.1 News» und wurden stets erfolgreicher. Im Sommer 2006 wurden teilweise Marktanteile von bis zu 16 Prozent in der Zielgruppe eingefahren. Damit kam man dem jahrelangen Klassenprimus «RTL aktuell» gefährlich nahe.

Dass man aber auch bei der Informations-Offensive Rückschläge hinnehmen musste, soll nicht verschwiegen werden: 2005 startete man den «Talk der Woche», eine gesellschafts-politische Talkshow mit Bettina Rust. Einstellige Marktanteile führten aber dazu, dass die Sendung bereits das Weihnachtsfest nicht mehr erlebte. Die Sendung «Flurfunk Berlin», eine Sendung, für die sich Informationsdirektor Thomas Kausch stark machte, wurde nach einem Piloten, in dem Kausch mit dem damaligen Wirtschaftsminister Clement sprach, nicht fortgesetzt. Auch das neue Mittagsnachrichtenmagazin «Sat.1 am Mittag» wurde konzeptionell sehr stark überarbeitet, läuft erst als Boulevardmagazin erfolgreich.

In der Primetime etablierte sich vor allem der Donnerstag zum Hit-Abend bei Sat.1. Im Line-Up mit der «Schillerstraße» (die man auf eine Stunde verlängerte), der starken US-Serie «Navy CIS», die ursprünglich eigentlich für den Nachmittag angedacht war, und «Akte» gab es quotentechnisch gesehen keinen Knick nach unten. Im Gegenteil: Der Abend lief von Woche zu Woche erfolgreicher. Auch mit dem neu eingeführten Comedy-Freitag war man sehr zufrieden. «Die dreisten Drei», «Mensch Markus» und Co. bescherten dem Bällchensender grandiose Quoten.

«Verliebt in Berlin» wird zur Nummer 1- Telenovela
Ohnehin blühte der gesamte Vorabend auf: Nach der quotenschwachen Reality-Show «Kämpf um deine Frau», die gegen das damals noch starke «Big Brother» keine Chance hatte, betrat Schawinski Neuland mit einem Genre, das wenige Wochen zuvor im ZDF recht gut startete. Die Telenovela kam nach Deutschland. Der Erfolg von «Verliebt in Berlin», Schawinskis Lieblingssendung, wie er im Quotenmeter.de-Interview verriet, wird wohl immer mit dem Namen des Schweizer Fernsehmachers verbunden bleiben. Er war es, der trotz anfänglicher Zweifel vieler Journalisten, an dem Projekt festhielt und schon nach wenigen Folgen sagen konnte, dass er einen neuen Hit kreiert hatte. Das Finale von «Verliebt in Berlin», welches am 1. September 2006 gezeigt wurde, war erfolgreicher als jede andere «Gute Zeiten, schlechte Zeiten»-Episode.

Ohne Frage: Ab September 2006 folgte mit die schwerste Zeit beim deutschen TV-Sender. Im Sommer hatte er zur Überraschung von vielen bekannt gegeben, nicht nur den Vorabend, sondern auch die Primetime fast komplett umstrukturieren zu wollen. Dabei geschah dies ohne wirklich große Not: Im ersten Quartal 2006 kam Sat.1 auf gute 12,0 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe. Die Veränderungen in der Primetime waren allesamt nachvollziehbar – dank «Navy CIS» und «Criminal Minds» löste der Bällchensender sein Quotenproblem am Sonntagabend. Der Montag, Mittwoch – und zuletzt sogar der früher so starke Donnerstag – schwächelten aber. Der Schwestersender ProSieben kam unterdessen aus dem seit Jahre anhaltenden Quotenschwund heraus.

Und am Vorabend lief es alles andere als gut. Schawinski brachte eine neue Telenovela auf den Weg. «Schmetterlinge im Bauch» sollte ganz anders sein und eine Liebesgeschichte aus der Sicht von beiden Hauptdarstellern erzählen. Nach fulminantem Start am 21. August 2006 (über 19 Prozent Marktanteil) schlitterte die Telenovela jedoch schon bald in die Krise. Einstellige – und somit unterdurchschnittliche Werte – waren zuletzt eher an der Tagesordnung. Und auch die Fortsetzung der einstigen „Nummer 1 Telenovela“ «Verliebt in Berlin» klappte nach ebenfalls starkem Start nicht wie gewünscht.

Mit erneuten Umstrukturierungen versuchte Sat.1 in der vergangenen Woche den Schaden zu begrenzen. Ab 2007 soll «Lenßen & Partner» ab 18.00 Uhr wieder dafür sorgen, dass von Anfang an mehr Zuschauer am Vorabend Sat.1 sehen. Dadurch erhofft man sich einen verbesserten Flow, durch den dann möglicherweise auch mehr Menschen als bisher bei den Telenovelas dranbleiben. Ein Plan, der durchaus aufgehen könnte. Obendrein wechselte der Sender die weibliche Hauptrolle bei «Verliebt in Berlin» aus, auch an «Schmetterlinge im Bauch» wird derzeit gefeilt.

Zuletzt hatte der Fernsehboss aber das Problem, welches momentan wohl auch RTL-Chefin Schäferkordt Kopfzerbrechen bereitet. Deutsche Serien floppen wie am Fließband (sofern denn überhaupt noch welche am Abend ins Programm genommen werden)– Schawinski musste neben neuen Serien wie «Freude für immer», «Typisch Sophie», «LiebesLeben» und das bereits erwähnte Format «Bis in die Spitzen» absetzen. Neben den neuen Projekten traf es aber auch altbewährte Sendungen: «SK Kölsch», «Wolffs Revier» und «Stefanie – Eine Frau geht ihren Weg» flogen wegen immer schlechter werdenden Quoten aus dem Programm. Einzig «Der Bulle von Tölz» kann sich noch halten. Deswegen sah es Schawinski in den vergangenen Monaten als seine Aufgabe an, eine neue Generation der deutschen Serie zu entwickeln. Alles andere, als einfach:

Mit der Adaption der italienischen Krimiserie «R.I.S.» könnten es die Berliner aber geschafft haben. Die Dreharbeiten laufen seit gut einem Monat, der Look soll den «CSI»-Serien in der Tat ähneln.

Roger Schawinski: Zur Person
Roger Schawinski, der Mann der das erste Schweizer Privatradio (Radio 24) und das erste Schweizer Privatfernsehen gründete, wird Sat.1 auch nach seinem Abgang in guter Erinnerung bleiben. Ob – wie bei Martin Hoffmann – Tränen fließen, steht in den Sternen. Mit Tele Züri gründete er ein privates Lokalfernsehen in der Schweiz, das 1994 auf Sendung ging. Endgültig zur Kultfigur brachte er es mit der allabendlichen Moderation von «Talk täglich», einer ganz auf ihn zugeschnittenen Talkshow, in der er seinen Gästen meist keine Chance liess. 1995 wurde Schawinski mit dem Tele-Preis, 1996 mit dem Zürcher Radio- und Fernsehpreis ausgezeichnet.
1998 gründete er dann mit Tele 24 den ersten landesweiten privaten Fernsehsender in der Schweiz. Das Schweizer Medienunternehmen Tamedia AG übernahm im August 2001 für 80 Millionen Schweizer Franken Radio 24 und TeleZüri, Tele 24 wurde eingestellt und Schawinski gelangte so zu einem respektablen Vermögen.

Zum Ende des Jahres verlässt also eine durchaus schillernde Figur die deutsche Medienszene. Lediglich als Berater werde er ProSiebenSat.1 weiterhin zur Verfügung stehen. Sein Nachfolger Matthias Alberti, der vor einigen Jahren von RTL zu Sat.1 kam, wird Schawinskis Weg vermutlich weitergehen. Und das ist auch gut so.

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