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«The Knick»: Gegen Hollywood mit dem Skalpell

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Steven Soderbergh, einstiger Blockbuster-Regisseur, hat Hollywood genug kritisiert. Seine HBO-Serie «The Knick» hat vieles: Blut, Geschichte, Arroganz, Drogen. Und ist nicht ganz kinoreif.

Ausgewählte Filmographie

Steven Soderbergh
- «Sex, Lügen und Video» (1989)
- «Out of Sight» (1998)
- «Erin Bronkovich» (1999)
- «Traffic - Macht des Kartells» (2000)
- «Ocean's Eleven» (2001)
- «Contagion» (2011)

Clive Owen
- «Gosford Park» (2001)
- «Closer» (2004)
- «Sin City» (2005)
- «Inside Man» (2006)
- «Children of Men» (2006)
- «Hemingway & Gellhorn» (TV, 2012)
Da ist er also wieder: Steven Soderbergh, Oscar-Preisträger und vielleicht größter bedeutender Kritiker des Hollywood-Kinos. Konsequent kann man ihn jetzt nennen, den Mann, der jahrzehntelang die große Leinwand geprägt hat, mit Filmen wie «Erin Bronkovic», «Ocean’s Eleven», zuletzt «Magic Mike». Denn mittlerweile hat er dem Kino abgeschworen, macht eine eigene Fernsehserie: «The Knick», ein Drama über die Krankenhausärzte eines New Yorker Hospitals um 1900.

Soderbergh ist einer von vielen Hollywood-Stars, der ins Fernsehfach herüberwechselt. Dorthin, wo die mittlerweile komplexeren Geschichten erzählt werden; dorthin, wo vielleicht nicht mehr Geld, aber größeres Prestige zu holen ist. Aber er ist zudem einer der wenigen, für den dieser Schritt folgerichtig ist und wenig überraschend. Anfang 2013 erklärte der Blockbuster-Macher seinen Rücktritt vom Film mit den Worten: „Filme bedeuten nichts mehr“, und kritisierte gleichzeitig diejenigen, die entsprechende Projekte finanzieren und die künstlerische Freiheit der Macher einschränken – insbesondere der Regisseure.

Seit diesem Rücktritt gibt Soderbergh wohldosiert seine Meinung zum Stand des amerikanischen Kinos ab, vielbeachtet vor allem im April 2013 bei einer Rede anlässlich des Internationalen Film Festivals in San Francisco. Die Rede kann als eine Streitschrift gelesen werden gegen die Formalität, Konformität des Hollywood-Films. „Je größer das Budget und je mehr Menschen dieser Film ansprechen soll, desto homogenisierter wird er, desto simplifizierter wird er. Dinge wie kulturelle Genauigkeit und narrative Komplexität, und, Gott bewahre, Ambiguität, werden zu wahren Hürden für den Erfolg eines Films.“ Es werde zu viel Marketing betrieben, würden zu viele Fokusgruppen befragt, zu viele Ideen in bekannte Genres gepresst, um sie international besser zu verkaufen. Und zu viel eskapistisches Kino gemacht. Was würde Soderbergh wohl zum vierten «Transformers»-Film sagen?

All die Kritik mag anmaßend klingen, war Soderbergh doch einer, der von den Verhältnissen in Hollywood bis zuletzt profitiert hat und gutes Geld damit verdiente. Aber er ist auch ein Filmemacher, der das Geschäft seit Jahrzehnten von innen kennt wie wenige andere und dem man glauben kann, wenn er erklärt, wie sich die Prozesse in der Traumfabrik verändern. Ungeachtet seiner kontroversen Thesen vom Zustand Hollywoods ist eines offensichtlich: Amerikanische Qualitätsserien sprühen vor Kreativität, und immer wieder bekunden deren Macher, wie viele Freiheiten sie bei der Entwicklung ihrer Ideen haben. Dass das vielbeschworene „goldene Zeitalter“ seriellen Fernsehens kein Mythos ist, zeigen Produkte wie «Breaking Bad» oder «Game of Thrones» und ihr immenser popkultureller Stellenwert.

Jede neue Qualitätsserie – und davon gibt es derzeit sehr viele – kämpft um eben jenen Stellenwert, um diese Aufmerksamkeit beim Publikum. Mit Steven Soderbergh hat nun ein Oscar-Preisträger seinen Hut in den Ring geworfen, mit all den Freiheiten, die das serielle Erzählen mit sich bringt. Dass diese neu gewonnenen Freiheiten keine Bürde für den Regisseur sind, zeigt sich schnell in «The Knick», einer Fernsehserie, die jüngst beim HBO-Tochtersender Cinemax angelaufen ist. Es geht um Dr. John Thackery und andere Ärzte des New Yorker Knickerbocker Hospitals, kurz „The Knick“ genannt. Die Serie spielt um 1900. Allein in den ersten Minuten wird der Zuschauer Zeuge eines vollgedröhnten, brillanten Chirurgen, der seinen Weg zur Arbeit nur mit Kokain antreten kann; er wird Zeuge einer misslingenden Operation, bei der Mutter und ihr Neugeborenes sterben; er erkennt, wie arrogant Soderbergh seine vermeintlichen Götter in Weiß gezeichnet hat.

Um drei Dinge geht es in «The Knick»: Erstens um genau jene Porträtierung arroganter Wissenschaftler, wie es Dr. Thackery einer ist, großartig gespielt von Clive Owen. „Nicht Sie sind schuld, sondern die Prozedur“, sagt er nach der tödlichen Operation zu seinem Chefarzt. Dieser begeht bald darauf Selbstmord, Thackery nimmt seinen Platz als Leiter der Chirurgie ein. Die Wahl des neuen Stellvertreters wird zum Politikum: Thackery will einen Kollegen, die Leiterin des Krankenhauses will den schwarzen Dr. Edwards, ausgebildet in Europa. Fragen von Hautfarbe und Rassenhass entzünden sich an Edwards, der von Thackery zurückgewiesen wird. Darum geht es zweitens in der Soderbergh-Serie: um die Abbildung von Vorurteilen und Lebensumständen der damaligen Jahrhundertwende.

Schließlich geht es drittens, ganz typisch für Steven Soderbergh, um Fortschritt: Nichts will und kann die Wissenschaft aufhalten, die ihren Siegeszug unkritisiert fortsetzt und allmächtig wird. Sinnbildlich die staunenden Zuschauer auf den Rängen, die im Operationssaal den blutigen Experimenten der Ärzte folgen. Am Ende der ersten Folge gelingt Thackery eine Operation durch ein von ihm entwickeltes revolutionäres Werkzeug, alle Umstehenden sind beeindruckt. Die moderne Medizin vollbringt Wunder.

Soderbergh zaubert in «The Knick» eine für ihn typische Atmosphäre der kühlen Faszination, mit ungewöhnlichen Blickwinkeln, mal stillen, mal wackelnden Kameraperspektiven. Mit elektronischer Musik, die überraschend gut zum kalten Geschäft mit dem Patienten passt. Und mit einem starken Clive Owen als Arzt, der im Operationsssal genial ist, abseits davon aber in seiner Arroganz und Drogensucht zerfällt. Was «The Knick» nicht bietet, sind überraschende Twists, einkalkulierte Spannung oder ein besonders einfallsreiches Drehbuch – letzteres ist der bislang einzige echte Kritikpunkt, der gegen das Format aufgeführt werden könnte. Soderbergh hat sich dem Realismus verschrieben, ähnlich wie die ebenfalls junge Serie «Masters of Sex». Wer kein Blut sehen kann, sollte ebenfalls verzichten: Chirurgische Eingriffe werden im Detail gezeigt, und der Regisseur selbst sagt der SZ: „Wenn du die ersten sieben Minuten aushälst, dann hast du es geschafft.“

Tatsächlich hat Steven Soderbergh mit «The Knick» etwas geschaffen, was im Kino nichts zu suchen hat. Die Serie ist „sophisticated“, langsam und explizit. Auch sie wird ihr Publikum finden: 1,7 Millionen sahen in den ersten Tagen die Premiere, nicht schlecht für die erst dritte originale Serie des Pay-TV-Senders Cinemax. Eine zweite Staffel von «The Knick» bestellte man bereits, bevor die allererste Folge ausgestrahlt wurde.

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