Die Kino-Kritiker

«Cortex»

von

Alles nur ein Alptraum?

In der germanischen Mythologie führte man Alpträume auf den negativen Einfluss koboldhafter Elfen zurück, die nachts auf einem sitzen und einen Druck auf den Brustkorb ausüben. Daher auch der Ausdruck Albdruck. Heute weiß man, dass solche Störungen des Schlafes meist in der zweiten Nachthälfte auftreten und auf Stress und unverarbeitete Erlebnisse zurückzuführen sind. Nichtsdestotrotz können sie für Betroffene sehr belastend sein, vor allem wenn der Alptraum immer wieder auftritt und Angst und Panik auslöst. So ergeht es auch Moritz Bleibtreu in seinem Regiedebüt «Cortex», mit dem er den Vergleich mit seinen Vorbildern Christopher Nolan («Inception») und Quentin Tarantino («Pulp Fiction») anstrebt. Bleibtreu schrieb auch das Drehbuch, eine verstrickte Story über Sein und Schein.

In der Nacht die Angst, am Tag die Müdigkeit
So kann es nicht mehr weitergehen. Nacht für Nacht wird Hagen (Moritz Bleibtreu) schweißgebadet aus dem Schlaf wach. Tagsüber überwältigt ihn die Müdigkeit. Seine Frau Karo (Nadja Uhl) schlägt ein Schlaflabor vor, denn auch ihre sowieso schon angeschlagene Ehe leider darunter. Hagen lehnt jedoch ab. Der Sicherheitsbeauftragte eines Supermarkts will selbst die Ursachen seiner Alpträume herausfinden.

Eines Tages erkennt er auf der Arbeit das Gesicht eines Mannes, den er aus seinen Träumen kennt. Nico (Jannis Niewöhner) ist ein Kleinkrimineller ohne Perspektive. In der Nacht darauf träumt Hagen, wie sich Karo und Nico begegnen und sich sofort zueinander hingezogen fühlen. Hat seine Frau tatsächlich eine Affäre mit diesem Kerl oder ist alles nur Einbildung? Kann es sein, dass dieser Nico gar nicht existiert und nur eine Ausgeburt seiner Alpträume ist? Oder sind Nico und Hagen Vielleicht nur ein und dieselbe Person? Ist Hagen gar eine gespaltene Persönlichkeit?



Fragen über Fragen
Alles ist möglich Und Bleibtreu treibt sein Publikum immer tiefer in ein unheimliches Labyrinth, aus dem es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt. Ein verstörendes Psychodrama, dem man nicht immer folgen kann und vielleicht auch gar nicht soll, denn auch als Beobachter der Ereignisse soll man sich nie zu sicher fühlen. Eine gespenstische Grundstimmung durchzieht den Film, was dank der düsteren Bilder, die Kameramann Thomas W. Kiennast («Das finstere Tal») einfängt, auch wahnsinnig gut gelingt.

Damit wird aber auf der Thriller-Ebene aber auch mehr versprochen als eingehalten werden kann. Oft zu diffus werden die handlungsbildenden Zusammenhänge ausgelotet, um die Spannung stringent in die Höhe zu treiben. Im Ergebnis ist «Cortex» aber ein eindrucksvolles Gedankenspiel, das Rätsel aufgibt, mit der Folge, die eigenen Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit wahrzunehmen.



Ein Mann bleibt sich treu
Als Schauspieler ist Moritz Bleibtreu Mitte der Neunzigerjahre ganz nach oben gekommen. Mit «Stadtgespräch» und «Knockin‘ On Heaven‘s Door» War er anfangs auf das leichte Fach festgelegt. Aber schon mit «Lola rennt» bewies er weitere Facetten seines Könnens und gipfelte in der Darstellung des RAF-Terroristen Andreas Baader in «Der Baader Meinhof Komplex». In den vergangenen Jahren haben den gebürtigen Münchner mit Hamburger Heimat immer mehr die düsteren Stoffe als Schauspieler angezogen. «Die vierte Macht», «Stereo», «Auf der dunklen Seite des Mondes» und «Nur Gott kann mich richten» waren sicherlich Wegbereiter für seine eigene Regiearbeit. Ein vielversprechendes Debüt, mit dem es sich Moritz Bleibtreu nicht einfach gemacht hat. «Cortex» beweist, dass er auch hinter der Kamera großes Kino kann, was hoffentlich kein Einzelfall bleibt.

Fazit: Moritz Bleibtreu liefert mit seinem Regiedebüt komplexe Gedankenspiele ab. Mit einer durchweg düsteren Szenerie und manchmal sperriger Story fordert er sein Publikum heraus.

«Cortex» ist seit Donnerstag, 22. Oktober 2020, in den Kinos zu sehen.

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