Die Kino-Kritiker

«Gut gegen Nordwind» – P.S.: Ich küsse so ähnlich, wie ich schreibe

von

Die Herzen wärmende, Geister verbindende Macht der Worte: Die Bestseller-Adaption «Gut gegen Nordwind» ist eloquentes, wundervoll gespieltes Romantikkino.

Filmfacts «Gut gegen Nordwind»

  • Regie: Vanessa Jopp
  • Drehbuch: Jane Ainscough, nach einer Vorlage von Daniel Glattauer
  • Cast: Nora Tschirner, Alexander Fehling, Ulrich Thomsen, Ella Rumpf, Claudia Eisinger, Lisa Tomaschewsky
  • Produktion: Klaus Dohle, Jonas Dornbach, Janine Jackowski
  • Kamera: Sten Mende
  • Schnitt: Andrew Bird
  • Musik: Volker Bertelmann
  • Laufzeit: 122 Min
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Ein verdrehter Buchstabe genügt, und schon landet die E-Mail von Emma Rothner (Nora Tschirner), mit der sie ein Zeitschriftenabo kündigen wollte, versehentlich im digitalen Postfach des Linguisten Leo Leike (Alexander Fehling). Monate später schickt sie ihm eine unpersönliche Weihnachts-Rundmail. Leo befindet sich gerade in einer wunden Phase seines Liebeslebens – und antwortet Emma daher prompt mit geladener Emotion und zünftigem Sarkasmus. Es entsteht ein schneller, schlagfertiger, gewitzter E-Mail-Dialog, eine Brieffreundschaft 2.0 mit Augenzwinkern, gepfefferten Seitenhieben und schleichend größer werdender Intimität zwischen den Beiden. Was als nicht zu ernst gemeinte Flucht vor dem Alltag beginnt, nimmt immer gefühlvollere Züge an – dabei haben sich Emma und Leo geschworen, diesen digitalen Austausch nie real werden zu lassen. Hängt er doch noch immer an seiner Ex-Freundin Marlene (Claudia Eisinger), während sie sorgfrei mit Bernhard (Ulrich Thomsen) verheiratet ist und zwei Stiefkinder hat …

Daniel Glattauers moderner Briefroman wurde ein immenser Erfolg und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Da liegt der Gedanke einer Verfilmung nicht fern – wenngleich sie, wie bei Briefromanen üblich, die Kreativen vor Herausforderungen stellt: Die beliebte Vorlage zieht ihren Reiz aus ihrer Erzählform, den geballten Kommunikationswellen zwischen den Figuren. Unentwegte innere Monologe, die zusammen eben doch einen Dialog formen, sind allerdings denkbar unfilmischer Stoff. Nicht grundlos ist die bislang wohl beste Adaption eines Briefromans das sinnlich-tragische Teenie-Romantikdrama «Eiskalte Engel», das sehr frei mit seiner Vorlage «Gefährliche Liebschaften] umgeht. Ein weiteres gelungenes Beispiel ist wiederum die Jane-Austen-Adaption [[Love & Friendship», die sich aber auch das unvollendete Werk «Lady Susan» als Vorlage nahm und somit ebenfalls eine Sonderstellung einnimmt.

Kurzum: Regisseurin Vanessa Jopp («Engel & Joe») und Drehbuchautorin Jane Ainscough («Alles ist Liebe») hatten eine schwere, nahezu aussichtslose Schlacht zu schlagen, als sie die Herausforderung angenommen haben, aus «Gut gegen Nordwind» einen Kinofilm zu machen. Aber allen Hürden, die das Verfilmen eines Briefromans unvermeidlich mit sich bringt, zum Trotz, haben sie diese Aufgabe gemeistert: «Gut gegen Nordwind» ist ein wunderschöner, bezaubernder Film geworden – und die beste deutsche Kinoromanze des Jahrzehnts.

Allein schon die Besetzung ist ein riesiges Argument für «Gut gegen Nordwind»: Welche deutsche Schauspielerin könnte schnippische E-Mails, beiläufige Herzensbeichten, verletzliche Sorgen und spitze, doppelbödige Fragen unter Freunden besser vorlesen als die begnadete Nora Tschirner? Tschirners stimmliches Spiel stützt die nah am Buch orientierten, vornehmlich aus Mailwechseln bestehenden Passagen des Films so, als wäre es das Leichteste der Welt – und ihre mimische Darbietung steht dem in Nichts nach:

Jopp gleicht den vorlagenbedingten Textschwall durch vereinzelte Ruheinseln aus, in denen die Kamera um die Figuren schwebt, während sie nachdenken und sich über die nächste Mail den Kopf zermartern, die kürzlich eingegangene Mail verarbeiten oder sich schlicht schleichend ihrer Lebenssituation Gewahr werden. Und Tschirner spricht mit ihren Blicken, ihren leichten Sorgesfalten oder ihrem halb-versteckten Lächeln schlicht Bände. Dass Emma sich erst nach und nach ein erzählerisches Gleichgewicht mit Leo erkämpft, gereicht «Gut gegen Nordwind» jedoch nicht zum Nachteil. Denn Alexander Fehling, der den Einstieg des Films noch als primärer Protagonist bestreitet, gibt ebenfalls eine berührende Darbietung ab: Auch er vermag es, mit zurückhaltendem Gestus intensive, widersprüchliche Gefühle auszudrücken, und genauso wie Tschirner hat er ein großes Talent darin, den Mailverkehr zwischen Leo und Emma mit Verve vorzulesen.

Ein sehr wichtiges Element in der «Gut gegen Nordwind» ist daher auch die wirklichkeitsgetreue, beiläufige Weise, wie die beiden Hauptfiguren auf ihren Mailverkehr reagieren: Nicht wenige Romanzen stolpern darüber, dass sie entweder vor den großen Gefühlen zurückscheuen oder aber bereits die kleinste Geste, die seichteste Formulierung mit spielerischem sowie inszenatorischen Schmachten und Jauchzen ertränken. In «Gut gegen Nordwind» dagegen würdigen Emma und Leo neue Nachrichten mehrmals mit einem verschmitzten Grinsen, selbst wenn die Augen froh aufleuchten. Oder mit einem irritierten Blick, der einem seligen Lächeln die Bühne bereitet. Oder ein Satz, der sich sehr kitschig liest, wird durch die Stimmfärbung beim Vorlesen davor bewahrt, ins Lächerliche überzukippen.

Und so weiter: Leo und Emma sind sehr eloquent angelegt (er als Linguist und sie als kecke Besserwisserin müssen auch so rüberkommen), dennoch produzieren sie im Maildialog nicht durchweg Hochliteratur, und das wissen sie selbst – und entsprechend reagieren sie auf die eine oder andere Formulierung.

Außerdem haben auch sie kleine Angewohnheiten und Macken in ihrer Schreibe, so nutzt Leo überdurchschnittlich oft "irgendwie", wodurch die beiden Figuren an Glaubwürdigkeit gewinnen, was wiederum die Emotionalität der Geschichte vergrößert: Hier bewegen sich nicht zwei Figuren auf romantischen Bahnen, schlicht, weil das Skript es von ihnen verlangt – hier ringen Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten darum, welche Wege sie in ihrer digitalen Beziehung zueinander noch einschlagen sollten.



Ainscough und Jopp ergänzen die literarische Vorlage nahtlos mit Spielszenen, in denen Emma und Leo den Laptop und das Smartphone zur Seite legen und ihren Alltag leben. Diese Szenen lassen den Mailaustausch noch bezirzender dastehen: Sehr effizient wird Leo als orientierungsloser Junggeselle wider Willen gezeichnet, der Bindungsprobleme hat und sich aus Bequemlichkeit an dem klammert, was er sich von seiner Ex versprochen hat. Und Emma erleben wir als mit beiden Beinen stabil im Leben stehende Stiefmutter, die keine nennenswerten Konflikte in ihrem Leben zu erdulden hat – der es aber zugleich an eigenen Lebensinhalten mangelt: Sie ist die verständnisvolle Stiefmutter, Ehefrau, Klavierlehrerin und Reiseplanerin in einem schönen Haus, das nicht das ihre ist, und die auch sonst nichts hat, das allein ihres ist. Mailfreund Leo ausgenommen.

Ainscough vermeidet in ihrer Adaption von «Gut gegen Nordwind» und in ihren neuen Handlungselementen spitze Klischees. Weder ist Emmas Gatte ein Mistkerl, wodurch sich der im Filmverlauf aufkommende Vorwurf des emotionalen Fremdgehens leichter aushebeln ließe, noch wird Leos Ziellosigkeit dadurch unterstrichen, dass er als Fachidiot dargestellt wird, der ohne helfende weibliche Hand nicht fähig ist, den Alltag zu meistern. Und Jopp verzichtet darauf, die Kluft zwischen realem Alltag und digitaler Kommunikation überzubetonen. Statt Emmas und Leos Leben karg zu inszenieren, haben Beide ansprechende heimische Gefilde, und auch wenn Kameramann Sten Mende oft ein Gefühl der Distanziertheit suggeriert, indem er die Protagonisten verloren in einem großen Raum einfängt, so wird nie bemüht auf die Tränendrüse gedrückt.

Stattdessen kreiert Jopp eine Grundstimmung, die zwischen zarter Melancholie und scheu-romantischem Überschwang changiert. Gemeinsam mit der säuselnd-schönen Musikuntermalung entsteht so eine inszenatorische Kuscheldecke, in die Jopp ihr Publikum hüllt. Passenderweise spielt «Gut gegen Nordwind» auch in einem Niemandsland, verbindet die Regisseurin doch behutsam verschiedene Drehorte zu einem fiktionalen Schauplatz, der irgendwo in Deutschland liegen könnte, statt konkret auf eine Stadt und ihre (vermeintlichen) Eigenheiten zu verweisen. «Gut gegen Nordwind» ist somit ganz eigen und wirkt dennoch so, als könnte es für alle sein – wenn das mal keine schöne Eigenschaft für eine Romanze ist …

Fazit: Wunderbar getextet, bezaubernd gespielt und traumhaft erzählt: «Gut gegen Nordwind» ist Romantikkino vom Feinsten.

«Gut gegen Nordwind» ist ab dem 12. September 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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