Popcorn & Rollenwechsel

Buster Keaton, gefiltert durch südkoreanische Action

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Oder: Weshalb die «John Wick»-Filme die beeindruckendere Variante von «Shanghai Knights» sind.

«John Wick» an den deutschen Kinokassen

  • «John Wick» (2015): 431.288 Besucher
  • «John Wick: Kapitel 2» (2017): 816.219 Besucher
2003 veröffentlichte Regisseur David Dobkin («Die Hochzeits-Crasher») mit «Shanghai Knights» die recht wenig beachtete Fortsetzung zum Überraschungserfolg «Shang-High Noon» mit Jackie Chan und Owen Wilson. Der Großbritannienausflug eines verlogenen Westernganoven mit Herz und eines naiven, aber hoch idealistischen Ex-Wächters des chinesischen Kaisers hatte aber auch recht wenig, das für ihn sprach: «Shanghai Knights» versuchte, zwei ungleiche Figuren, deren Kennenlernen und gegenseitiges Anpassen Spaß gemacht hat, durch das Verlernen und Wiedererlernen von Lektionen ein zweites Mal amüsant zu gestalten.

Und: «Shanghai Knights» ist viel zu behäbig inszeniert, um mit der Energie zwischen Owen Wilson und Jackie Chan mitzuhalten und den ebenso flotten wie galant-gewitzten Stunteinlagen Chans gerecht zu werden. Was eine Schande ist, denn «Shanghai Knights» hat einige güldene Augenblicke zu bieten. Nämlich sogleich mehrere durch Jackie-Chan-Slapstick-Action gefilterte Referenzen an große Momente der Filmgeschichte. «Shanghai Knights» verneigt sich beispielsweise vor «Du sollst mein Glücksstern sein» (besser bekannt als «Singin' in the Rain»), indem er aus der legendären Regentanzszene einen beschwingten Kampf formt, aber auch vor mehreren Stummfilmroutinen. Es ist längst nicht der einzige Jackie-Chan-Film mit Hommagen an die Kinovergangenheit, aber wohl der, der sich am stärksten auf dieses Element stützt. Und dennoch verpufft diese Actionkomödie.

Die «John Wick»-Filme verfeinern, was «Shanghai Knights» misslang: Sie adaptieren klassische Filmmomente für eine neue Kinoära und gestalten dabei eine eigene, packende Identität. Gewiss: Der erste «John Wick»-Teil hielt sich dahingehend noch zurück, er ist quasi die aufwändiger, passionierter umgesetzte Form der Art von Filmen, die ProSieben jahrelang direkt im Anschluss an den Hauptblockbuster versendet hat. Die «John Wick»-Fortsetzungen dagegen nehmen glorreiche Momente aus Stummfilmkomödien, passen sie dem heutigen Publikumsgeschmack an und betten sie in eine immer größer werdende, kunstvolle, tief in eine eigene Mythologie versunkene Handlung ein, wie sie sonst fast ausschließlich dem südkoreanischen Actionkino vorbehalten ist.

Der zweite «John Wick»-Teil legt bereits in den ersten paar Sekunden die Karten auf den Tisch: Während sich die Kamera nach und nach einer Verfolgungsjagd im nächtlichen New York nähert, das durch kräftige Neonfarben erhellt wird. Eine der Wände in dieser Häuserschlucht dient als Projektionsfläche für Buster Keatons Stummfilmklassiker «Sherlock, jr.». Es mag nicht extrem offensichtlich sein, aber die «John Wick»-Fortsetzungen sind die cineastischen Enkel solcher Komödienklassiker. Ja, sie wollen uns deutlich seltener zum Lachen bringen. Und dennoch bestehen enorme Parallelen, denn lange, bevor Komödien auf schnippische Sprüche setzen konnten und noch länger, bevor der moderne Actionfilm existierte, unterhielten Künstler wie Buster Keaton und Harold Lloyd das Publikum, indem ihre Figuren Antagonisten und widrigen Situationen mit stoischer Haltung entgegneten und halsbrecherische Aktionen schadlos bewältigten.

Keanu Reeves ist, insbesondere in den «John Wick»-Filmen, ein moderner Buster Keaton: Minimale, nicht aber steinerne, Gesichtsausdrücke. Wortkarg. Unaufhaltsam bugsiert er sich aus Prügeleien, Schießereien, Messerstechereien und Verfolgungsjagden. Situationen, die zumeist (wie bei Keaton, Lloyd und Chaplin) mit ruhiger Kamera in übersichtlichen Einstellungen gefilmt werden, damit das Publikum jeden einzelnen Handgriff zu würdigen weiß. "Schau her, welche Kette an Schlägen, Tritten und Schritten wir hier kurzweilig zusammenstellen können!", sagen diese Szenen. Es sind keine anschließenden Gags nötig – die Artistik allein soll amüsieren.

«John Wick: Kapitel 3 – Parabellum» eröffnet ebenfalls mit einem Buster-Keaton-Film, der von einer Häuserwand in New York auf uns herein prasselt. Gut versteckt, dieses Mal. Denn neben Stummfilmära-Actioneinlagen warten hier, mehr noch als in Teil zwei, südkoreanisch-beeinflusste, schweißtreibende XL-Kämpfe auf uns und eine sehr un-westliche Erzählstruktur, die einerseits geradlinig ist (da der Plot auf ein sehr klares Ziel hinausläuft) und andererseits sehr verschnörkelt (da sich der Film Zeit für bildliche Momente nimmt, die Bände über Randfiguren sprechen). In einem Moment werden Pferde zu Waffen, in einem anderen sehen wir einen Ausschnitt aus dem Alltag einer russischen Untergrundorganisation voller eigenwilliger Gepflogenheiten, dann machen unsere Helden Räuberleiter für einen bissigen Hund und dann wieder hebt eine bossige, kurzhaarige Frau streng die Augenbraue.

Nun gilt es, abzuwarten, ob die «John Wick»-Reihe so lange weitergeht, bis Keanu Reeves eine ganze Häuserwand auf sich stürzen lässt. Keaton wäre sicher beeindruckt. Oder stinksauer ob des Ideendiebstahls.

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