Die Kritiker

«Dogs of Berlin» - Deutschland goes Netflix - Again!

von

Zehn Folgen handfester Thrillerunterhaltung liefert «Abgeschnitten»-Regisseur Christian Alvart ab Freitag den zahlenden Kunden von Netflix - das Format ist nach «Dark» die zweite deutsche Serien-Eigenproduktion des Streaminganbieters.

Cast & Crew

  • Produktion: Christian Alvart, Siegfried Kamml
  • Musik: Ali N. Askin, Maurus Ronner, Christoph Schauer
  • Kamera: Christoph Krauss, Frank Lamm
  • Autoren: Christian Alvart, Jan Cronauer, Georg Hartmann, Ron Markus, Michael Proehl, Arend Remmers, Henner Schulte-Holtey, Erol Yesilkaya, Ipek Zübert
  • Darsteller: Felix Kramer, Fahri Yardim, Katharina Schüttler, Anna Maria Mühe, Urs Rechn, Sebastian Achilles, Hannah Herzsprung, Antonia Wannek
  • Regisseur: Christian Alvart
Spätestens als Hollywoodstar Chloë Grace Moretz auf den Tag genau vor einem Jahr twitterte, dass sie einfach nicht aufhören könne, die neue Netflix-Show «Dark» zu schauen, konnte man sich hierzulande sicher sein: Auch Deutschland kann Streaming! Mittlerweile gibt es über alle möglichen VoD-Dienste verteilt Eigenproduktionen aus deutschen Landen. Aktuell im Gespräch: «Beat» bei Amazon Prime, «Das Boot» bei Sky und ab Freitag dann wohl auch «Dogs of Berlin», das neue Serienformat von Kinoregisseur Christian Alvart. Zuletzt mit Thrillern wie «Abgeschnitten» und «Steig. Nicht. Aus!» am Start, ist «Dogs of Berlin» sein erstes Serienformat (wenn man einmal von seiner Inszenierung mehrerer «Tatort»-Episoden absieht). Und in diesem kann sich der auch international bekannte Filmemacher erzählerisch so richtig austoben, denn der Mikrokosmos der Berliner (Unter-)Welt, den Alvart hier als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent beaufsichtigt, ist so eng und zumindest in den ersten Episoden bisweilen unübersichtlich verflochten, dass für die Entwirrung desselben niemals bloß eine Spielfilmlänge ausreicht.

Die Grauzone des Gesetzes


Da sich in der Anfangsphase des Formats nicht ein Kernplot, sondern mehrere Handlungsstränge zum erzählerischen Fokus herauskristallisieren, sei die Story von «Dogs of Berlin» wie folgt umrissen: Die beiden komplett unterschiedlich tickenden Berliner Kommissare Erol Birkan und Kurt Grimmer (gespielt von Fahri Yardim und Felix Kramer) sind zu einer Zusammenarbeit gezwungen, als eines Nachts ein weltberühmter Fußballstar tot in Marzahn aufgefunden wird. In einem Machtkampf mit der dort ansässigen Unterwelt werden sie dabei mit ihren eigenen menschlichen Schwächen und Verbrechen konfrontiert und zu einer endgültigen Entscheidung darüber gezwungen, auf welcher Seite des Gesetzes sie eigentlich stehen.

Wer je daran gezweifelt haben sollte, dass es einen großen Unterschied zwischen Inszenierung und Geschichte gibt, der braucht sich nur einmal die bisherigen «Tatort»-Episoden mit Til Schweiger anzugucken, aus denen Regisseur Christian Alvart zum Großteil leinwandtaugliche Thrilleraction gezimmert hat. Da ist es kein Wunder, dass sich der gebürtige Hesse mit Genrestücken wie «Fall 39» und «Pandorum» längst in Hollywood etablieren konnte. Seine elegant-hochwertige Inszenierung, die erneut nach Kino und nicht einfach nur nach Fernsehen aussieht, findet sich auch in «Dogs of Berlin» wieder; allein die aller erste Kamerafahrt über die Skyline der Hauptstadt ist so hervorragend ausgeleuchtet und präzise gefilmt (Kamera: Christoph Krauss und Frank Lamm), dass man sich das Ganze im Kino angucken könnte. Dieser noble Eindruck bleibt aufrechterhalten, obwohl Alvart als Kulisse vorwiegend der Berliner Plattenbau zur Verfügung steht. Doch zwischen den kargen Häuserschluchten entwickelt sich mit der Zeit ein Gefühl für die Trostlosigkeit, auf der der Hass, um den es in «Dogs of Berlin» geht, überhaupt erst so gut gedeihen kann.

Zwischen Klischee und Variation


Es geht auch diesmal um verfeindete Clans, um Gut gegen Böse, um „Heil!“-rufende Nazis gegen "asoziale Kanacken" – und ja, das ist mit Ausnahme des überraschend aktuell wirkenden Todesfalls direkt in der ersten Folge auch alles weitgehend klischeehaft. Im Fokus steht nämlich der Tod eines türkischen, jedoch für die deutsche Nationalelf spielenden Fußballers, der für seine Wahl der deutschen Mannschaft sowohl von Nazis, als auch von seinen eigenen Landsleuten angefeindet wird. Vor wenigen Monaten wäre das aufgrund der Özil-Affäre sogar noch so richtig brandheiß gewesen, da viele der in «Dogs of Berlin» angesprochenen Themen aber ohnehin nicht an Aktualität verlieren, bleibt es dennoch ein spannender Ausgangspunkt. Doch natürlich geht es auch um Drogen, ums Dealen, um illegales Glücksspiel und um Gewalt – also im Grunde um alles, was man sich vorstellt, wenn man das Wort „Unterwelt“ hört. Auch dank der zum Teil leider haarsträubend konstruierten Dialoge droht «Dogs of Berlin» schon in frühen Phasen das K.O. Doch mit fortlaufender Dauer gelingt Alvart ein sukzessiver Kurswechsel, für den es sich auszahlt, dass an den Skripten für die einzelnen Episoden noch acht weitere Autoren mitgewirkt haben.



Dieses bemerkenswerte Autorenensemble bricht auf dem Weg zum Finale immer mal wieder gezielt mit Klischees (vor allem das Privatleben von Kommissar Birkan steht beispielhaft dafür, ohne dass wir an dieser Stelle näher darauf eingehen wollen), während es anderswo die realen Umstände des Berliner Ghettolebens bemerkenswert präzise nachzeichnet. Es geht um No-Go-Areas, um Parallelgesellschaften und auch um Prestige. Über allem schwebt nämlich die Frage, wie sehr der tote Fußballstar (laut der Schilderungen in Folge eins vergleichbar mit einem Christiano Ronaldo in der portugiesischen Equipe) in dem zu Beginn dieses Texts erwähnten Geflecht drin hängt, zu dem die Gangster und Bösewichte genauso gehören, wie die Polizei, die den toten Sportler schon mal so lange unter Verschluss hält, bis sie Geld auf den Sieg der gegnerischen Mannschaft gesetzt hat. In «Dogs of Berlin» bewegen sich sämtliche Figuren mindestens innerhalb der rechtlichen Grauzone. Dass Alvart ihnen trotzdem auch Menschlichkeit zugesteht, gibt die Intention der Serie vor: «Dogs of Berlin» ist weniger Heldengeschichte als Momentaufnahme.

Nieder mit lähmenden TV-Krimis!


Gleichzeitig ist diese Momentaufnahme angereichert mit diversen Allgemeinplätzen. Wer noch nie Gangsterfilme oder -Serien gesehen hat, bekommt mit «Dogs of Berlin» einmal das komplette Potpourri an Ghettomotiven geboten. Das ist immer dann nicht originell, wenn Alvart all das Bekannte nur aneinanderreiht, zugegebenermaßen mit einer Aufrichtigkeit, die das Gefühl vermittelt, hier stecke Leib und Seele in dem Projekt. Deshalb ist «Dogs of Berlin» in seinen schwächsten Momenten auch immer noch okay und weit weg vom lähmenden Krimi-Einheitsbrei in den Öffentlich Rechtlichen. Auch wohin die Produktionskosten geflossen sind, sieht man in jeder Szene. Gleichzeitig kann die Serie aber auch richtig gut sein. Zum Beispiel dann, wenn anstatt einer naheliegenden Actionszene ein Dialog folgt, oder andersherum. Hier trifft Variation auf das blanke Erfüllen der Zuschauererwartung. Und letztlich muss man ja auch immer noch bedenken, dass es da draußen Leute gibt, die noch nie im Leben gesehen haben, wie das so ist, in der Berliner Unterwelt.

Die komplette Staffel von «Dogs of Berlin» ist ab dem 7. Dezember bei Netflix streambar.

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