InterviewUli Fritz: ‘Auf dem Weg von Montpellier zum Mont Ventoux gibt es ein Wechselbad für die Fahrer’

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Vom 5. bis zum 25. Juli wird die 112. Tour de France in Frankreich ausgetragen. SR-Sportchef Fritz hat sich mit Quotenmeter über den Top-Sport ausgetauscht.

Herr Fritz, im vergangenen Jahr fand das Tour-Finale nicht in Paris statt. Wie war es für Sie und Ihr Team, erstmals auf diesen symbolträchtigen Zieleinlauf verzichten zu müssen – und wie groß ist nun die Vorfreude auf die Rückkehr auf die Champs-Elysées?
In der Tat, eine neue Erfahrung, kein Finale in Paris, aber mit Nizza und der berühmten „Promenade des Anglais“ hatten die Veranstalter eine recht adäquate Alternative gefunden, zumal mit einem Einzelzeitfahren. Dennoch zählt Paris zum Inventar der Tour – und so wie 1975 die Champs-Elysées erstmals als Ziel dienten, 2013 die Umrundung des Arc de Triomphe und die Passage des Louvre-Museums aufgenommen wurden, wird in diesem Jahr der Montmartre befahren, rund um Sacre-Coeur – inspiriert vom Parcours der Olympischen Spiele 2024 – das wird ein besonderes Spektakel.

Die ARD und speziell der Saarländische Rundfunk berichten 2025 wieder umfassend über die Tour de France. Was ist in diesem Jahr neu oder anders im Vergleich zu den Vorjahren?
Unsere Berichterstattung bleibt so umfangreich wie in den Jahren zuvor. So sind wir auch wieder in Frankreich unterwegs gewesen auf der Suche nach kleinen Randgeschichten. Aber: Nicht mehr in Saarbrücken werden nun die Beiträge geschnitten, die Social-Media-Kanäle befüllt, der Live-ticker gepflegt, die Zuschauerinnen und Zuschauer betreut – dies wandert alles in den neuen „ARD SportHub“ nach Köln, der seit Anfang des Jahres in Betrieb ist. Dort werden viele Großereignisse im Sport nun betreut und abgewickelt. Unter Federführung des SR weiterhin, auch mit den Menschen aus unseren bewährten Teams.

Neben der klassischen TV-Übertragung setzen Sie auch stark auf digitale Formate. Wie wichtig sind Livestreams, Podcasts wie „Tourfunk“ oder Social-Media-Angebote inzwischen für die ARD-Berichterstattung?
Diese Angebote werden Jahr für Jahr wichtiger. Zumal unser Publikum jünger wird, wie uns die Nutzerzahlen aus den vergangenen Jahren belegen – die Tour wird vermehrt auf dem Notebook, auf dem Tablet, auf dem Handy geschaut und gehört. Mit dem „Tourfunk“-Podcast sind wir das ganze Jahr über aktiv, der Radsport findet sehr viel auch auf sportschau.de statt. Je näher die Tour rückt, denn sie ist nun mal in Deutschland das Maß der Dinge für diese Sportart, umso intensiver wird die Nutzung in den digitalen Formaten. Aber auch im linearen Programm verzeichnen wir einen klaren Anstieg der Zuschauerzahlen. 2024 haben wir die besten Zahlen seit 2015 erreicht, nur 2019 – damals mit dem vierten Gesamtplatz für Emanuel Buchmann – war die Quote in etwa ähnlich hoch.

Die neue Staffel der Dokureihe «Mythos Tour» beschäftigt sich mit Sprintern, Giganten und Wasserträgern. Was erwartet die Zuschauer hier – und wie gelingt es, die Faszination der Tour auch abseits des Renngeschehens einzufangen?
Wir haben mit dem Titel bewusst an die erste erfolgreiche Staffel angeknüpft, das heißt: Wir werfen wieder einen intensiven Blick ins Archiv. Aber nicht allein – hierzu haben sich Menschen getroffen. In der Folge eins sind es Deutschlands erfolgreichste Sprinter Erik Zabel, Marcel Kittel und André Greipel mit zusammen 37 Etappensiegen bei der Tour, die sich auf dem Hausboot von Rick Zabel getroffen haben und zurückschauen – auf ihre Erfolge, auf Vorbilder wie Olaf Ludwig, auf verrückte Gegner wie Mario Cipollini und Marc Cavendish. Vater und Sohn Zabel reflektieren auch über Doping und waren zusammen in Paris. In der Folge zwei fahren Simon Geschke, Jan Ullrich und der radsportbegeisterte ARD-Moderator Ingo Zamperoni gemeinsam den Mont Ventoux hoch – einen Giganten im Tour-Parcours, und sie reden über Giganten im Radsport. Für die Folge drei haben sich nach vielen Jahren Jan Ullrich und Udo Bölts wieder getroffen, in den Vogesen, wo 1997 der legendäre Satz fiel: „Quäl‘ Dich, du Sau“, mit dem Bölts seinem Kapitän half, das Gelbe Trikot zu verteidigen. Gemeinsam mit der aktuellen Profi-Radsportlerin Clara Koppenburg gehen sie der Frage nach, wie wichtig die Wasserträger, die Helfer, im Radsport waren und heute noch sind.

Die Tour 2025 führt ausschließlich durch Frankreich – mit spektakulären Strecken durch die Normandie, die Pyrenäen und bis zum Mont Ventoux. Welche Etappen oder Orte halten Sie für besonders sehenswert – auch aus TV-Perspektive?
Die Qual der Wahl, wie fast in jedem Jahr. Wer die Normandie nur für flach hält, wird auf der sechsten Etappe durch die normannische Schweiz überrascht werden. Die zehnte Etappe durch die Auvergne im Schatten der Vulkankegel am französischen Nationalfeiertag verspricht spektakuläre Bilder, ebenso die Pyrenäenetappen. Auf dem Weg von Montpellier zum Mont Ventoux gibt es ein Wechselbad für die Fahrer und für’ s Auge: erst malerische Dörfer und Landschaften im Gard und in der Provence, dann die Mondlandschaft des Ventoux. In den Alpen wird es dann spannend und sehr schwer.

Fabian Wegmann ist wieder als Experte dabei. Wie wichtig ist seine Expertise für das ARD-Team – besonders in Momenten, in denen Taktik oder Rennverläufe für das breite Publikum erklärungsbedürftig sind?
Viele Sportarten im Fernsehen haben ihre Experten, für uns ist ein Mann wie Fabian Wegmann unverzichtbar. Er war selbst Profi, auch bei der Tour, er ist Rennleiter bei der Deutschlandtour, kennt die Herausforderungen des Radsports bis ins Detail. Und er steigt bei der Tour für uns fast täglich aufs Rad, fährt immer die letzten Kilometer ab – mit Kamera – und manche Schlüsselstellen: Wie ist der Asphalt heute? Wie gefährlich ist die Kurve 800 Meter vor dem Ziel? Warum greift Visma ausgerechnet jetzt an? So viel Florian Nass auch selbst weiß, ein Experte kann immer noch tiefer in die Radsport-Materie einsteigen. Dafür muss Fabian nicht jeden Schlossherren an der Loire kennen. Den kennt dann Florian Nass.

Die Tour de France Femmes bekommt 2025 noch mehr Bühne, u. a. mit zwei Etappen im Hauptprogramm. Welche Bedeutung messen Sie dieser Weiterentwicklung der Frauentour bei – sportlich und medienstrategisch?
Die Einschaltquoten besonders in Frankreich waren im vergangenen Jahr exzellent. Das ist zukunftsweisend. Die Leistungen der Fahrerinnen werden auch in der Masse immer besser. Also kann auch die Zahl der Etappen größer werden. Es muss aber organisatorisch beherrschbar bleiben. Deswegen setzt die ASO, der Veranstalter der Tour und der Tour der Frauen, zum einen auf eine Verschränkung: Die ersten beiden Etappen der Tour de France Femmes und die letzten beiden der Männer laufen an denselben Tagen, das Publikum soll von der einen zur anderen Veranstaltung wechseln können. Danach folgen noch sieben Etappen bei den Frauen. Das ist derzeit sicher genug, um auch die Spannung im Rennen hochzuhalten.

Die Frauentour war 2024 bis zur letzten Sekunde spannend. Wie bereiten Sie sich als Redaktion darauf vor, wenn auch bei der Tour de France Femmes eine ähnlich dramatische Dramaturgie möglich ist?
Eigentlich ist das ganz einfach: Wir lassen das Ereignis sprechen. Wir flankieren das Geschehen mit aktuellen O-Tönen der Beteiligten. Wir lassen unsere Expertinnen kommentieren, ob sie Ähnliches schon erlebt haben. Wir schauen zuvor schon auf den Sommer 2024 zurück, mit dem genannten Finale, das es so auch im Männer-Radsport vielleicht nur einmal gegeben hat, 1989 auf den Champs-Elysées, als Laurent Fignon im Abschluss-Zeitfahren die Tour noch gegen Greg Lemond verloren hat.

Formate wie «Deine Tour» mit Rick Zabel und Marc Drumm bieten einen persönlichen Zugang zum Radsport. Welche Rückmeldungen bekommen Sie vom Publikum – und wie wichtig sind solche flankierenden Formate für neue Zielgruppen?
Die Rückmeldungen sind seit Jahren sehr gut – andere Einblicke in den Radsport, fachlich auf dem neuesten Stand, schöne Begegnungen mit unseren deutschen Startern außerhalb des Sports. Im Stil den Seh- und Hörgewohnheiten eines jungen Publikums angepasst; in YouTube schauen alle rein, da müssen wir vertreten sein; «Deine Tour» ist eine Erfolgsgeschichte.

Abschließend: Was macht für Sie persönlich – nach all den Jahren als verantwortlicher Sportchef – den besonderen Reiz und die Herausforderung der Tour de France aus, journalistisch wie menschlich?
Es hilft mir natürlich, dass ich sehr frankophil bin: Ich liebe die Sprache, die Menschen, das Land; ich liebe Landschaften, und wenn dann diese oft so malerischen Szenerien noch Schauplätze faszinierender Spektakel auf dem Rennrad werden, umso schöner. Ungebrochen ist die Lust, am Ende einer langen Etappe den Kampf der Sprinter zu sehen, Millimetersiege mit 200 Kilometer Anlauf; immer noch verfolge ich das Leiden am Berg und die Positionskämpfe mit den Augen eines Bewunderers, auch wenn sich durch die besondere Geschichte des Radsports, dessen schwarze Jahre ich hautnah miterlebt habe, immer wieder ein gerüttet Maß an Skepsis in meine Anteilnahme mischt. „Die Tour ist stärker als der Betrug“, hat der Tourdirektor Prudhomme gesagt, der mitten in der Hochzeit des Fuentes-Skandals sein Amt angetreten hat. Logistisch ist die Tour immer eine Herausforderung, aber eine, die wir in unserem kleinen Team gerne annehmen. Die Tage sind oft lang, aber wir haben ein funktionierendes Team und freuen uns, wenn die Sendungen im TV und im Radio gut laufen, wenn die Menschen unsere Social Media Angebote nutzen. Und wenn wir eine Veranstaltung transportieren können, von Frankreich nach Deutschland, im Herzen Europas.

Vielen Dank für Ihre Zeit!