InterviewMelina Natale: ‚Die Nachtschicht im Hotel bietet einen hervorragenden Spielplatz‘
von Fabian Riedner01. Juli 2025
Die Headautorin von «Nighties» erklärt im Quotenmeter-Interview, warum der Titel verändert wurde. Außerdem gibt es bereits einige lose Pläne für eine mögliche zweite Staffel.
Was hat Sie inspiriert, eine Serie über eine Hotelnachtschicht zu schreiben, die zwischen skurrilem Alltag und absurd-schönen Momenten pendelt?
Meine erste Idee für so eine Serie ist schon 2017 aus meiner Faszination für das einzigartige Soziotop der Hotelbar entstanden. Mir ist aufgefallen, dass in kaum einem anderen Setting auf so natürliche Weise so viele unterschiedliche Fremde in einem zugleich so vertrauten Umfeld aufeinandertreffen. Die spezifische Prämisse der Nachtschicht im Hotel bietet zusätzlich einen hervorragenden Spielplatz für jede Form von Comedy: Nachts sind wir Menschen irgendwie verwundbarer – dadurch entsteht ein spannende Polarität von Intimität und Anonymität, die hier nur durch eine Zimmertür getrennt ist. Nicht zuletzt finde ich die nächtliche Atmosphäre auch ästhetisch besonders reizvoll.
Sie sind Headautorin und haben das Gesamtkonzept entwickelt – was war Ihnen beim Ton und Stil der Serie besonders wichtig?
Gerade weil wir schon in der ersten Staffel die Freiheit bekommen haben, Genre- und High-Concept-Episoden umzusetzen, war es für mich essenziell, Ton und Stil fest in einer klaren Struktur zu verankern. Wir haben ein Verhältnis von etwa zwei zu eins zwischen eher klassischen Sitcom-Episoden und spezielleren Genre-Ausflügen. Mir war sehr wichtig, dass sich trotz aller Überraschungen und der unterschiedlichen Referenzen immer eine klare, wiedererkennbare tonale Linie durch alle Episoden zieht und wir im besten Sinne eine Form von Alltags-Humor bedienen, in dem sich jede*r wiederfinden kann.
Millie und ihr Team wirken wie eine echte Wahlfamilie. Wie haben Sie diese Figuren entwickelt – und was verbindet sie jenseits der Arbeit im Hotel?
Es freut mich sehr, dass das so wirkt - genau das war nämlich unser Ziel! Wir haben die Dynamiken innerhalb dieser heterogenen Gruppe bewusst so ausgearbeitet, dass sie einer „echten“ Familie ähneln und jede Figur eine bedeutende, authentische Beziehung zu den jeweils anderen pflegt. Franca übernimmt zum Beispiel vor allem für Rafael eine mütterliche Rolle. Der ist wiederum der verplante, süße Cousin, mit dem man sich bei Familienfeiern zum Kiffen wegschleicht. Adriana und Millie verhalten sich zueinander wie Schwestern, und Charlie ist der schrullige Onkel, der ab und zu etwas Peinliches sagt oder macht, den aber trotzdem alle irgendwie lieb haben. Und was sie alle verbindet, ist genau das: Alle Fünf haben - gewollt oder eher gezwungenermaßen, bewusst oder unbewusst - im Prinzenhof ein neues Zuhause gefunden.
Jede Folge erzählt eine eigene Nacht – wie haben Sie die Balance gefunden zwischen wiederkehrenden Elementen und überraschenden Einzelsituationen?
Dieses Konzept war tatsächlich genauso herausfordernd wie kreativ erfüllend: Jede Nacht und jeder Gast bringt eigene Überraschungen mit sich. Damit man dabei als Zuschauer in einem neuen Format aber nicht die Orientierung verliert, haben wir Autor:innen viel Wert darauf gelegt, dass jede Figur eine ganz eigene Stimme bekommt und es auch inhaltlich einige fixe Anhaltspunkte und wiederkehrende Elemente gibt - etwa die traditionelle Blutgrätsche am Ende der Schicht.
Gab es ein Lieblings-Plot oder eine Idee, die Sie unbedingt unterbringen wollten?
Insgesamt sind zahlreiche persönliche Erlebnisse, Insider und Anekdoten in die Serie eingeflossen. Wenn ich einen Lieblings-Plot nennen müsste, dann wäre es der aus "Die Nacht mit ohne Ruhe". Diese Folge fasst für mich den Kern der Serie perfekt zusammen: eine scheinbar ganz normale Nacht im Hotel, in der Gäste sich gegenseitig die Ruhe stehlen und der Staff muss das regeln. Das ist ein so typisches, nächtliches Hotel-Problem, das von unserem bezaubernden Cast und den talentierten Gastdarstellern wunderbar gespielt wird. Mein Co-Autor Julian hat diese Episode großartig geschrieben, und unser Regisseur Matthias hat sie mit so viel Liebe zum Details inszeniert. Wenn man wissen möchte, um was es in «Nighties» geht, dann empfehle ich diese Episode.
Ein Bettwanzenverdacht, eine Wiesn-Zombie-Apokalypse oder ein geheimer Ring aus der Fundgrube: Die Folgen stecken voller ungewöhnlicher Wendungen. Wie viel Realität steckt in den absurden Szenen
Es steckt tatsächlich mehr Realität in diesem Chaos, als man vielleicht denkt. Vorab habe ich viel Material gesammelt und Gespräche geführt - von Zeitungsartikeln und fiktionalen Hotel-Geschichten bis hin zum Input unserer Gäste im Writers’ Room. Besonders wertvoll war der Austausch mit zwei echten Nacht-Concierges, die ihre verrücktesten Erlebnisse für uns ausgepackt haben: Wir haben gelernt, wie eine Nachtschicht im Hotel tatsächlich abläuft und was dabei hinter den Kulissen passiert. Viele der ungewöhnlichen Wendungen in den Folgen basieren also auf echten Begebenheiten, die wir dann in unserer Welt weitergesponnen haben.
Die Serie spielt mitten im Münchner Bahnhofsviertel – ein ungewöhnlicher, aber extrem lebendiger Ort. Warum war gerade dieser Schauplatz so reizvoll für «Nighties»?
Als gebürtige Münchnerin war es mir tatsächlich ein persönliches Anliegen, meine Heimatstadt aus einer Perspektive zu zeigen, die man sonst im Film und Fernsehen nicht so oft sieht. Weg von der Schickeria in Schwabing und den oberbayerischen Land-Krimis, wollte ich eine Comedy in einer Ecke Münchens verorten, die nicht so bekannt ist: weniger brav und sauber, dafür lebendig und voller Kontraste. Gleichzeitig ist die Hauptbahnhof-Gegend in jeder Großstadt ein besonderer Schmelztiegel, an dem viele Kulturen aufeinandertreffen und das macht sie wiederum auch universell erzählbar.
Wie wichtig war Diversität in der Besetzung und bei den Geschichten?
Sehr! Allerdings ging es uns nie darum, Diversität als Schlagwort zu erfüllen, sondern sie ganz selbstverständlich mitzudenken – in den Figuren und Perspektiven. Wir wollten ganz bewusst keine klassischen Culture-Clash-Geschichten erzählen, in denen das Aufeinandertreffen verschiedener Hintergründe zum Konflikt führt. Stattdessen will «Nighties» vielmehr eine Form von gelebter, selbstverständlicher Diversität zeigen - mit Figuren, die unterschiedlich sind und ganz alltägliche Probleme haben.
In vielen Folgen liegt ein liebevoller, fast poetischer Blick auf die Nacht und ihre Eigenheiten – ist «Nighties» auch eine Hommage an die Nachteulen dieser Welt?
Unbedingt! Ich hatte schon immer großen Respekt für Menschen, die nachts arbeiten – vor allem für Frauen, die diesen Raum erobern. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich nachts ein Taxi rufe und eine weibliche Fahrerin am Steuer sitzt. Das sind für mich echte Held:innen des nächtlichen Alltags - während der Rest der Welt schläft, feiert oder eben arbeitet. Nicht zuletzt haben wir uns auch deshalb für den neuen Titel entschieden: Als ich von unseren Beratern erfahren habe, dass sich Nacht-Concierges untereinander selbst «Nighties» nennen, fand ich das sofort charmant und wollte das gerne als kleine Verneigung vor dem Metier aufnehmen.
Sie arbeiten mit einem Writer’s Room – wie lief die Zusammenarbeit mit Julian Adiputra Witt und Sharyhan Osman?
Das war wunderbar inspirierend, offen und auf Augenhöhe! Mit Julian wurde ich vor ein paar Jahren zufällig nacheinander in gleich zwei Writer’s Rooms geworfen – seitdem sind wir nicht nur enge Kollegen, sondern auch sehr gute Freunde. Ich schätze ihn sehr für sein herausragendes Handwerk und dafür, dass er genau wie ich großen Wert auf runde, durchdachte Konzepte legt. Mit Shary habe ich zum ersten Mal zusammengearbeitet, aber auch das lief prima! Ihre Rolle zu besetzen war mir besonders wichtig, weil ich mir vorgenommen habe, gerade im Comedy-Bereich aktiv Nachwuchs-Autorinnen nachzuziehen, wenn ich die Chance habe, einen Raum zu besetzen. Es war zwar nur ein Mini-Writers’ Room - aber ich hätte mir keinen besseren für meine erste Head-Autorinnen-Rolle wünschen können.
Wenn Sie sich eine Fortsetzung wünschen dürften – was würden Sie mit den «Nighties» noch gern erleben lassen?
Das ist einer der schönsten Nebeneffekte, den wir uns mit diesem kreativen Spielplatz geschaffen haben: Es gibt noch endlos viele Geschichten zu erzählen! Wir hätten zum Beispiel große Lust, die Nachtschicht einmal auf ihre Doppelgänger aus der Tagschicht treffen zu lassen – allein schon, um endlich zu klären, warum Millie eigentlich in der Nacht arbeitet.
Außerdem gibt es so viele lustige Ideen für neue Genre-Episoden: Ein Musical wäre ein absolutes Muss, eine Telenovela eigentlich auch. Wir haben mit den Nighties auf jeden Fall noch einiges vor – und die Nacht ist bekanntlich lang.
Vielen Dank!
«Nighties» ist seit 27. Juni 2025 in der ZDFmediathek verfügbar. Die Serie läuft ab 1. Juli um 21.45 Uhr bei ZDFneo.