InterviewClaudia Neumann: ‚Gleiche Bezahlung bleibt ein spannendes Thema bei Turniererfolgen‘

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Die frühere Sportreporterin feierte bei der Frauen-WM 2011 ihren ersten Einsatz. Im Anschluss konnte die Kommentatorin sich auch bei den Männern beweisen. Das ZDF setzt auf die 61-Jährige auch in diesem Turnier.

Frau Neumann, welche Bedeutung hat die EM 2025 in der Schweiz für den Frauenfußball in Europa – sportlich, aber auch gesellschaftlich?
Jedes große Turnier kann der Entwicklung des Frauenfußballs einen mächtigen Schub geben. Eine ideale Vorlage auch für die nationalen Verbände, entscheidende Treffer zu erzielen. Das ist in der Vergangenheit allerdings nicht immer optimal gelungen. Seit der EM´22 in England ist deutlich mehr Wasser in der Rutsche. Sportlich ist ein Quantensprung gelungen, gesellschaftlich der Stellenwert enorm gewachsen.

Zeitgleich findet in den Vereinigten Staaten von Amerika die FIFA Klub WM statt. Torpediert die FIFA mit diesem Wettbewerb die Frauen EM?
In meinen Augen torpediert die FIFA damit alles, was den Fußball ausmacht. Neben attraktiven nationalen Wettbewerben auf Clubebene besondere Highlights wie Europapokal und Welt- bzw. Europameisterschaften für Nationalteams zu erleben ist für die meisten Fußballfans immer noch die ideale Mischung. Dieses unsägliche Aufblähen von Wettbewerben verwässert den sportlichen Stellenwert, ganz abgesehen von der längst kritisch diskutierten Belastungsgrenze für die Spieler. Ich bin gespannt, wann die Protagonisten sich dem mal verweigern. Diese Klub-WM ist überflüssig – ich glaube nicht, dass sie der Frauen-EM Wasser abgräbt.

Wie bereiten Sie sich als Kommentatorin auf ein Turnier wie die EM vor – insbesondere im Vergleich zu den Männer-Turnieren?
Da gibt es überhaupt keine Unterschiede zwischen Männer- und Frauenturnieren. Die Vorbereitung ist die gleiche: reine Fleißarbeit. Ich aktualisiere alle meine Spielerinnen-Infos mit Statistiken, recherchiere ihre Saisonverläufe und erstelle zu allen Mannschaften ein Informationsraster mit aktuellen und historischen Fakten. Natürlich schaue ich mir vorher auch noch das eine oder andere Spiel an, um einen Eindruck von Aufstellung und Spielidee zu bekommen.

Der Frauenfußball hat in den letzten Jahren medial stark an Sichtbarkeit gewonnen. Spüren Sie das auch bei Ihrer Arbeit im Kommentatorenalltag?
Das spüre ich insofern, als ich deutlich mehr interessante Berichterstattung über den Fußball der Frauen wahrnehme – sowohl im sportlichen Bereich als auch in gesellschaftsrelevanten Themenfeldern, die über die sogenannte 1:0-Berichterstattung hinausgehen. Ich finde, dass heute viel mehr kompetente Journalistinnen und Journalisten über Frauenfußball berichten, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Das erlebe ich als sehr erfreuliche Entwicklung.

In der öffentlichen Wahrnehmung wird oft über gleiche Bezahlung und mediale Präsenz diskutiert. Wie sehen Sie die Entwicklung in diesen Bereichen – auch im Vergleich zur letzten EM 2022?
Die mediale Präsenz ist enorm gewachsen. Gründe dafür gibt es genug: einerseits der internationale „Spielqualitätssprung“, andererseits auch der gesellschaftliche Anspruch auf mehr Geschlechtergerechtigkeit im Sport. Allerdings gibt es strukturell noch viel zu verbessern. Höheres Handlungstempo und mehr Proaktivität der Entscheiderinnen und Entscheider könnten nicht schaden. Gleiche Bezahlung bleibt ein spannendes Thema. Es geht nicht um das monatliche Gehalt, das selbstverständlich auch von der Wirtschaftskraft des gesamten Business und der arbeitgebenden Klubs abhängig ist, sondern um die Verbandsprämien bei Turniererfolgen. Diesbezüglich fällt mir kein einziger zwingender Grund für Unterschiede zwischen Männern und Frauen ein. Hier gilt es, zumindest für einen gemeinnützigen Dachverband, eine historische Ungerechtigkeit auszugleichen.

Was erwarten Sie sportlich von der deutschen Nationalmannschaft – und wie schätzen Sie das aktuelle Teamgefüge unter der Trainerin Horst Hrubesch bzw. seiner potenziellen Nachfolge ein?
Ganz ehrlich, ich muss tatsächlich auch das Bild der Wundertüte bemühen. Alles ist möglich – von Finale bis Gruppenaus. Das, was das Team unter Christian Wück bislang angeboten hat, war konstant wackelig. Spielidee und Potenzial geben Hoffnung, bestimmte Spielphasen, speziell wenn die Gegnerinnen stark pressen, führten häufig zu ziemlich haarsträubendem Harakiri. Das hat die Mannschaft vor den letzten beiden Nations-League Spielen noch nicht in den Griff bekommen.

Wie wichtig ist es Ihnen, auch in Ihrer Kommentierung gesellschaftliche Themen wie Diversität, Gleichberechtigung oder Frauenrechte behutsam einzubinden – gerade bei einem sportlichen Großereignis?
Das hängt immer vom Spielverlauf und der allgemeinen Themenlage ab. Wenn es eine schlüssige Anbindung gibt, ordne ich gerne Themen aus meiner Perspektive ein. Der Kommentar ist eine journalistische Ausdrucksform, die die Möglichkeit dazu gibt. Allerdings achte ich auf Verhältnismäßigkeit: Das Spiel, das Ereignis sollte immer angemessen im Mittelpunkt stehen.

Die Schweiz als Gastgeberland – welche Chancen bietet dieser Austragungsort für den Frauenfußball, auch im Hinblick auf Atmosphäre und Fan-Kultur?
Ich freue mich sehr auf dieses Turnier der kurzen Wege. Der Nachhaltigkeitsaspekt spielt eine große Rolle. Für den Schweizer Fußball der Frauen ist es eine super Gelegenheit, entscheidende Entwicklungsschritte zu gehen. Denken wir an die letzten beiden Europameisterschaften in den Niederlanden und in England: Mit den jeweiligen Titelgewinnen der Gastgeberinnen sind beide Nationen in den Kreis der Topteams aufgestiegen. Übrigens beide mit derselben Trainerin Sarina Wiegman.

Sie gelten als Vorreiterin für Frauen am Mikrofon. Wie hat sich das Umfeld für weibliche Kommentatorinnen in den letzten zehn Jahren verändert – und wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Es ist ja nicht so, dass wir von Null auf Hundert durchgestartet sind, aber ich freue mich sehr, dass immer mehr junge Kolleginnen für sich die Möglichkeit des Kommentierens erkennen. Über weite Strecken meiner beruflichen Laufbahn war das so gar nicht der Fall. Wir alle dürfen uns im Übrigen ein bisschen von alten Gewohnheiten trennen, denn es gibt durchaus verschiedene Herangehensweisen an den Fußball-Kommentar. Ich finde, das muss nicht alles gleich klingen, man darf gerne Persönlichkeit in Einordnung, Sprache, Tonfall, Duktus mit hineinbringen. Unterschiedlichkeit ist doch viel spannender als immer das gleiche Muster, auch wenn manche Zuschauerinnen und Zuschauer das vielleicht noch nicht als abwechslungsreichen Mehrwert eingeordnet haben.

Worauf achten Sie ganz besonders in Ihrer Spielbeobachtung und Kommentierung – jenseits von Toren und Taktik?
Bestenfalls auf eine gute Mischung aus fachlicher Einordnung, Information und einem angemessenen Quantum an Unterhaltung. Wenn das Spiel langweilig ist, muss ich es aber nicht lustiger quatschen.

Was würden Sie sich persönlich von dieser EM wünschen – als Kommentatorin, aber auch als Botschafterin für den Frauenfußball?
Ich weiß nicht, ob ich eine Botschafterin des Frauenfußballs bin, das sind doch eher die Spielerinnen. Ich wünsche mir ein ereignisreiches, fröhliches, buntes Fußballfest, bei dem die Spielerinnen im Mittelpunkt stehen und entsprechend Respekt und Anerkennung für ihre Leistungen ernten.

Schon mit der Frauen-WM im Jahr 2011, die in Deutschland ausgetragen wurde, bekam der Frauenfußball die große Bühne. Danach verschwanden die Spiele von den großen Sendern. Warum etablieren sich aktuell die Fußballerinnen?
In der Vergangenheit war es tatsächlich oft so, dass die Verantwortlichen versäumt haben den Schwung eines Topturniers mit in die heimischen Ligen zu nehmen. Da fehlte Verantwortung, Kreativität, auch Überzeugung und vor allem die Kraft der Gemeinschaft. Da gab es zu viele unterschiedliche Interessen. Das ist besser geworden, eine Tempoverschärfung dürfte nach meinem Geschmack aber dennoch folgen.

Vielen Dank für Ihre Zeit!