Buchclub ‚Links ist nicht woke‘

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Susan Neiman gehört seit Jahren zum linken Flügel, aber gleichzeitig ist das für sie keine woke-Einstellung.

Von rechtspopulistischen Stimmen ist oft die Gleichsetzung der politischen Linken mit dem aktuellen Schlagwort 'Woke', das als Sammelbegriff für jede Art von Emanzipation und das Bewusstsein von Unterdrückungsverhältnissen, sowie die Abkehr von Strukturen, die diese stützen, steht. Als solcher wird diese Haltung von der politischen Rechten, die an autoritären Traditionen festhalten will, heftig bekämpft. Aber ist Links tatsächlich automatisch woke? Die Philosophin Susan Neiman meint: nein.

Diesen Standpunkt verficht sie in ihrem Buch 'Links ist nicht Woke' (statt den Worten "ist nicht" steht im Titel das mathematische Symbol für diese Relation), erschienen bei Carl Hanser, München, 176 Seiten (2023). Die Professorin und Leiterin des Potsdamer Einstein Forums spricht dabei den Linken ab, einen Anspruch auf 'Wokeness' zu haben, da Neiman sie als Abtrünnige von Idealen ansieht, die das Linkssein definieren. Ihr zufolge wären das Universalismus, Fortschrittsglaube und Gerechtigkeit. Auch wenn die Diskussion weiter von bewährten Impulsen dieses politischen Lagers angetrieben würde, nämlich Empörung über Ungerechtigkeiten, sorge sie doch für eine gefährliche Annäherung ausgerechnet zum entgegengesetzten Lager, der Rechten, statt diese zu bekämpfen. Die Autorin nimmt die Aufklärung in Schutz, die von Linken im Zusammenhang mit der Woke-Diskussion mittlerweile abgelehnt wird als rassistisch, kolonialistisch und eurozentristisch und damit zum Sündenbock für Verhältnisse erklärt wird, die solche Zustände ermöglichten, von denen man sich durch das Wokesein freimachen möchte. Nach Neiman gibt die Linke mit der Ablehnung der Aufklärung genau die Mittel aus der Hand, die für einen Widerstand gegen den zu beobachtenden Rechtsruck auf der Welt benötigt würden.

Überhaupt wäre die Linke in den Fehler verfallen, die Theorie über alles zu stellen, während doch die Theorie ein rechtes Instrument der Reaktion wäre. Ein erkenntnistheoretischer Begriffsrahmen als Erbe der Aufklärung würde abgelehnt. Neiman nimmt die Philosophen der Aufklärung in Schutz davor, verantwortlich für die Legitimierung des Rassismus, Kolonialismus und Eurozentrismus gemacht zu werden. Sie sieht Werke von Voltaire oder Montesquieu weiterhin als geeignet an, nicht weniger als die Arbeiten moderner Philosophen, um sich dem postkolonialen Befreiungskampf zu widmen. Der Universalismus sei weiterhin das Mittel, um die menschliche Gesellschaft weniger rassistisch und insgesamt gerechter zu machen.

Der Gegner sei bei den rechten Antimodernisten und Antisemiten zu suchen, mit deren Philosophen Martin Heidegger und Carl Schmitt, die wohl jetzt laut Susan Neiman im Zusammenhang mit Wokeness hoch in Konjunktur ausgerechnet bei Linken gekommen seien. Sie schießt in dem Zusammenhang auch scharf auf Michel Foucault, der zu den rechten Philosophen zu zählen sei, die die Wokeness vereinnahmt hätten ("kolonisiert" schreibt sie). Sie geht gegen Foucault an, der moralischen Fortschritt geleugnet und Vernunftglaube und Universalismus als reine Machttricks abgewertet hätte. Insgesamt sieht Neiman einen Streit zwischen Theorie und Philosophie in Aktion, der sich bei der Diskussion zur Wokeness herausschält, mit den Linken in den Fängen der falschen Seite, nämlich der (reaktionären) Theorie.